
8. Februar 2022
Osteopathie und Schulmedizin: Hand in Hand zum Wohl der Patienten
Was der osteopathische Arzt tun kann
Als ich vor 13 Jahren meine Praxis für osteopathische Medizin in einer Kleinstadt eröffnete, waren die Reaktionen meiner allgemeinmedizinischen Kolleginnen und Kollegen geteilt. Einige waren sehr interessiert und offen, andere mehr als skeptisch – und genauso haben die Kollegen auch ihre Patienten beraten zu der Frage, ob diese es „mal mit Osteopathie“ probieren sollten.
Inzwischen habe ich viele Kollegen selbst behandelt und auch zahlreiche ihrer Patienten. Dabei hat es sich gezeigt, dass es viele Situationen gibt, in denen es auch für Allgemeinärzte entlastend und hilfreich sein kann, manche Patienten zur osteopathischen Behandlung zu überweisen.
Was ist osteopathische Medizin?
Die osteopathische Medizin (OM) ist eine Ergänzung und Erweiterung zur Schulmedizin, keinesfalls eine Konkurrenz! Sie ist vielmehr Teil einer integrierten Patientenversorgung. Die OM sieht den Körper und seine Systeme als Einheit; sie stärkt die Fähigkeiten des Patienten, seine Gesundheit wiederherzustellen und zu erhalten.
In den USA ist das Studium der Osteopathie seit den 1960er-Jahren ein vollgültiges Medizinstudium mit zusätzlichen osteopathischen Inhalten. In amerikanischen Krankenhäusern arbeiten Osteopathen und „normale Ärzte“ miteinander.
1917 kam die Osteopathie über Dr. John Martin Littlejohn, einen Schüler des Begründers Andrew Taylor Still, zunächst nach England und dann auch nach Deutschland. Bis heute gibt es in Deutschland kein offizielles Berufsbild „Osteopath“ und keine staatlich geregelte Ausbildung. Allerdings gibt es renommierte Ausbildungsinstitute, etwa die Deutsche Gesellschaft für Osteopathische Medizin, die Ärzte und Physiotherapeuten zum Diplom Osteopathische Medizin für Ärzte/Osteopathische Therapie für Physiotherapeuten ausbildet. Für interessierte allgemeinmedizinisch tätige Kollegen gibt es symptombezogene Einführungsseminare, in denen osteopathische Techniken für den Praxisalltag vermittelt werden, die unmittelbar anwendbar sind.
Was macht der osteopathische Arzt genau?
Die Osteopathie kann vor allem bei unklaren oder chronischen Krankheitsbildern eingesetzt werden. Außerdem ist sie in Situationen hilfreich, in denen mit bildgebenden Verfahren kein Korrelat zum angegebenen Beschwerdebild gefunden werden kann. Häufig handelt es sich dann um funktionelle Beschwerden wie myofasziale Verspannungen oder segmentale Funktionsstörungen der Wirbelsäule. Sie können zu chronischen Beschwerden, etwa Rückenschmerzen, chronischen Verspannungen im Schulter-Nacken-Bereich, Schwindel, Kiefergelenkschmerzen, unklaren einseitigen Schmerzen, Ganzkörperbeschwerden etc. führen.
Manchmal sind auch alte Verletzungen, zum Beispiel nach Sturz auf das Steißbein, oder große Narben für Beschwerden verantwortlich (siehe Beispiel aus der Praxis). Im Lauf von Monaten bis Jahren wurden sie durch den Faszienzug oder die Muskelkette im Körper weitergeleitet und führen nun an anderer Stelle zu Schmerzen. Der menschliche Körper ist sehr kompensationsfähig. Daher dauert es manchmal lange Zeit, bis vielleicht ein Bagatellereignis zur Dekompensation führt und Folgen alter Verletzungen oder Dysfunktionen symptomatisch werden. Verheerend ist es, wenn schmerzgeplagte Patienten in solchen Fällen ohne klare klinische Indikation auf dem OP-Tisch landen, da dies die Beschwerden häufig nicht bessert.
Gerade ist ein „Level 1 umbrella Review“ veröffentlicht worden, das Studien zu den zehn häufigsten orthopädischen Eingriffen im Vergleich zu konservativen Therapiealternativen bzw. Placebo untersucht.1 Interessanterweise zeigen lediglich die Knie-TEP und die Operation des Karpaltunnelsyndroms eindeutig bessere Resultate als die konservative Therapie.
Solche Studien lenken den Fokus auf mögliche konservative Therapiemethoden, zu denen neben Physiotherapie, physikalischen Maßnahmen und Eigenübungen des Patienten auch komplementärmedizinische Verfahren wie die OM gehören. Wenn Patienten sich wiederholt mit den gleichen Beschwerden vorstellen und eine symptomatische Schmerzbehandlung die einzige Möglichkeit bleibt, ist dies für beide Seiten häufig unbefriedigend. Dann kann es sinnvoll und für den Hausarzt entlastend sein, einen osteopathisch arbeitenden Kollegen hinzuzuziehen.
Der Osteopath wird, unter Berücksichtigung des gesamten Körpers, mit weitgehend sanften Methoden versuchen, Dysfunktionen des Bewegungsapparats, aber auch der viszeralen Organe und des kraniosakralen Systems aufzulösen, um so eine anhaltende Besserung zu erreichen. Natürlich können nicht immer alle Schmerzen beseitigt werden, aber oft bessert sich die Beweglichkeit, können Schmerzmittel eingespart oder eine etwas längere Gehstrecke erzielt werden. So wird auch die Lebensqualität des Patienten gesteigert.
Studien zur osteopathischen Behandlung
Für die Wirksamkeit der OM gibt es in der anerkannten internationalen wissenschaftlichen Literatur eine Fülle von hervorragenden Veröffentlichungen amerikanischer D.O.s (Doctors of Osteopathic Medicine). In Deutschland ist die Studienlage mäßig. Dennoch gibt es immer wieder Reviews und Veröffentlichungen, die verschiedene konservative Therapieverfahren oder Placebo mit der osteopathischen Behandlung vergleichen.1–3 Leider besteht wenig Interesse an der Finanzierung solcher Studien.
Wer bezahlt die osteopathische Behandlung?
Grundsätzlich ist die osteopathische Behandlung eine Selbstzahlerleistung. Die gesetzlichen Krankenversicherungen geben in der Regel einen Zuschuss dazu, die privaten Kassen bezahlen meistens die Behandlung komplett.
Selbstverständlich kann die Osteopathie keine Krankheiten im schulmedizinischen Sinne heilen. Sie kann aber bei den häufig vorkommenden funktionellen Störungen einen wertvollen Beitrag zur schnelleren Genesung und Verbesserung der Lebensqualität leisten.
Allgemeinarzt und osteopathischer Arzt können von einer guten kollegialen Vernetzung im Sinne der verbesserten Patientenversorgung profitieren.
Fall aus der Praxis
Beratungsanlass:
Ein Lehrer (56) stellte sich mit seit etwa acht Monaten bestehenden, eher zunehmenden Schmerzen im Bereich der rechten Schulter und der BWS rechts betont in Höhe TH3 vor. Er berichtete zudem über ein Gefühl der Blockade beim Schreiben, zum Teil mit Ausstrahlung in den rechten Arm. Zudem seien Schluckstörungen aufgetreten, die der HNO-Arzt als funktionell bedingt eingeordnet hatte.
Anamnese:
Der Patient fährt viel Fahrrad (ca. 400km/Woche). Vor einem Jahr stürzte er auf die rechte Seite, maß dem aber nicht viel Bedeutung zu.
In den vergangenen Monaten waren physiotherapeutische Maßnahmen und chirotherapeutische Behandlungen der BWS ohne Besserung erfolgt. Das MRT der HWS bis TH4 ergab keine Erklärung für die geklagten Schmerzen.
Der HNO-ärztliche Kollege verwies den Patienten zur konsiliarischen Behandlung.
Körperliche Untersuchung:
Klinisch fand sich eine Rippenblockade von Costa 3 und 4 rechts sowie eine segmentale Hypomobilität der BWS von TH1 bis TH4 und der HWS im Bereich C6/C7 rechts. Die Halsmuskulatur, vor allem die infrahyoidale Muskulatur, war rechts deutlich eingeschränkter als links, die Halsfaszien rechts verkürzt und verspannt. Die Schulter war frei und schmerzlos beweglich. Das Zwerchfell auf der rechten Seite deutlich verspannt.
Behandlung:
Nach einer einmaligen osteopathischen Behandlung von Wirbelsäule, Rippen, oberer Thoraxapertur, Halsweichteilen und Pleura besserten sich die Beschwerden bereits. Nach zwei weiteren Behandlungen war der Patient weitgehend beschwerdefrei. Hauptauslöser für die Funktionsstörungen von BWS und Rippen sowie für die konsekutiven Verspannungen im Halsbereich dürfte der lange zurückliegende Sturz gewesen sein.
Autorin
Dr. med. Ute Beckmann
Privatärztliche Praxis für osteopathische Medizin
Büdingen
Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert.
Literatur
1 Blom AW et al.: BMJ 2021; 374: n1511
2 Knebl JA et al.: J Am Osteopath Assoc 2002; 102(7): 387–96
3 Thomas E et al.: Chiropr Man Therap 2019; 27: 35
Zitierhinweis: erschienen in dieser Ausgabe
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