
14. Dezember 2022
Akute Atemwegsinfekte mit Halsschmerzen und Husten
Rationale Antibiotikatherapie
Akute Atemwegsinfekte sind häufige Beratungsanlässe in der Hausarztpraxis. Die Mehrheit ist viral bedingt und selbstlimitierend, in bestimmten Fällen können Patientinnen und Patienten ggf. dennoch von einer Antibiotikatherapie profitieren. Wir stellen Ihnen anhand der beiden Beratungsanlässe „Halsschmerzen“ und „Husten“ evidenzbasierte Entscheidungsstrategien aus den beiden aktualisierten DEGAM S3-Leitlinien vor.
Eine Patientin mit Halsschmerzen
Die 23-jährige Lisa P. stellt sich in der Infektsprechstunde mit Halsschmerzen, Fieber (bis 38,7°C), Kopf- und Gliederschmerzen vor. Die Symptome bestehen seit dem Vortag. Ein COVID-19-Antigen-Schnelltest war negativ, eine PCR-Testung steht noch aus (wird aber am Folgetag negativ sein). Bei der Untersuchung zeigen sich zwei kleine schmerzhaft geschwollene Halslymphknoten sowie gerötete Tonsillen mit Stippchen. Verordnen Sie ein Antibiotikum?
Ein Blick in die Leitlinie
Abbildung 1 zeigt die Empfehlungen der S3-Leitlinie „Halsschmerzen“ zum Vorgehen bei akuten Halsschmerzen ohne Red Flags bei Erwachsenen.
Einschätzung mit Scores
Verschiedene Scores (Tab. 1) ermöglichen eine Abschätzung der Wahrscheinlichkeit, ob eine bakterielle Tonsillitis vorliegt. Sie können gleichwertig eingesetzt werden. Bei Patienten, bei denen eine hohe klinische Wahrscheinlichkeit für eine bakterielle Genese besteht (4–5 Score-Punkte), können Antibiotika die Symptomdauer durchschnittlich um ca. 16 Stunden verkürzen. Das Risiko für gefährliche Komplikationen wie das akute rheumatische Fieber (ARF) oder die akute Poststreptokokken-Glomerulonephritis (APSGN) ist in Deutschland sehr gering und eine Antibiotikatherapie zur alleinigen Vermeidung von Komplikationen ist nicht sinnvoll.
Umsetzung in der Praxis
Vor diesem Hintergrund kommt eine sofortige Antibiotikatherapie nur für Patientinnen und Patienten mit einer hohen Wahrscheinlichkeit für eine bakterielle Genese (4–5 Score-Punkte) und stärkeren Beschwerden, die eine Verkürzung der Symptome erstrebenswert machen, in Betracht. Bei Risikogruppen (z.B. schwere Immunsuppression, ARF in der Anamnese) wird stets individuell entschieden. Zwei Strategien können helfen, außerhalb von Risikogruppen in dieser Situation eine Reduktion von Antibiotikaverordnungen zu erzielen: „Delayed Prescribing“ und „Shared Decision Making“.
Delayed Prescribing
Beim Delayed Prescribing wird ein Rezept für ein Antibiotikum mitgegeben, das nicht sofort, sondern erst nach vorher besprochenen Maßgaben eingelöst werden soll, etwa im Falle einer weiteren Zunahme der Beschwerden oder bei anhaltendem Fieber (mehr als zwei Tage). Mit dieser Strategie ist in Studien ein Einsparpotenzial von rund 60% beschrieben. Die Patientenzufriedenheit ist vergleichbar mit einer sofortigen Antibiotikaverordnung.1 Ab einem mittleren Risiko (3 Score-Punkte) wird, wenn ein Therapiewunsch besteht, ein Delayed Prescribing empfohlen.
Shared Decision Making
Beim Shared Decision Making wird die Entscheidung, ob ein Antibiotikum verordnet wird, gemeinsam mit der Patientin oder dem Patienten getroffen. Dazu werden die Vor- und Nachteile beider Optionen dargestellt (Tab. 2) und gemeinsam bewertet. Diese Kommunikationstechnik reduziert in Studien die Häufigkeit von Antibiotikaverordnungen.2 Sie kann mit dem Delayed Prescribing kombiniert werden.
Ein Patient mit Husten
Der 43-jährige Bernd G. stellt sich erneut mit Husten vor. Er war bereits in der Vorwoche in der Infektsprechstunde bei Ihrer Kollegin gewesen, eine COVID-19-Infektion konnte ausgeschlossen werden. Anfangs bestanden erhöhte Temperaturen (37,8°C abends), die sich aber normalisiert haben. Auch initiale Hals- und Kopfschmerzen sind besser. Der Husten hat sich jedoch eher verschlechtert, es besteht gelb-grünlicher Auswurf und Herr G. kann wegen der Hustenanfälle nicht an Besprechungen teilnehmen. Er stellt sich jetzt erneut – etwas ungehalten – vor, da „die Kollegin ihm ja gar nichts aufgeschrieben hätte“. Puls, Blutdruck und Auskultation sind unauffällig.
Ein Blick in die Leitlinie
Abbildung 2 zeigt das in der Leitlinie „Akuter und chronischer Husten“ empfohlene Vorgehen bei Erwachsenen mit akutem Husten ohne „Red Flags“.
Für Patientinnen und Patienten mit akuter Bronchitis zeigt die Studienlage sehr klar, dass eine Antibiotikatherapie kaum Symptomverkürzung bringt, aber zu einem relevanten Anteil mit Nebenwirkungen einhergeht. Eine Antibiotikatherapie ist daher lediglich indiziert, wenn eine Pneumonie diagnostiziert oder klinisch vermutet wird.3
Differentialdiagnose Pneumonie
In der hausärztlichen Versorgung ist die Wahrscheinlichkeit, dass bei akutem Husten und unauffälligen Vitalparametern (Temperatur, Atemfrequenz und Herzfrequenz) sowie unauffälliger pulmonaler Auskultation eine Pneumonie vorliegt, sehr niedrig.4 Bei klinischem Verdacht auf eine Pneumonie schließt eine CRP-Bestimmung weder bei niedrigen Werten sicher eine Pneumonie aus, noch beweisen hohe Werte das Vorliegen einer bakteriellen Pneumonie. Goldstandard zur Sicherung der Diagnose ist eine Thorax-Röntgenaufnahme in zwei Ebenen. Die Thoraxsonografie bietet ebenfalls eine zuverlässige diagnostische Sicherung, sofern sie in der Praxis verfügbar ist und der Untersuchende die entsprechende Erfahrung hat.
Umsetzung in der Praxis
Bei einem viralen Atemwegsinfekt ist eine Antibiotikatherapie nicht indiziert – manchmal ist die Erwartungshaltung von Patientinnen und Patienten dennoch eine andere. Hier können verschiedene Strategien helfen, Antibiotikaverordnungen zu vermeiden, ohne dass die Patientenzufriedenheit darunter leidet.
Das A und O: gute Beratung
Häufig klaffen die Erwartungen von Patientinnen und Patienten zum Verlauf eines akuten Atemwegsinfektes und die tatsächliche Dauer besonders des Symptoms Husten auseinander. Weit verbreitete Sprichwörter („kommt 3 Tage, bleibt 3 Tage, geht 3 Tage“ oder „eine Woche mit Arztbesuch, 7 Tage ohne“) suggerieren eine Dauer von sieben bis zehn Tagen; diese Annahmen sind auch in der Bevölkerung verbreitet.
Tatsächlich dauert ein Husten im Rahmen eines akuten Atemwegsinfektes durchschnittlich 17,8 Tage.5 Der Husten besteht also oft deutlich länger als alle anderen Symptome. Eine Aufklärung über die zu erwartende, normale Hustendauer, die virale Genese und den fehlenden Benefit einer Antibiotikaverordnung bei gleichzeitigem Nebenwirkungspotenzial kann daher dazu beitragen, dass der Verzicht auf eine antibiotische Behandlung einvernehmlich erfolgen kann.
Biomarkergestützte Therapieentscheidung
In Studien führt eine Bestimmung von Entzündungsparametern (CRP oder Procalcitonin) dazu, dass nach dem Vorliegen des Resultats weniger Antibiotika verordnet werden. Dabei ist die Patientenzufriedenheit mit diesem Vorgehen sehr hoch. Komplikationen und schwere Verläufe waren mit einer Biomarker-gesteuerten Antibiotikatherapie nicht häufiger, wobei in den Studien im hausärztlichen Setting Komplikationen in beiden Gruppen sehr selten waren.6
KeyPoints
Die Wahrscheinlichkeit, dass eine bakterielle Tonsillitis vorliegt, kann mit verschiedenen Scores abgeschätzt werden.
Patientinnen und Patienten mit Halsschmerzen, bei denen eine bakterielle Tonsillitis wahrscheinlich ist, sollte im Rahmen eines Shared Decision Making ein Angebot für eine Antibiotikatherapie gemacht werden.
Delayed Prescribing kann helfen, die Verordnungsrate von Antibiotika zu senken.
Bei Erkältungen und Bronchitiden soll kein Antibiotikum verordnet werden.
Erwartungshaltungen von Patientinnen und Patienten können durch Beratungen zum Spontanverlauf und Selbstmanagement adressiert werden.
CRP- und PCT-Bestimmungen können helfen, Antibiotikaverordnungen zu reduzieren.
Autoren
Dr. med. Sabine Gehrke-Beck
Fachärztin für Allgemeinmedizin
Dr. med. Felix Holzinger
Facharzt für Allgemeinmedizin, MPH
Dr. med. Karen Krüger
Fachärztin für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde
Alle: Institut für Allgemeinmedizin der Charité
Universitätsmedizin Berlin
Interessenkonflikte: Die Autoren haben keine deklariert.
Literatur
1 Spurling GK et al.: Delayed antibiotic prescriptions for respiratory infections. Cochrane Database Syst Rev 2017; 9: Cd004417
2 Coxeter P et al.: Interventions to facilitate shared decision making to address antibiotic use for acute respiratory infections in primary care. Cochrane Database Syst Rev 2015; 11: CD010907
3 Smith SM et al.: Antibiotics for acute bronchitis. Cochrane Database Syst Rev 2017; 6: Cd000245
4 Marchello CS et al.: Signs and symptoms that rule out community-acquired pneumonia in outpatient adults: a systematic review and meta-analysis. J Am Board Fam Med 2019; 32(2): 234–47
5 Ebell MH et al.: How long does a cough last? Comparing patients‘ expectations with data from a systematic review of the literature. Ann Fam Med 2013; 11(1): 5–13
6 Aabenhus R et al.: Biomarkers as point-of-care tests to guide prescription of antibiotics in patients with acute respiratory infections in primary care. Cochrane Database Syst Rev 2014; (11): CD010130
7 S3-Leitlinie Halsschmerzen der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). AWMF Online 2020; AWMF-Register-Nr. 053-010
8 S3 Leitlinie akuter und chronischer Husten der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). AWMF Online 2021; AWMF-Register-Nr.: 053-013
Zitierhinweis: erschienen in dieser Ausgabe
Neueste Artikel

Problem chronischer Husten
Chronischer Husten kann verschiedene Ursachen haben und bedarf einer ausführlichen Diagnostik.

Welches Inhalationssystem passt zu wem?
Obstruktive Atemwegserkrankungen wie Asthma und COPD werden nach wie vor symptomatisch behandelt und dies vorwiegend durch inhalative Substanzen, die direkt an den Wirkort gelangen. Ihr ...

Notfalls auch mit E-Zigaretten
In Deutschland ist der Raucheranteil nach dem zweiten Lockdown wieder auf fast 35% angestiegen, vor allem in jüngeren Altersgruppen. Dies ist insofern besorgniserregend, als dass Rauchen ...