
25. Juli 2022
Ausblick auf künftige Entwicklungen
Medikamentöse Adipositastherapie
Laut Robert-Koch-Institut ist der Anteil von Menschen mit Adipositas in der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland seit Ende 1999 von 11,5% auf knapp 25% angestiegen. Damit assoziiert ist der Typ-2-Diabetes, der in der erwachsenen Bevölkerung bei etwa 7% bis 8% liegt. Damit ist „Diabesity“ in den zentralen Fokus gerückt – rechtzeitige Adipositastherapie ist nicht zuletzt auch Diabetesprävention.
Bestehende orale medikamentöse Therapieoptionen
Die medikamentöse Therapie der Adipositas stand lange hinter der Lebensstil- und Verhaltenstherapie zurück. Von den in großer Zahl entwickelten oralen Therapien sind in diesem Jahrtausend lediglich der Triglyzeridlipase-Inhibitor Orlistat und die Fixkombination von Naltrexon und Bupropion übrig geblieben. Orlistat erfordert eine strikt fettarme Ernährung und bewirkt dann sozusagen „zusätzlich“ eine weitere Fettaufnahme-Reduktion von 30%. Naltrexon/Bupropion wirkt sehr gut zentral auf das Appetitgefühl, was gerade bei „ständig“ essenden Personen dazu führt, dass diese oft zum ganz normalen „Zur-Mahlzeit-Essen“ zurückkehren. Das Potenzial liegt bei Respondern, also jenen Menschen, die nach drei Monaten unter Naltrexon/Bupropion zumindest 5% abnehmen, bei einer etwa 10%igen Gewichtsreduktion. In Intention-to-treat(ITT)-Populationen fällt die Reduktion geringer aus.
Antidiabetika zur Gewichtsreduktion
Seit einigen Jahren ist für Menschen mit Diabetes der GLP-1-Rezeptor-Antagonist Liraglutid (in einer Dosierung bis zu 1,8mg s.c.) auf dem Markt. Dieses Produkt wurde aber in der Dosierung von 3mg s.c. auch für Menschen mit Adipositas entwickelt und zugelassen. Das Potenzial von Liraglutid in der Gewichtsreduktion liegt zumindest im gleichen Bereich wie das der vorher genannten Substanzen. Im Unterschied zu diesen Substanzen ist für Liraglutid jedoch auch eine Senkung des kardiovaskulären Endpunkts nachgewiesen worden. Liraglutid hat als mögliche Nebenwirkung – vor allem zu Beginn – Übelkeit und andere gastrointestinale Nebenwirkungen wie Hyperazidität. Diese Nebenwirkungen sind aber nachgewiesenermaßen nicht mit dem Ausmaß der Gewichtsreduktion assoziiert.
Im Januar 2022 erfolgte die Zulassung des GLP-1-Rezeptorantagonisten Semaglutid in der Dosierung von 2,4mg für die Adipositas. Zudem ist Semaglutid bereits in der Dosierung bis 1mg für Menschen mit Typ-2-Diabetes zugelassen. Im Vergleich zu Liraglutid ist die Gewichtsreduktion darunter etwa doppelt so stark. Dadurch ist das Potenzial, Adipositas-assoziierte Komplikationen zu vermindern, deutlich höher (Abb.).
Auch für Semaglutid gibt es positive Endpunktdaten, bei der Anwendung zur Adipositas sind Studien im Laufen. Interessanterweise gibt es eine aktuelle, bereits publizierte Phase-I-Studie, in der Semaglutid in der Dosierung von 2,4mg mit einem Amylin-Agonisten (Cagrilintid) kombiniert wurde und in 20 Wochen im Mittel eine 17%ige Gewichtsreduktion ohne Zeichen eines Plateaus erreicht wurde.
Eine andere Entwicklung ist Tirzepatid, ein dualer GIP/GLP-Rezeptorantagonist. Diese Substanz, die ursprünglich nur für die Therapie bei Menschen mit Typ-2-Diabetes entwickelt wurde und sehr gute Ergebnisse gezeigt hat, wird offenbar jetzt auch noch bei Adipositas studiert. Ergebnisse dazu sind jedoch noch nicht bekannt.
Wohin geht die Reise?
Es ist natürlich noch zu früh, zu spekulieren, aber Innovationen zeigen, dass die Effizienz der pharmakologischen Therapien immer näher an die Ergebnisse der bariatrischen Chirurgie herankommt. Dies ist eine wichtige Botschaft für die Zukunft. Weitere spannende medikamentöse Therapieoptionen sind derzeit in Entwicklung, wobei erste Daten auch erfolgversprechend sind.
Zugang zur medikamentösen Adipositastherapie
Ein Wermutstropfen ist nach wie vor die gänzlich fehlende Erstattung. Wir Adipologen hoffen, dass sich dies im Sinne unserer Patienten und Patientinnen in der Zukunft bald aufweicht. Zumindest bei relevanten Komorbiditäten ist ein Gewichtsmanagement so zentral, dass dies auch gerechtfertigt erscheint.
KeyPoints
Von den „alten“ medikamentösen Therapien der Adipositas sind Orlistat und die Kombination Naltrexon/Bupropion übrig geblieben.
Als neue Therapieoptionen zeigen ursprünglich als Antidiabetika entwickelte Medikamente gute Resultate in der Gewichtsreduktion bei Adipositas.
Die Effizienz der pharmakologischen Therapien kommt immer näher an die Ergebnisse der bariatrischen Chirurgie heran.
Problematisch ist die fehlende Erstattung einer medikamentösen Adipositastherapie.
Literaturtipp
S3-Leitlinie „Prävention und Therapie der Adipositas“
Autor
Univ.-Prof. Dr. med. Hermann Toplak
Klinische Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie
Universitätsklinik für Innere Medizin
Medizinische Universität Graz
Interessenkonflikte: Der Autor gibt Beratertätigkeiten und Vorträge für Novo Nordisk sowie Eli Lilly an.
Zitierhinweis: erschienen in dieser Ausgabe
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