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29. November 2022

Arzt-Patienten-Kommunikation

Therapie-Compliance – was ist gemeint?

Ein Patient geht zum Arzt, wenn er krank ist oder Beschwerden hat, weil er wieder gesund werden möchte. Der Arzt erhebt eine Anamnese, untersucht den Patienten, stellt eine Diagnose und verschreibt ein Medikament. Der Patient holt sich das Medikament in der Apotheke, nimmt dieses wie vom Arzt verordnet ein und hält sich genau an die ärztlichen Empfehlungen. Das ist der Idealfall – aber ist es auch die Realität?

Compliance (engl: Einhaltung der Vorschriften) bedeutet, dass der Patient die Empfehlungen des Arztes/Therapeuten im Rahmen einer Behandlung kooperativ umsetzt, und ist so ein Maß für die Motivation und Mitarbeit des Patienten. Dies bezieht sich nicht nur auf die Einnahme eines Medikaments, sondern auch auf die Verwendung von Hilfsmitteln im Alltag oder eine Lebensstiländerung bei Übergewicht/Rauchen usw. Ein Beispiel hierfür: Der Arzt verordnet ein Medikament und sagt dem Patienten, wann und wie oft er dieses nehmen soll. Setzt der Patient dies so um, ist er „compliant“. Tut er dies nicht, ist er „non-compliant“. Aber, ist das nicht zu einseitig beurteilt? Und wie kommt es dazu? Ein paternalistisches Arzt-Patienten-Verhältnis führt dazu, dass der Arzt die Therapievorgaben macht und der Patient diese umsetzt. Der Arzt ist sozusagen der „Chef“, der „Gott in Weiß, der alles weiß“. Compliance oder auch Non-Compliance impliziert daher, dass ein Nichteinhalten der Therapie oder nicht kooperativ sein immer vom Patienten ausgeht, und macht diesen daher zum „Schuldigen“. Die Gründe für das Nichteinhalten werden hier immer auf der Patientenseite gesucht. Es gibt aber vielfältige Gründe, warum eine Therapieadhärenz nicht besteht oder nicht bestehen kann.

Ärzte heute: Partner statt „Götter in Weiß“

In der letzten Zeit ist es in dieser Beziehung zu einem Wandel gekommen und heute ist die Arzt-Patienten-Beziehung eher „gemeinschaftlich“ orientiert. Die Entscheidung für eine Therapie wird vom Arzt mit dem Patienten besprochen und der weitere Behandlungsweg gemeinsam festgelegt. Das Wort Therapieadhärenz ersetzt inzwischen das Wort Compliance und macht so Arzt und Patient (im besten Fall) zu einem Therapie-Team.

Abb.: Vertrauen aufbauen. Vertrauen ist ein entscheidender Faktor für eine effektive Beziehung. Ein Therapeut, der als kompetent, aber gefühllos wahrgenommen wird, wird zwar respektiert, aber man vertraut ihm nicht. Ein Therapeut, der als fürsorglich, aber inkompetent wahrgenommen wird, wird zwar mit Zuneigung betrachtet, aber man vertraut ihm nicht. Vertrauen entsteht, wenn sowohl Fürsorge als auch Kompetenz vorhanden sind.4

Die WHO definiert fünf miteinander verknüpfte Ebenen, die die Therapietreue beeinflussen:1

  1. sozioökonomische Faktoren (Armut, Bildungsstand, Arbeitslosigkeit)

  2. patientenabhängige Faktoren (Fähigkeit zur Selbstorganisation/Struktur, Vergesslichkeit, Wissen)

  3. krankheitsbedingte Faktoren (Symptome, gefühlter Nutzen/Krankheitseinsicht, vorliegende psychische Erkrankungen)

  4. therapiebedingte Faktoren (auftretende Nebenwirkungen, Komplexität der Verabreichung)

  5. gesundheitssystem- und therapeutenabhängige Faktoren (Kostenübernahme, alternative Behandlungsmöglichkeiten, Kommunikation Arzt/Patient/Therapeut)

Die WHO schätzt die Compliance bzw. Adhärenz in entwickelten Ländern auf etwa 50%. Dabei wird gute Compliance bzw. Adhärenz mit verbesserter Wirksamkeit der medizinischen Interventionen in Verbindung gebracht, unzureichende Compliance bzw. Adhärenz dagegen mit erhöhter Morbidität und Mortalität sowie deutlich erhöhten Kosten für das Gesundheitssystem.2

Wie oben beschrieben, gibt es unterschiedliche Gründe für eine mangelnde Therapieadhärenz. Sowohl auf der Patientenseite wie auch aufseiten der Behandler.3 Beispiele zeigt die Tabelle.

KeyPoints

  • Die Verbesserung der Therapieadhärenz hat einen großen Einfluss auf die Morbidität und Mortalität und ist auch aus ökonomischer Sicht wichtig.

  • Mangelnde Therapieadhärenz ist multifaktoriell bedingt. Daher sollten auch die Lösungsansätze multifaktoriell orientiert sein.

  • Gründe für mangelnde Adhärenz können aufseiten der Patienten, der Behandler und des Gesundheitssystems liegen.

  • Emotionen, Ängste und Vorbehalte der Patienten und auch des Arztes spielen eine große Rolle.

  • Vertrauen, Kommunikation und Empathie in der Arzt-Patienten-Interaktion sind wichtige Prädiktoren für die Therapietreue.

Autorin
Dr. med. Louisa van den Boom
Fachärztin für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, Schwerpunkt Diabetologie, Diabetologin (DDG)Chefärztin der pädiatrischen Abteilung des DRK-Krankenhauses Kirchen

Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert.


Zitierhinweis: erschienen in dieser Ausgabe
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