
12. März 2022
Klimawandel und Gesundheit in den Verbänden
Auf dem steinigen Weg zur klimafreundlichen Praxis
Energie, Mobilität, Verbrauchsmaterialien, Medikamente – der Klimaschutz gewinnt bei Allgemeinärzten und hausärztlich tätigen Internisten an Boden. Die verbandspolitische Relevanz in den Fachgesellschaften DEGAM und DGIM ist unterschiedlich ausgeprägt, aber die Zahl der Klimaaktivisten in den Fachgruppen wächst. Franz-Günter Runkel hat sich für den „Allgemeinarzt“ umgehört. Wie halten es Allgemeinärzte mit dem Klimaschutz?
Zum ersten Mal haben 196 Staaten und die Europäische Union am 12. Dezember 2015 in Paris einen völkerrechtlich bindenden Vertrag beschlossen, um den Klimawandel zu bremsen und seine Auswirkungen abzufedern. Das Pariser Klimaabkommen soll dafür sorgen, dass die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit beschränkt wird; die Staaten wollen sogar versuchen, die Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat in der Folgekonferenz 2021 in Glasgow (COP 26) ein Gesundheitspapier veröffentlicht. Mehr als 50 Länder haben sich verpflichtet, ihre Gesundheitssysteme zu dekarbonisieren. Ein großer Beitrag wird die Reduktion von Treibhausgasen sein.
Klimaresiliente Gesundheitsversorgungist das Ziel
Dr. med. Alina Herrmann arbeitet in der Arbeitsgruppe Klimawandel, Ernährung und Gesundheit am Institut für Global Health des Universitätsklinikums Heidelberg. Sie ist Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft „Klimawandel und Gesundheit“ der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). Sie war an der Entwicklung praktikabler Leitlinien für Aktionspläne zum Schutz der Gesundheit bei Hitze in Deutschland beteiligt und hat der Arbeitsgruppe „Gesundheit im Klimawandel“ der WHO Europa als „reporting expert“ über den Hitzeschutz in Deutschland berichtet. „Unter dem Strich geht es um das Ideal eines präventiven Gesundheitssystems, das weniger Reparaturbetrieb sein möchte. Eine klimaresiliente Gesundheitsversorgung ist das Ziel. Der Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition bezieht sich ebenfalls auf die Förderung der Gesundheitsprävention.“
Die Annäherung der DEGAM an den Klimawandel begann 2019 auf der Jahrestagung in Erlangen in Form eines Workshops zum Thema „Klimawandel und Gesundheit in der hausärztlichen Medizin“. Daraus entstand die Idee, eine Arbeitsgemeinschaft Klimawandel/Gesundheit in der DEGAM zu gründen. Da Herrmann im Forschungsgebiet Klima und Gesundheit einen Namen hatte, wurde sie Mitglied der AG und später auch ihre Sprecherin.
Nach der Veröffentlichung des Positionspapiers zum Klimawandel hat sich die Arbeitsgruppe an das zweite Megathema gemacht – die Verankerung des Themas in der Leitlinienarbeit. „Wenn die Behandlung von Folgen des Klimawandels und deren Prävention sowie die Umsetzung klimafreundlicher Medizin die klinische Medizin erreichen soll, dann muss es auch integraler Bestandteil der Leitlinien werden“, erläutert Dr. Herrmann.
Inhalte für klimasensible Gesundheitsberatung gesucht
Im Moment bieten einige AG-Mitglieder in ihrer Praxis bereits Gesundheitsberatungen zu Klimaresilienz an. Wichtig sei für viele Allgemeinärzte die Beratung der Patienten zu einem klimafreundlichen und gesundheitsbewussten Lebensstil. „Gesundheitsschutz ist auch Klimaschutz“, so Herrmann. In der Forschung sind die Inhalte von Klimasprechstunden im Sinne klimaschützender Elemente aller Behandlungen noch nicht definiert. Deshalb untersucht Dr. Herrmann dieses Phänomen wissenschaftlich. Konkret geht es um die Prävention bei Hitzewellen, eine Lebensstilberatung (Mobilität, Ernährung etc.) und die Stärkung der mentalen Gesundheit. „Die Folgen der Überflutungen des vergangenen Jahres zum Beispiel haben depressive Schübe und posttraumatische Belastungsstörungen ausgelöst“, berichtet Herrmann.
Wissenschaftliche Grundlagen für die allgemeinärztliche Klimasprechstunde sind bis heute Mangelware. Die Arbeitsgruppe arbeitet an praktischen Leitfäden und Informationsmaterialien für Allgemeinärzte. „Klimaschutz und Gesundheitsschutz sind kein Widerspruch, sondern zwei Seiten einer Medaille“, betont Herrmann. Das haben DEGAM und die World Organization of Family Doctors (WONCA) erkannt und fördern das Klimabewusstsein in der Medizin. „Wir müssen politisch diskutieren, wie das Klima in der Medizin geschützt wird, aber wir sollten nicht mehr darüber diskutieren, ob es geschützt werden sollte. Seit dem Pariser Abkommen zum Klimaschutz und zur Festschreibung des 1,5-Grad-Ziels ist diese politische Frage entschieden“, stellt Herrmann klar.
Was Dr. med. Alina Herrmann in der DEGAM tut, betreibt die Kölner hausärztlich tätige Internistin Dr. med. Susanne Balzer, Hausarztpraxis Metz und Balzer, im Ressort Klimaschutz der Arbeitsgemeinschaft „Hausärztliche Internisten“ der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM). Die Berichterstattung vom Deutschen Ärztetag im Herbst erweckte den Eindruck, dass Klimawandel und Klimaschutz in den Köpfen der Ärzte angekommen sind. „Meine Erfahrung zeigt aber“, betont Dr. Balzer, „dass zu wenig auf dem Weg ist. Im Alltag der Praxen ist der Klimawandel noch nicht als gravierendes Problem angekommen.“ Das sei schade, weil gerade Allgemeinärzte oder hausärztliche Internisten das Gros der Bevölkerung erreichen können.
Klimaschützende Ärzte sind oft noch Einzelkämpfer
2018 hat sich die Arbeitsgemeinschaft „Hausärztliche Internisten“ in der DGIM gegründet. „Ich habe mich immer mehr klimasensibilisiert und bin 2019 auf die AG zugegangen, weil die DGIM keine Klimaschutz-Initiative hatte.“ Daraus entstand das Ressort „Klimaschutz“ der AG. 2021 konnten beim DGIM-Kongress, in Zusammenarbeit mit der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG e.V.), wesentliche Inhalte von Klima- und Gesundheitsschutz in mehreren hochrangigen Symposien präsentiert werden. Für den Kongress 2022 zeigt es sich ohne eine Partnerorganisation ungleich schwieriger, das Thema zu platzieren. „Es gibt Unterstützer, aber ich würde mir eine größere Gruppe an Aktiven wünschen“, so Balzer, aber „es wird auch dieses Jahr spannende Veranstaltungen geben.“
2022 gibt es Fördertöpfe für Klimaschutz-Beauftragte
Der Klimaschutz im Gesundheitswesen kann aus der Sicht von Dr. Balzer nicht dauerhaft ehrenamtlich betrieben werden, sondern muss institutionell in den Ärztekammern und Fachgesellschaften gefördert werden. „Hauptamtliche Mitarbeiter müssen Klimaschutz betreiben. 2022 wird es Fördertöpfe vom Bundesumweltministerium geben, aus denen hauptamtliche Klimaschutzstellen finanziert werden können. Wünschenswert wäre dies natürlich für jede gesundheitspolitische und -bildende Institution. Die DGIM wird nun zunächst ein übergeordnetes Ressort ,Klimaschutz‘ ins Leben rufen und ich hoffe auf viele Mitstreiter“, berichtet Balzer.
Dr. Balzer nutzte die Vorarbeiten der Initiative „Nachhaltige Praxis“ der Dresdener „Health for Future“-Gruppe, um eine Checkliste mit „Tipps für eine nachhaltige Arztpraxis“ zu entwerfen, welche über die Seite der DGIM abrufbar ist. Über KLUG e.V. können klimaaktive Arztpraxen sich zum Projekt „Transformative Arztpraxen“ zusammenschließen. Gefördert wird dies u.a. vom Umweltbundesamt. Unter www.klima-gesund-praxen.de entsteht ebenfalls eine gemeinsame Plattform für klimafreundliche Arztpraxen. Das Ziel ist ein Netzwerk nachhaltiger Praxen in Deutschland zu etablieren und wissenschaftliche Informationen für die Transformation zu einem klimaresilienten Gesundheitswesen verfügbar zu machen.
Autor
Franz-Günter Runkel
Betreut als freier Redakteur die Ressorts Berufs- und Gesundheitspolitik, Wissenschafts- und Hochschulpolitik im „Allgemeinarzt“
Zitierhinweis: erschienen in dieser Ausgabe
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