
15. November 2022
„Klima, Krieg und Katastrophen“
Hausärzte und -ärztinnen als Krisenmanager?
Die Stimmung in Deutschland könnte besser sein. Viele sind erschöpft von fast drei Jahren Pandemie. Manche stecken auch immer noch im Angst- und Krisenmodus fest. Dabei geht Deutschland ganz anders gerüstet in den Winter, immunologisch stehen wir viel besser da als noch vor einem Jahr.
Wenn wir uns in unseren Praxen umhören, liegen die Sorgen und Ängste mittlerweile ohnehin woanders. Die Menschen haben weniger Angst vor „Corona“, sondern davor, ob sie ihre nächste Gasrechnung bezahlen können – oder sogar auch nur den nächsten Einkauf. Dazu kommen die globalen Krisen: Wie geht der Krieg in der Ukraine weiter? Wie entwickelt sich die Klimakrise? Wird es wieder Hitzewellen und Überschwemmungen geben?
Diese Themen schlagen momentan auch bei den Hausärztinnen und Hausärzten auf. Da sind wir oft genug als Krisenmanager gefragt, denn die gegenwärtigen Krisen belasten die Menschen – mal mehr, mal weniger. Im Sprechzimmer gilt, individuell auf die jeweilige Situation einzugehen, das Gespräch zu suchen, gemeinsam zu entscheiden. Und auch, den Menschen Mut zu machen. Angst ist schon immer ein schlechter Ratgeber gewesen.
Und auch den sozialen Zusammenhalt stärken wir in der Hausarztmedizin: Die primärärztliche Versorgung lebt von Offenheit, von Akzeptanz, vom direkten Kontakt und Austausch mit allen Bevölkerungsgruppen. Denn was wir nicht brauchen, sind noch mehr soziale Verwerfungen, die oft durch mangelnde Toleranz entstehen – und die gerade in der Pandemie doch ziemlich gelitten hat.
Damit unsere Praxen in diesen unruhigen Zeiten Orte der sozialen Stabilität bleiben können, müssen natürlich die Rahmenbedingungen stimmen. Wir brauchen – das ist ein oft wiederholtes Mantra – eine Aufwertung der sprechenden Medizin. Und wir brauchen gleichzeitig die Möglichkeit, digitale Lösungen so einzusetzen, dass Freiräume für das Gespräch entstehen. Das ist die Voraussetzung für echte Beziehungsgestaltung im Sprechzimmer.
Autor
Prof. Dr. med. Martin Scherer
Institutsdirektor
Institut und Poliklinik Allgemeinmedizin
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)
Bisher erschienen
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Gastkommentare
Zitierhinweis: erschienen in dieser Ausgabe
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