
12. Oktober 2022
Gesunde Ernährung
Nutri-Score: Sinn und Bedeutung
Der Nutri-Score ist eine auf der Verpackungsvorderseite angebrachte erweiterte Nährwertkennzeichnung. Er beruht auf einer Farbcodierung in fünf Wertigkeitsstufen, die den Nährwert von Lebensmitteln und Getränken darstellt. Idee des Scores ist, Produkte vergleichbar zu machen und dem Verbraucher kurz und prägnant eine Einschätzung über den Gesundheitswert des Produktes zu vermitteln.
Der Nutri-Score wird in Spanien, Frankreich, Belgien, Luxemburg, Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden genutzt – sie gelten als „countries officially engaged in Nutri-Score“ (COEN). In Deutschland gibt es den Nutri-Score seit 2020.1
Was hat sich seit seiner Einführung verändert? Wie ist die Akzeptanz bei den Verbrauchern und was hat sich vor allem für Personen geändert, die aus therapeutischer Sicht (z.B. bei Diabetes, Hyperurikämie, Hypertriglyzerid-ämie) besonders auf eine gesunde, ausgewogene Ernährung achten müssen? Dieser Artikel gibt einen Überblick über den aktuellen Stand.
Warum wurde der Nutri-Score etabliert?
Aufgrund hoher Prävalenzzahlen bei ernährungsassoziierten Erkrankungen und der damit verbundenen Krankheitslast ist die Prävention dieser Erkrankungen sehr wichtig. Rund 47% der Frauen, 62% der Männer und 15% der Kinder und Jugendlichen in Deutschland sind übergewichtig. Zu den wichtigsten ernährungsassoziierten nicht übertragbaren Krankheiten (NCDs) gehören der Typ-2-Diabetes, eine Reihe von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, zum Beispiel koronare Herzkrankheit und Schlaganfall, und einige Krebsarten.1,2 In der Prävention sind verschiedene Instrumente nötig, die sowohl Ansätze der Verhaltens- als auch der Verhältnisprävention umfassen. Ein Mittel der Verhaltensprävention ist, Verbrauchern entsprechende Informationen über Produkte zur Verfügung zu stellen, damit sie eigenständig und eigenverantwortlich entscheiden können.
Abb.: Der Nutri-Score bewertet nach einem festgelegten Punktesystem abgestuft in 5 Bewertungskategorien das Nährstoffprofil des Lebensmittels in Bezug auf seinen Gesundheitswert.
Kritische Ernährungsprobleme basieren nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) vor allem auf folgenden falschen Ernährungsweisen:
-
zu hohe Aufnahme von Natrium
-
zu geringer Verzehr von Gemüse und Obst
-
zu geringer Verzehr von Vollkornprodukten
-
zu geringer Verzehr von Nüssen und Samen
-
infolgedessen ein Zuwenig an Ballaststoffen
-
bei gleichzeitig zu hoher Aufnahme von Zucker
-
zu hohe Zufuhr von rotem Fleisch und Wurst
-
zu wenig Aufnahme von Milchprodukten1
Kurz: zu viel gesättigte Fette und Transfettsäuren und zu wenig ungesättigte Fettsäuren. Auf dieser Basis wurde von unabhängigen Wissenschaftlern aus Frankreich und England für den Nutri-Score ein entsprechender Bewertungsalgorithmus abgeleitet. Bei der Wahl, wie diese Informationen den Verbrauchern dargebracht werden sollen, entschieden sich Verbraucher und Institutionen mit 69% für den Nutri-Score vor dem Ernährungswegweiser.3
Nutri-Score: Vorteile
leicht verständlich
leichte Orientierung für die Verbraucher
ermöglicht bewusstere Kaufentscheidung
leichte Auswahl von Produkten mit einer höheren Nährstoffqualität
Hilfe für gesünderen Einkauf
Ergänzung zur Nährwerttabelle
kontinuierliche Überarbeitung der Produkte, um einen besseren Score zu erzielen
Wie wird der Nutri-Score ermittelt?
Im Nutri-Score werden die Lebensmittel mittels eines rechtssicheren und festgelegten Punktesystems je 100g Lebensmittel/100ml Getränk bewertet und in Ampelfarben dargestellt. Dunkelgrün – A – bedeutet: sehr gut, Rot – E – bedeutet: vorsichtig – weniger davon essen. Die Farbskala dazwischen (B bis C) geht über ein helles Grün, Gelb und Orange und gibt die Punkteklassifizierung bei der Bewertung wieder (Abb.).
Die Lebensmittelgruppen, die mit dem Nutri-Score bewertet werden (Stand 9.1.22), umfassen: stärkehaltige Lebensmittel, Früchte und Gemüse, Hülsenfrüchte, Milch und Milchprodukte, Fleisch und Fleischprodukte, Fische, Schalentiere und deren Erzeugnisse, Öle und Fette, Nüsse und Samen sowie alkoholfreie Getränke. Getränke werden aktuell mit einem anderen Algorithmus bewertet.1
Jedem Nährwertgehalt werden Punkte zugeordnet: Ungünstige Nährwerte (N) erhalten Punkte von null bis zehn und günstige Nährwerte (P) erhalten Punkte von null bis minus fünf. Nach der Verrechnung ungünstiger und günstiger Nährwerte ergibt sich eine Gesamtpunktzahl zwischen −15 und +40, die einer Stufe innerhalb des Nutri-Score-Systems zugeordnet wird. Es gilt: Je niedriger die Gesamtpunktezahl, desto besser die Gesamtbewertung.1
Nutri-Score – ein Fakten-Check:
Lebensmittel-Kennzeichnungssystem für Produktvorderseite
kennzeichnet Produkte über eine fünfstufige Farbskala (A, dunkelgrün, bis E, rot)
berechnet nach offiziellen Vorgaben, die für alle Länder und alle Hersteller gleichermaßen gelten
entwickelt von unabhängigen Wissenschaftlern
Berechnung auf 100-Gramm- oder -Milliliter-Basis (nicht auf Portionsgröße!)
Vergleichbarkeit von Produkten innerhalb einer Kategorie
Nutri-Score: erste Ergebnisse
Bei der Evaluierung des Nutri-Scores zeigte sich, dass der Algorithmus alle relevanten Elemente in Bezug auf eine gesunde Ernährung abdeckt und somit gültig ist. Erste Ergebnisse aus Frankreich (NutriNet-Santé) wurden in anderen Ländern (spanische ENRICA- und SUN-Kohorte, EPIC-Kohorte) wiederholt. Das Nährstoffprofil, das dem Score zugrunde liegt, korrelierte signifikant mit der Sterblichkeit (gesamt und spezifisch), Krebs allgemein und spezifisch, zum Beispiel Brust- und Darmkrebs, mit KHK und dem metabolischen Syndrom.4–12 Die Autoren schätzen unter Verwendung eines Simulationsmodells, dass der Nutri-Score das Potenzial hat, einen wesentlichen Beitrag zu einer Verringerung der Krankheitslast zu leisten.13,14
Nutri-Score – aktueller Stand
Prinzipiell geschieht die Verwendung des Nu-tri-Scores auf freiwilliger Basis. Zu Beginn (März 2021) hatten sich 159 deutsche Unternehmen mit 308 Marken für eine Verwendung des Scores registriert. Ein Jahr nach Inkrafttreten der Verordnung im November 2021 waren bereits 244 Unternehmen mit 470 Marken registriert. Die Zahl der teilnehmenden Firmen wächst stetig. Wenn man auch Unternehmen mit Sitz außerhalb Deutschlands einbezieht, die ihre Produkte mit dem Nutri-Score-Logo auf dem deutschen Markt vertreiben oder dies planen, kann man von rund 440 Firmen mit 719 Marken ausgehen. Wichtig ist zu wissen: Entscheidet sich ein Unternehmen für die Verwendung des Scores, müssen alle Produkte dieser Marke mit dem Nutri-Score versehen werden.
Kennzeichnung mit dem Nutri-Score: alle Produkte des Herstellers, nicht nur die „guten“
Der Nutri-Score ergänzt die verpflichtende Nährwerttabelle nach der EU-Lebensmittelinformationsverordnung. Praktisch jedes Lebensmittel kann das Logo tragen – vorausgesetzt, das Unternehmen hat sich für die Verwendung registriert und das Lebensmittel trägt eine Nährwerttabelle. Der Nutri-Score muss auf der Produktvorderseite im unteren Drittel der Packung platziert werden. Entscheiden sich Hersteller für den Nutri-Score, müssen sie ihn auf all ihren Produkten einer registrierten Marke nutzen. Er darf nicht nur auf den Produkten mit günstiger Nährwertqualität stehen.
Kritik am Nutri-Score
Die Hauptkritik der Deutschen Diabetes-Hilfe am Nutri-Score ist, dass dieser auf freiwilliger Basis der Hersteller verwendet werden kann. Zu Beginn der Einführung zeigte sich in allen Ländern und auch in Deutschland, dass bevorzugt nur günstige Produkte mit der Kennzeichnung versehen waren. In Frankreich, dem Land mit der längsten Erfahrung, wurden aber im Laufe der Zeit auch andere Produkte gekennzeichnet.15 Diese Tendenz ist auch in Deutschland zu beobachten. Allerdings würde dem Verbraucher eine verpflichtende Einführung des Nutri-Scores deutlich mehr helfen.
Diskussionen um eine mögliche Fehlbewertung einiger als gesund geltender Lebensmittel führen dazu, dass bestimmte Lebensmittel ebenfalls einen eigenen Algorithmus bräuchten oder von der Kennzeichnung ausgenommen werden müssten. Die Diskussion um eine Veränderung des Algorithmus bei Pflanzenölen wird dabei beispielsweise gerade geführt. Hierbei sind sich die Mitglieder der Bewertungskommission uneins, ob die Evidenz ausreicht. Sollte keine Anpassung erfolgen, schneidet beispielsweise Olivenöl schlechter ab, als die Studienlage pro Gesundheitswert zeigt. Ähnliche Beweise fehlen aber bei anderen Pflanzenölen. Die spanische Organisation hat daher überlegt, Olivenöl aus dem Nutri-Score zu nehmen. Ähnliche Schieflagen existieren auch bei Lebensmitteln, die reich an ungesättigten Fettsäuren sind, beispielsweise Seefisch. Ebenfalls in Diskussion stehen zuckerhaltige Getränke wie auch gezuckerte Milchgetränke. Eine weitere Kritik, die häufig von den Verbänden angeführt wird, ist, dass der Nutri-Score keine Details aufzeigt und sich der Verbraucher daher kein vollständiges Bild machen kann.
KeyPoints
Der Nutri-Score ist ein sinnvolles Hilfsmittel, das intuitiv genutzt werden kann, sodass sich der Verbraucher rasch einen Überblick über den Gesundheitswert eines Produktes verschaffen kann.
Allgemeinärzte können ihren Patienten empfehlen, bei gleichen Produkten mit einem Blick auf die Score-Farben eine Einschätzung zu dem Produkt zu treffen und das für die Gesundheit günstigere Produkt auszuwählen.
Für die Zukunft sollte der Nutri-Score verpflichtend werden, für manche Lebensmittelgruppen sollte der Bewertungsalgorithmus angepasst werden. Eine Einführung beispielsweise eines QR-Codes mit vertiefenden Informationen wäre hilfreich.
Autorin
Dr. oec. troph. Astrid Tombek
Diabetes-Klinik Bad Mergentheim
Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert.
Literatur
1 Update of the Nutri-Score algorithm – Yearly report from the Scientific Committee of the Nutri-Score 2021: The 2021 yearly report of the Scientific Committee of the Nutri-Score was voted on January 24, 2022 and approved unanimously by the members of the ScC
2 Schulze MB et al.: BMJ 2018; 361: k2396
3 Dierbach H et al.: Ernährungs Umschau 2020; Online Plus, 12.3.2020 ( www.ernaehrungs-umschau.de/online-plus/12-03-2020-nutri-score-oder-wegweiser-ernaehrung/586399 )
4 Adriouch S et al.: Eur J Prev Cardiol 2016; 23: 1669–76
5 Adriouch S et al.: Int J Cardiol 2017; 234: 22–7
6 Deschasaux M et al.: BMJ open 2017; 7(6): e013718
7 Deschasaux M et al.: PLoS medicine 2018; 15(9): e1002651
8 Deschasaux M et al.: BMJ 2020; 370: m3173
9 Donnenfeld M et al.: Br J Nutr 2015; 114: 1702–10
10 Ducrot P et al.: PLoS One 2015;10(10):e0140898
11 Egnell M et al.: Br J Nutr 2021; 125(8): 902–14
12 Julia C et al.: Prev Med 2015; 81: 189–94
13 Egnell M et al: PLoS One 2018; 13(8): e0202095
14 Julia C, Hercberg S: Ernahrungs-Umschau 2017; 64(12): 181–7
15 Durand J: «Nutri-Score obligera les industriels à revoir leurs recettes». Interview. In: Libération. 15. März 2017
16 BML – Grafikcharta ( www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Ernaehrung/Lebensmittel-Kennzeichnung/nutri-score-dt-uebersetzung-graphikcharta.pdf?__blob=publicationFile&v=2 )
17 www.bmel.de/SharedDocs/FAQs/DE/faq-nutri-score/FAQ-nutri-score_List.html
Zitierhinweis: erschienen in dieser Ausgabe
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