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14. April 2023

Delegation in Zeiten des Ärztemangels

Rolle der Physician Assistants in der hausärztlichen Versorgung

Das Berufsbild Physician Assistant ist in Deutschland ein junger Berufszweig im medizinischen Dienst. Nur mühsam bahnt er sich in einem Assistenz-Wirrwarr aus Medizinischen Fachangestellten (MFA), Versorgungsassistentinnen und -assistenten in der Hausarztpraxis, VERAHs mit akademischem Studiengang, Community Health Nurses und Mitarbeitenden in Gesundheitskiosken seinen Weg. Für Dr. med. Wolfgang von Meißner ist es keine Frage mehr: „Ich brenne für den Physician Assistant in der Hausarztpraxis. Er bietet einen Schatz an Versorgungsmöglichkeiten!“

Der niedergelassene Allgemeinarzt ist Partner in der Praxisgemeinschaft „Hausärzte im Spritzenhaus“ sowie Gesellschafter des Medizinischen Versorgungszentrums von MEDI in Baiersbronn in Baden-Württemberg. Insgesamt neun Allgemeinärztinnen und Allgemeinärzte arbeiten in der Praxisgemeinschaft. Im nahen Medizinischen Versorgungszentrum gehört er zu den Gesellschaftern. Dr. von Meißner denkt groß, wenn es um die Zukunft des Allgemeinarztes geht.

Berufspolitisch macht sich Dr. von Meißner für die PA-Finanzierung in den Verhandlungen für haus- und fachärztliche Selektivverträge sowie für eine spezielle Abrechnungsziffer im EBM stark. „Der Mangel an ärztlichem Nachwuchs gibt diesem Anliegen eine besondere Dringlichkeit. Außerdem braucht es eine klare Definition delegierbarer Leistungen. In Bezug auf Delegation und Finanzierung ist Rechtssicherheit erforderlich.“

Mit MFA-Gehältern lockt man niemanden hinter dem Ofen hervor

Zwar ist das Baiersbronner Ärzteteam gut aufgestellt, aber es fällt immer schwerer, Medizinische Fachangestellte für die Praxisgemeinschaft zu finden. „Ein Gehalt von 2.500 bis maximal 3.000 Euro reicht nicht aus, um Frauen und Männer als Medizinische Fachangestellte in eine Hausarztpraxis zu locken“, weiß Dr. von Meißner. Der MEDI-Verbund fordert ein PA-Gehalt zwischen 5.000 und 5.500 Euro, was ungefähr dem Gehalt eines Arztes in Weiterbildung entspricht. Dafür bietet der Physician Assistant dann aber auch neue Möglichkeiten der Personalgewinnung und der Personalmotivation.

„Mit den Physician Assistants erschließt man sich einen ganz anderen Mitarbeiter-Pool. Unsere Praxis ist nun auch für männliche Bewerber interessant. Einer unserer beiden neuen PAs ist Krankenpfleger und hat sich zum OP-Pfleger weitergebildet. Aus seiner Krankenhaus-Tätigkeit bringt er viel chirurgisches Know-how mit, das wir in unserem Eingriffsraum gut gebrauchen können“, beschreibt der Allgemeinarzt die Vorzüge. Im Eingriffsraum näht der Assistent nun Platzwunden und betätigt sich in der Erstversorgung.

Mit Vanessa Billing fing im Spritzenhaus alles an

Vanessa Billing war MFA bei den „Hausärzten im Spritzenhaus“ und entschloss sich dann zum Studium an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Karlsruhe (DHBW). Zu Beginn erfüllte sie die typischen MFA-Tätigkeiten an der Anmeldung, im Labor und als Springer. Vor einigen Jahren wurde die Praxisgemeinschaft Kooperationspartner der DHBW für die PA-Ausbildung. Die „Hausärzte im Spritzenhaus“ waren erst die zweite offiziell zertifizierte duale Ausbildungsstätte im hausärztlichen Bereich.

Allerdings muss eine Praxis zu flexiblen Lösungen bereit sein, wenn sie sich auf den PA-Weg begibt. Das zeigt gerade das Beispiel Vanessa Billing. Im Rahmen der Praktika verlor die Praxis sie an ein Krankenhaus in Baden-Baden, wo sie seitdem im OP in der Gynäkologie arbeitet. Neulich teilte sie dann mit, dass sie 2024 ein Medizinstudium beginnen möchte. „Am Ende ist es möglich, dass sie als Allgemeinärztin in unsere Praxis zurückkehrt. Inzwischen haben wir aber zwei neue PA-Studierende gefunden, die gerade ihr Studium durchlaufen“, berichtet Dr. von Meißner.

Die Praxis-Variante des PA-Studiengangs

Das Baiersbronner Beispiel zeigt auch, dass PA-Studiengang nicht gleich PA-Studiengang ist. „In der Praxis können wir im Gegensatz zum Krankenhaus keine Rotation im Rahmen eines dualen Studiums anbieten. Deshalb gibt es den berufsintegrierenden Bachelor-PA-Studiengang mit sechs Semestern gemeinsam mit der Internationalen Studien- und Berufsakademie in Heidelberg“, erläutert der PA-Beauftragte. Der angehende Physician Assistant studiert regelmäßig online am Mittwochnachmittag sowie an jedem zweiten Freitag und Samstag in Präsenz in Heidelberg. „Für uns bedeutet es, dass wir den PA-Studenten nur an jedem zweiten Freitag freistellen müssen. Der Samstag wird über eine Freizeit-Regelung in der Woche ausgeglichen.“

Delegation und Abrechnung in der PA-Welt

Der Physician Assistant hat aus Sicht Dr. von Meißners eine tiefergehende Qualifikation als eine Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis (VERAH). „Er soll wie ein Arzt in Weiterbildung als ärztlicher Praxisassistent tätig sein, ohne am Ende das Rezept und die Krankmeldung zu unterschreiben. Das tut der Allgemeinarzt.“ So stelle der Assistent Diagnosen, die aber erst durch von Meißners Kürzel zur gültigen ärztlichen Diagnose werden. Diagnosestellung sowie Unterschriften unter Rezepte, Krankmeldungen und Überweisungen seien nicht delegierbar, sondern ureigenste ärztliche Aufgaben. Daran werde sich auch in PA-Zeiten nichts ändern. Die Abrechnung erfolge wie eine selbst erbrachte Leistung, die der Allgemeinarzt durch seine Unterschrift bestätige. „Aus IFFM-Sicht kann es nur so sein, dass der Arzt in der Verantwortung ist. Der Facharzt in Rufweite ist das Grundprinzip der Kooperation mit dem PA.“

Die Finanzierung des PA in der Hausarztzentrierten Versorgung

Im Unterschied zum Kollektivvertrag benötigt der Allgemeinarzt in der Hausarztzentrierten Versorgung zur Abrechnung lediglich einen Arzt-Patienten-Kontakt im Quartal. Alles andere ist im Hinblick auf die Abrechnung delegierbar. Die pauschalisierte HZV-Struktur ohne Mengenbegrenzung und Budgetgrenzen ist in Baden-Württemberg die ideale Voraussetzung für den PA-Einsatz, weil die Leistungen im hausärztlichen Selektivvertrag um rund 30% besser vergütet sind als im Kollektivvertrag auf EBM-Basis, so Dr. von Meißner. Die Budgetfreiheit der HZV-Struktur in Baden-Württemberg ermöglicht es der Hausarztpraxis, das PA-Gehalt über die Menge zu finanzieren.

Die Praxis übernimmt darüber hinaus auch die Studiengebühren und refinanziert sie über eine Art von Gehaltsumwandlung. Die Duale Hochschule Baden-Württemberg stellt 130 Euro im Semester in Rechnung, während es an privaten Hochschulen 500 bis 800 Euro monatlich kostet. „Wir haben mit den Physician Assistants Verträge abgeschlossen“, so Dr. von Meißner, „in denen sie ihr altes MFA- oder Krankenpflege-Gehalt sechs Jahre lang behalten. Die Verträge binden die Praxiskräfte für sechs Jahre an uns. Weil sie aber nach drei Jahren Studium weitere drei Jahre als PA zum MFA-Gehalt für uns arbeiten, zahlen sie ihre Studienschulden aus der Differenz an uns zurück.“

Die Finanzierung des PA im Einheitlichen Bewertungsmaßstab EBM

Eine Finanzierung über die Fallzahl-Ausweitung ist in Regionen mit geringem HZV-Anteil an der Versorgung nicht so einfach, weil der Allgemeinarzt aufgrund der Fallzahl-Überschreitung ein Budget-Problem bekommt und mit einer Honorar-Abstaffelung leben muss. „Das Ziel muss deshalb sein, die PA-Tätigkeit im Einheitlichen Bewertungsmaßstab abzubilden. Wir brauchen eine Finanzierung in der Regelversorgung, um das PA-Modell bundesweit durchzusetzen. Der Arzt muss mehr abrechnen können, um PA-Gehälter finanzieren zu können“, fordert Dr. von Meißner.

Die besondere Eignung des Physician Assistant in der Hausarztpraxis

In Baiersbronn arbeiten die Physician Assistants nach den DEGAM-Leitlinien. Da der PA-Studiengang auf Leitlinienstandards basiert, sind es die Absolventen gewohnt, nach Leitlinien zu arbeiten. „Was sie leisten, geht deutlich über die Fähigkeiten einer MFA oder einer VERAH hinaus. Ein PA arbeitet auf dem Niveau eines AiW im letzten Jahr der Weiterbildung“, erläutert der Allgemeinarzt.

In allen Behandlungsteilen sammelt der PA zunächst Daten und Fakten; danach kommt der Allgemeinarzt hinzu und nimmt eine ärztliche Bewertung vor. „In der Diagnostik kann er für die Schilddrüsen- oder die Abdomensonografie eingesetzt werden, wobei ich zum Schluss immer nochmal nachschaue“, erklärt Dr. von Meißner den praktischen Ablauf. Die ideale Hausarztpraxis der Zukunft besteht aus Sicht des baden-württembergischen Allgemeinarztes aus drei bis fünf hausärztlichen Sitzen sowie einer entsprechenden Zahl an Physician Assistants, VERAHs und Medizinischen Fachangestellten. „Für die PA-Zukunft sind Studiengänge mit vielen ambulanten Bezugspunkten wichtig, damit er in die Hausarztpraxis passt“, so Dr. von Meißner. Wenn diese Bedingungen erfüllt seien, hält er den PA für sehr wertvoll.

Sein Fazit: Der PA bietet jedem Praxisteam einen Schatz an Möglichkeiten.

Die Einsatzgebiete des PA in der Hausarztpraxis sind vielseitig

  • Akutsprechstunde und Akuthausbesuche

  • Diagnostische Vorselektion mit dem Marburger Herzscore

  • Bürokratie: Rentenanträge, Rehabilitationsanträge, Versicherungsgutachten, Einweisungs- und Entlassmanagement

  • Disease-Management-Programme in der Chroniker-Versorgung

  • Check-up-Vorsorge

  • Spezielle Diagnostik wie Schilddrüsen- und Abdomensonografie (Voruntersuchung)

Autor
Franz-Günter Runkel
betreut als freier Redakteur die Ressorts Berufs- und Gesundheitspolitik, Wissenschafts- und Hochschulpolitik.


Zitierhinweis: erschienen in dieser Ausgabe
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