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25. Juli 2022

Therapieoptionen bei krankhaftem Übergewicht

Chirurgisch oder endoskopisch?

Die effektivste Behandlung der morbiden Adipositas und deren Begleiterkrankungen ist die bariatrische und metabolische Chirurgie, wie zahlreiche Studien belegen.1–3 Sie reduziert die Gesamtmortalität und verbessert die Morbidität signifikant.2,4 Trotzdem wird sie in Deutschland längst nicht allen geeigneten Patienten angeboten.5

Übergewicht und Adipositas sind die drängendsten sozioökonomischen Probleme weltweit. Damit einher gehen nicht nur eine eingeschränkte Funktionalität und diverse Begleiterkrankungen, die Betroffenen werden stigmatisiert und haben eine geringere Lebenserwartung.6 Konservative Therapien scheitern meist, da der menschliche Körper beeindruckende Fähigkeiten vorhält, um sich auf eine negative Energiebilanz einzustellen.7, 8

Bariatrische Eingriffe wirken langfristig

Dagegen gibt es inzwischen eine sehr gute Evidenz zur langfristigen Wirksamkeit etablierter bariatrischer Eingriffe. So konnte in einer prospektiv randomisierten Studie mit einem Zehn-Jahres-Follow-up gezeigt werden, dass Patienten etwa 25 bis 30% ihres Ausgangsgewichts langfristig abnehmen. Dabei verbesserten sich die Funktionalität und Lebensqualität deutlich stärker als unter konservativer Therapie. Der antidiabetische Wirkungsgrad der metabolischen/bariatrischen Chirurgie ist für Diabetespatienten im Vergleich zur konservativen antidiabetischen Therapie deutlich überlegen. Der Anteil der chirurgisch behandelten Patienten, die nach zehn Jahren Insulin benötigen, ist um den Faktor zehn geringer als in der Kontrollgruppe. Noch deutlicher ist der Unterschied im Auftreten mikro- und makrovaskulärer Komplikationen.2 Daher empfiehlt die Internationale Diabetes Föderation (IDF) die chirurgische Therapie für Patienten mit einem Diabetes mellitus Typ 2 und Übergewicht.9 Dabei sollte Patienten frühzeitig eine Operation angeboten werden, bevor sie Endorganschäden erleiden.10

Risiko für Leberkrebs sinkt, Lebenserwartung steigt

Wie Rustgi et al. beweisen konnten, bessert eine bariatrische Operation bei Patienten mit einer nichtalkoholischen Lebererkrankung und morbider Adipositas nicht nur die Fettlebererkrankung signifikant, sondern reduziert auch das Krebsrisiko.11

Eine kürzlich hochrangig veröffentlichte Metaanalyse zeigte, dass durch bariatrische Operationen die Lebensdauer der Patienten im Durchschnitt um 6,1 Jahre verlängert wird. Dieser Überlebensvorteil war bei Diabetes mellitus Typ 2 sogar noch stärker ausgeprägt.4

Wann ist der richtige Zeitpunkt für den Eingriff?

Die aktuelle S3-Leitlinie „Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen“ unterscheidet zwischen einer bariatrischen (primäres Therapieziel: Gewichtsreduktion) und metabolischen (primäres Therapieziel: Verbesserung eines Typ-2-Diabetes) Indikation.

Demnach soll Patienten mit einem BMI >40kg/m² nach Ausschöpfen konservativer Therapiemöglichkeiten eine bariatrische Operation angeboten werden. Dies gilt auch für Patienten mit einem BMI >35kg/m² und einer Adipositas-assoziierten Begleiterkrankung (Tab.1, Fußnote a).

Die Leitlinie nennt zusätzlich eine sogenannte primäre bariatrische und primäre metabolische Indikation. Dies bedeutet, dass ein konservativer Therapieversuch vor der Operation nicht aussichtsreich erscheint, weshalb den Patienten primär die Operation angeboten werden soll (Tab. 1).12

Die Indikation zur Operation wird interdisziplinär durch erfahrene Ärzte aus Innerer Medizin, Viszeralchirurgie, Psychologie/Psychiatrie und Ernährungsmedizin gestellt. Gemeinsam mit den Patienten werden individuelle Therapieziele erarbeitet. Wichtig ist, eine realistische Erwartungshaltung zu vermitteln sowie festzustellen, ob die Patienten zu einer lebenslangen Therapie und Nachsorge bereit und in der Lage sind.10, 13 Vor dem Eingriff muss eine sekundäre Adipositas ausgeschlossen bzw. therapiert werden; etwaige Kontraindikationen sind ebenfalls auszuschließen.

Gute Behandlungsqualität in zertifizierten Adipositaszentren

Aktuell gibt es in Deutschland 91 durch die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) zertifizierte Adipositaszentren.14 Hier erfolgt eine standardisierte Behandlung, die eine Qualitätssicherung auf hohem Niveau gewährleistet.15 Durch den minimalinvasiven Zugang und die Standardisierung ist die durchschnittliche Mortalität nach bariatrischer Operation mit 0,06 bis 0,42% gering.1 Grundsätzlich sollten Patienten nur in zertifizierten Zentren oder Krankenhäusern, die kurzfristig eine Zertifizierung anstreben und über qualifiziertes Personal verfügen, operiert werden.

Bariatrische Chirurgie – die Verfahren

Die Sleevegastrektomie und der Roux-en-Y-Magenbypass machen den Großteil der in Deutschland durchgeführten bariatrischen Eingriffe aus (Tab. 2).17 Tabelle 3 gibt einen Überblick über die Charakteristika der beiden Verfahren.

Endoskopische Verfahren – (k)eine Alternative

Es existieren einige endoskopische Verfahren zur Therapie der Adipositas. Das Spektrum reicht von restriktiven Methoden wie dem Magenballon über Aspirationstherapien und Nahttechniken bis hin zu Eingriffen am Duodenum.36, 37 Die bisherigen Daten zu diesen Verfahren zeigen meist nur vorübergehende und im Vergleich zur bariatrischen Chirurgie geringere Effekte bei schlechter Evidenzlage. Daher werden endoskopische Therapien in der aktuellen Leitlinie als alleinige Behandlung bisher nicht empfohlen.12, 38 Haben endoskopische Verfahren bisher zumeist keinen Stellenwert in der primären Adipositastherapie, so sind sie im Management von Komplikationen nach Operationen und in der Augmentation nach stattgehabter Operation bereits etabliert. Beispielsweise wird die endoluminale Vakuumtherapie nach Anastomosen- oder Klammernahtreiheninsuffizienzen eingesetzt. Sie weist durch die endoskopische Applikation eines Schwammes exzellente Heilungsraten auf.39 Gute Ergebnisse erzielen auch endoskopische Nahttechniken bei postoperativer Dumpingsymptomatik oder erneuter Gewichtszunahme nach einer bariatrischen Operation, zum Beispiel die transorale outlet-reduction.40–42 In der präoperativen Konditionierung werden endoskopische Eingriffe (z.B. Magenballons) ebenfalls angewendet, um einen präoperativen Gewichtsverlust zu erreichen und das perioperative Risiko zu senken.43

Chirurgie: Beginn einer lebenslangen Therapie

Nach bariatrischer Operation ist eine lebenslange Nachsorge notwendig. Die Patienten müssen dauerhaft Vitamine und Spurenelemente zu sich nehmen (Tab. 4). Unter einer leitliniengerechten Substitution sind Mangelzustände selten und oftmals nicht stark ausgeprägt.44 Einmal jährlich sollten sie sich zudem zur Kontrolle in einem Adipositaszentrum oder bei einem Kooperationspartner vorstellen.12 Zudem sollten nach Sleevegastrektomien regelmäßig alle zwei bis drei Jahre Magenspiegelungen durchgeführt werden, um etwaige Reflux-assoziierte Läsionen frühzeitig zu erkennen.45

KeyPoints

  • Die bariatrische Chirurgie ist derzeit evidenzbasiert die effektivste Behandlung der morbiden Adipositas und deren Begleiterkrankungen.

  • In zertifizierten Zentren wird die bariatrische Chirurgie mit guter Behandlungsqualität und niedriger Komplikationsrate durchgeführt.

  • Die Chirurgie ist Beginn einer lebenslangen Therapie.

  • Endoskopische Prozeduren haben bisher einen Stellenwert in der Behandlung von Komplikationen, in der Augmentation und präoperativen Konditionierung.

Autoren
Priv.-Doz. Dr. med. Florian Seyfried
Leiter Chirurgie oberer Gastrointestinaltrakt
Leiter des Referenzzentrums für metabolische und bariatrische Chirurgie
Universitätsklinikum Würzburg

Laura Krietenstein
Assistenzärztin der Allgemein- und Viszeralchirurgie
Universitätsklinikum Würzburg

Interessenkonflikte:
Die Autoren haben keine deklariert.

1 Sjöström L et al. JAMA 2012; 307(1): 56–65

2 Mingrone G et al. Lancet 2021; 397(10271): 293–304

3 Cheng J et al. Oncotarget 2016; 7(26): 39216–30

4 Syn NL et al. Lancet 2021; 397(10287): 1830–41

5 Lenzen-Schulte M. Dtsch Arztebl 2018; 115(11): A-484 / B-423 / C-423

6 Whitlock G et al. Lancet 2009; 373(9669): 1083–96

7 Cummings DE, Schwartz MW. Annu Rev Med 2003; 54: 453–71

8 Dansinger MLet al. JAMA 2005; 293(1): 43–53

9 Dixon JB et al. Diabet Med 2011; 28(6): 628–42

10 Aminian A et al. Ann Surg 2017; 266(4): 650–7

11 Rustgi VK et al. Gastroenterology 2021; 161(1): 171–84.e10

12 DGAV. S3-Leitlinie: Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen. 2018.

13 Hering I et al. Chirurg 2018; 89(8): 597–604

14 www.dgav.de/zertifizierung/zertifizierte-zentren/adipositas-und-metabolische-chirurgie.html . abgerufen am 26.06.2021.

15 Hoeft K et al. ORDNUNG – Das Zertifizierungssystem der DGAV (ZertO 6.0). 2020.

16 Seyfried F et al. Chirurg 2018; 89(1): 4–16

17 Angrisani L et al. Obes Surg 2018; 28(12): 3783–94

18 Salminen P et al. JAMA 2018; 319(3): 241–54

19 Peterli R et al. JAMA 2018; 319(3): 255–65

20 Wilkinson KH et al. Obes Surg 2019; 29(9): 2964–71

21 Zhang Y et al. Obes Surg 2015; 25(1): 19–26

22 Pucci A et al. Diabet Med 2018; 35(3): 360–7

23 Dicker D et al. Obes Surg 2019; 29(3): 796–804

24 Rubino F et al. Obes Surg 2017; 27(1): 2–21

25 Stenberg E et al. Lancet 2016; 387(10026): 1397–404

26 Genco A et al. Surg Obes Relat Dis 2017; 13(4): 568–74

27 Lim CH et al. Obes Surg 2020; 30(12): 4751–9

28 Seyfried F. Chirurg 2015; 86(9): 847–54

29 Jiménez A et al. Ann Surg 2015; 261(2): 316–22

30 Dietrich A. Chirurg 2018; 89(8): 583–8

31 Schauer PR et al. N Engl J Med 2017; 376(7): 641–51

32 Stroh C et al. Zentralbl Chir 2015; 140(4): 407–16

33 Nevo N et al. Obes Surg 2018; 28(2): 364–8

34 Benotti P et al. Ann Surg 2014; 259(1): 123–30

35 Hering I et al. Adipositas - Ursachen, Folgeerkrankungen, Therapie 2020; 14(04): 190–8

36 Stier C et al. Curr Obes Rep 2020; 9(3): 339–47

37 Stroh C et al. Zentralbl Chir 2019; 144(1): 50–5

38 Ruban A et al. Annals of Surgery 2020; doi: 10.1097/SLA.0000000000004980

39 Germer CT, Seyfried F. Chirurg 2018; 89(8): 575–6

40 Seyfried F et al. Endoscopy 2013; 45 Suppl 2 UCTN: E267–8

41 Kumar N, Thompson CC. Gastrointest Endosc 2016; 83(4): 776–9

42 Dolan RD et al. Gastrointest Endosc 2021; S0016-5107(21)01434-6 (in press)

43 Ball W et al. Obes Surg 2019; 29(6): 1932–6

44 James H et al. Obes Surg 2016; 26(11): 2661–6

45 Fisher OM et al. Obes Surg 2021; 31(3): 915–34


Zitierhinweis: erschienen in dieser Ausgabe
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