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1. Februar 2023

Zukunft von dualen und Tripelagonisten

Ausblick: Therapie der Adipositas

Derzeit baut das therapeutische Management von Übergewicht auf vier Säulen auf. In Zukunft sind gerade in der medikamentösen Therapie neben Lebensstilmodifikationen effektive Alternativen und viel Neues zu erwarten und der bariatrischen Nachsorge nach Operationen sollte ein höherer Stellenwert zugesprochen werden.

Moderne Adipositasbehandlung basiert auf den vier Säulen Ernährungstherapie, Bewegungstherapie, medikamentöse Therapie und, bei schweren Formen der Adipositas, auch bariatrische Therapie. Gerade in den letzten Jahren gab es einen rasanten Zuwachs an neuen Substanzen, die zumeist auf GLP-1-Rezeptoragonisten (GLP-1-RA) basieren, aber zukünftig wohl in verschiedenen Kombinationen zum Einsatz kommen könnten – zum Beispiel duale GLP-1/GIP(Glukose-abhängiges insulinotropes Peptid)-Agonisten, GLP-1/Amylin-Analoga, duale GLP-1/PYY(Peptid YY)-Agonisten oder sogar Tripelagonisten.

Bis vor wenigen Jahren war es so, dass es zwar einige Substanzen zur Behandlung der Adipositas in den USA auf dem Markt gab, allerdings nicht in Europa, wo lange Zeit nur Orlistat als einziges Medikament zugelassen war. Vor allem durch die Einführung von Liraglutid als erstem GLP-1-Analogon, welches auch bei Menschen ohne Diabetes zur Behandlung von Adipositas zugelassen wurde, veränderte sich das Bild und die Säule der medikamentösen Therapie der Adipositas hat nun eine wachsende Bedeutung. Die Grundlage jeder Adipositastherapie ist nach wie vor eine Änderung des Lebensstils, zu der eine Ernährungsumstellung sowie eine Zunahme der körperlichen Bewegung gehören (Abb.).1

Abb.: Behandlungspfad für Menschen mit Adipositas im niedergelassenen Bereich (nach Durrer Schutz D et al. 2019)1

Indikation Adipositastherapie

Laut den internationalen Leitlinien hat jeder Mensch mit einem Body-Mass-Index (BMI) >27kg/m2 und einer Begleiterkrankung oder einem BMI >30kg/m2 eine Indikation für eine Adipositastherapie.1 Die Definition erfolgt nach wie vor über den BMI, auch wenn allgemein bekannt ist, dass dieser nicht der ideale Parameter zur Erfassung von einem Menschen mit Adipositas ist. Allerdings ist der BMI der am weitesten verbreitete und am einfachsten zu erhebende Parameter.

Die Basis jeder Therapie: Ernährung

In Bezug auf die Ernährung wird in den Leitlinien die mediterrane Ernährungsform positiv hervorgehoben, da es hierfür mittlerweile Studiendaten gibt, die auch eine Mortalitätsreduktion beschreiben. Zusätzlich sind es vor allem allgemeine Richtlinien wie langsames und regelmäßiges Essen, um das Snacken zu vermeiden und die Dichte der Nahrung zu reduzieren, und die Empfehlung, regelmäßig Obst und Gemüse zu essen. Zudem sollte man versuchen, weniger verarbeitete Kohlenhydrate und mehr ungesättigte Fettsäuren bzw. keine zuckerhaltigen Getränke zu konsumieren. Grundlage hierfür ist natürlich eine diätologische Beratung.

Medikamentöse Therapie

Gerade in der medikamentösen Therapie gab es in den vergangenen Jahren viel Bewegung und wir erwarten auch in den kommenden Jahren noch einige neue, aus heutiger Sicht äußerst potente Medikamente zur Behandlung der Adipositas auf dem Markt. Derzeit gibt es vier verschiedene Substanzen, die zur Behandlung der Adipositas zugelassen sind:

  • Orlistat (Xenical®)

  • Naltrexon/Bupropion (Mysimba®)

  • Liraglutid 3,0mg (Saxenda®)

  • Semaglutid 2,4mg (Wegovy®)

Semaglutid 2,4mg ist leider aufgrund von Lieferengpässen nach wie vor nicht am österreichischen und deutschen Markt verfügbar und zählt daher in der für die Behandlung der Adipositas notwendigen Dosierung immer noch zu den zukünftigen Therapieoptionen. An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass die Kosten der medikamentösen Therapie leider nicht von den Sozialversicherungen übernommen werden.

Effektivität der GLP-1-Rezeptoragonisten

GLP-1-RA haben nicht nur in klinischen Phase-III-Studien, sondern bei Menschen mit Diabetes auch in CVOTs (Cardiovascular Outcome Trials) bewiesen, dass es bei ihrer Anwendung auch über einen längeren Zeitraum hinweg zu einer deutlichen Gewichtsreduktion kommt.2,3 Aufgrund der multiplen Wirkungen der GLP-1-RA sind sowohl Liraglutid 3,0mg als auch Semaglutid 2,4mg bei Menschen ohne Diabetes zur alleinigen Gewichtsreduktion zugelassen.4 Sowohl für Liraglutid 3,0mg als auch für Semaglutid 2,4mg läuft ein großes Studienprogramm weltweit. Die CVOTs in dieser Indikation werden vermutlich 2023 abgeschlossen sein und man kann gespannt sein, ob auch bei Menschen ohne Diabetes ein kardiovaskulärer Benefit erzielt werden kann. Falls ja, und dies versteht sich nun nur als Spekulation, wird sich der Einsatz dieser Medikamente sicherlich noch um ein Vielfaches weiter erhöhen.

Liraglutid 3,0mg konnte über 160 Wochen hindurch einen stabil anhaltenden Gewichtsverlust von 7% Körpergewicht (KG) erzielen.5 Da es bereits seit mehr als einem Jahrzehnt in einer niedrigeren Dosierung als Diabetestherapie zugelassen ist, war es nicht verwunderlich, aber trotzdem sehr erfreulich, dass es bei Menschen mit Prädiabetes in einer Studie über drei Jahre die Manifestation von Typ-2-Diabetes um ca. 80% reduzieren konnte.5

Semaglutid 2,4mg erzielt einen deutlich stärkeren Gewichtsverlust verglichen mit Liraglutid 3mg – in etwa 16%an Körpergewicht über 68 Wochen.6 Ein Vorteil ist außerdem, dass eine einmal wöchentliche Injektion ausreicht. Die Zulassung durch die EMA (European Medicines Agency) erfolgte bereits im November 2021. Aufgrund der hohen Nachfrage und von Lieferengpässen ist derzeit der Markteintritt noch offen.

Erster dualer GLP-1/GIP-Agonist

Tirzepatid, der erste duale GLP-1/GIP-Agonist, hat seit Juli 2022 eine positive Stellungnahme der EMA in der Indikation Diabetes mellitus. Auf die finale Zulassung wird noch gewartet. Im Juni wurde im Rahmen des Kongresses der amerikanischen Diabetesgesellschaft (ADA) die SURMOUNT-1-Studie präsentiert, welche Tirzepatid in Menschen mit Adipositas ohne Diabetes untersucht hat und einen drastischen Gewichtsverlust nach 72 Wochen (20,9%an Körpergewicht in der 15-mg-Dosis) gezeigt hat.7 Die SURMOUNT-1-Studie ist die erste eines großen Phase-III-Studienprogrammes in der Indikation Adipositas, auch ein CVOT ist kurz vor dem Start.

GLP-1/Amylin-Co-Agonist

Ein weiterer vielversprechender Kandidat als potentes Medikament ist sicherlich Cagrilintid/Semaglutid, ein GLP-1/Amylin-Co-Agonist. Cagrilintid ist ein langwirksames Amylin-Analogon, welches nicht nur die postprandiale Glukagonausschüttung unterdrückt, sondern auch die Magenentleerung verzögert, einen Einfluss auf die Nahrungsmittelauswahl hat und die Kalorienaufnahme reduziert. Cagrilintid alleine führt dosisabhängig zu bis zu 6–10% Gewichtsverlust, in Kombination mit 2,4mg Semaglutid aber zu bis zu 15%Gewichtsverlust an Körpergewicht.8,9

Zukünftige medikamentöse Optionen

In den vergangenen Jahren hat sich viel verändert in der medikamentösen Adipositastherapie. Allerdings erwarten wir auf dem Markt in den kommenden Jahren noch weitere Substanzen für die Adipositastherapie, die dann einen noch stärkeren Gewichtsverlust erzielen könnten. Dies sind einerseits PYY-Analoga, aber auch Tripelagonisten – in verschiedenen Kombinationen, zum Beispiel GLP-1/GIP/Glukagon- oder auch GLP-1/Glukagon/CCK2-Agonisten u.v.m.10,11 Auch im Bereich der Stuhltransplantationen zur Behandlung von Adipositas wird man in den nächsten Jahren sicherlich noch einiges durch die Forschung lernen. In weiterer Zukunft liegt die Antiadipositastherapie durch Nanotechnologie. Einerseits sollen hier bestimmten Produkten sogenannte Nutriceuticals zugefügt werden, um sie gesünder zu machen, andererseits arbeitet die Forschung daran, wie man mittels Nanotechnologie genetische und epigenetische Antiadipositastherapien zum Einsatz bringen kann.12 Heute klingen sie zum Teil noch wie Inhalte aus einem Science-Fiction-Roman, jedoch sind so viele Menschen weltweit von Adipositas betroffen, dass die Forschung sicherlich daran interessiert ist, multiple Therapieansätze zu suchen.

KeyPoints

  • Die Adipositastherapie benötigt (auch in der Zukunft) immer einen multidisziplinären Ansatz.

  • Duale und Tripelagonisten sind in Studien äußerst effektiv, zeigen bislang auch ein gutes Sicherheitsprofil und könnten bariatrische Operationen zeitlich hinauszögern (in Bezug auf den BMI).

  • Bei Zunahme an bariatrisch operierten Menschen wird die Qualität der Nachsorge immer bedeutsamer.

Autorinnen
Priv.-Doz. Dr. med. Johanna Brix
Dr. med. Verena Parzer
1. Medizinische Abteilung
Klinik Landstraße
Wien

Interessenkonflikte:
Die Autorinnen haben keine deklariert.

1 Durrer Schutz D et al.: European practical and patient-centred guidelines for adult obesity management in primary care. Obes Facts 2019; 12(1): 40–66

2 Gerstein HC et al.: Dulaglutide and cardiovascular outcomes in type 2 diabetes (REWIND): a double-blind, randomised placebo-controlled trial. Lancet 2019; 394(10193): 121–30

3 Marso SP et al.: Semaglutide and cardiovascular outcomes in patients with type 2 diabetes. N Engl J Med 2016; 375(19): 1834–44

4 Campbell JE, Drucker DJ: Pharmacology, physiology, and mechanisms of incretin hormone action. Cell Metab 2013; 17(6): 819–37

5 le Roux CW et al.: 3 years of liraglutide versus placebo for type 2 diabetes risk reduction and weight management in individuals with prediabetes: a randomised, double-blind trial. Lancet 2017; 389(10077): 1399–409

6 Wilding JPH et al.; STEP 1 Study Group: Once-weekly semaglutide in adults with overweight or obesity. N Engl J Med 2021; 384(11): 989–1002

7 Jastreboff AM et al.; SURMOUNT-1 investigators: Tirzepatide once weekly for the treatment of obesity. N Engl J Med 2022; 387(3): 205–16

8 Lau DCW et al.: Once-weekly cagrilintide for weight management in people with overweight and obesity: a multicentre, randomised, double-blind, placebo-controlled and active-controlled, dose-finding phase 2 trial. Lancet 2021; 398(10317): 2160–72

9 Enebo LB et al.: Safety, tolerability, pharmacokinetics, and pharmacodynamics of concomitant administration of multiple doses of cagrilintide with semaglutide 2,4mg for weight management: a randomised, controlled, phase 1b trial. Lancet 2021; 397(10286): 1736–48

10 Knerr PJ et al.: Next generation GLP-1/GIP/glucagon triple agonists normalize body weight in obese mice. Mol Metab 2022; 63: 101533

11 Zhao S et al.: A GLP-1/glucagon (GCG)/CCK2 receptors tri-agonist provides new therapy for obesity and diabetes. Br J Pharmacol 2022; 179(17): 4360–77

12 Ash GI et al.: Promises of nanotherapeutics in obesity. Trends Endocrinol Metab 2019; 30(6): 369–83


Zitierhinweis: erschienen in dieser Ausgabe
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