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23. Februar 2023

Leitlinien-Update Hypothyreose

TSH erhöht – was tun?

In Kürze erscheint das Update der 2016 von der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) herausgegebenen S2k-Leitlinie „Erhöhter TSH-Wert in der Hausarztpraxis“. Leitlinienautorin Dr. med. Jeannine Schübel gibt im Gespräch mit dem „Allgemeinarzt“ einen Ausblick auf die Neuerungen bei Diagnostik und Therapie.

Die Hypothyreose zählt zu den häufigsten endokrinologischen Erkrankungen. Ihre Prävalenz liegt in Europa bei etwa 0,2–5,3%.1 Ist die Hormonproduktion in der Schilddrüse erniedrigt und konsekutiv die Ausschüttung des Thyreoidea-stimulierenden Hormons (TSH) erhöht, spricht man von einer primären Hypothyreose. Ursächlich für die sekundäre Form ist dagegen eine erniedrigte TSH-Aktivität, zum Beispiel bei Hypophysen-Schädigung, die in Folge ebenfalls zu erniedrigten Werten der Schilddrüsenhormone Trijodthyronin (T3) und Thyroxin (T4) führt. Eine subklinische TSH-Wert-Erhöhung bei primärer Hypothyreose findet sich bei etwa 20% der über 75-Jährigen und besonders bei Frauen.2 In 2% der Fälle geht diese latente in eine manifeste Hypothyreose über. Bei gleichzeitigem Vorliegen von Antikörpern gegen die Schilddrüsenperoxidase (TPO) liegt die Rate bei 4%.3

Bei der primären Hypothyreose liegt häufig eine Autoimmunthyreoiditis (Hashimoto) mit messbaren Autoantikörpern gegen die Schilddrüsenperoxidase (TPO-AK) vor. Aber auch ein Jodmangel wird eine wieder häufiger vorkommende Ursache, erläuterte Dr. med. Jeannine Schübel, Fachärztin für Allgemeinmedizin und Autorin des Leitlinien-Updates „Erhöhter TSH-Wert in der Hausarztpraxis“. „Während die Prävalenz der Hypothyreose stabil bleibt, können wir eine zunehmende Zahl an Verordnungen von Schilddrüsenhormonen beobachten. Doch nicht jeder Patient mit TSH-Wert-Erhöhung sollte gleich behandelt werden. Daher wird die neue Leitlinie altersabhängige TSH-Referenzwerte für die Diagnostik erhalten und auch bei den Therapieempfehlungen das Alter berücksichtigen“, so Schübel.

Doch was bedeutet das konkret? Für die Diagnostik galt bisher generell ein TSH >4mU/l als erhöht. Dieser Wert wird nun lediglich für Erwachsene zwischen 18 und 70 Jahren gelten, für über 70- bis 80-Jährige wurde die Grenze auf >5mU/l und für über 80-Jährige auf >6mU/l verschoben. Denn im Alter ist ein TSH-Anstieg physiologisch und eine Übertherapie mit Schilddrüsenhormonen kann unerwünschte Wirkungen nach sich ziehen – beispielsweise Vorhofflimmern.4

Ebenfalls neu wird nun auf die Frage eingegangen, ob überhaupt ein TSH-Screening erfolgen sollte. Hier lautet die Empfehlung ganz klar: Bei asymptomatischen Erwachsenen sollte keine routinemäßige TSH-Bestimmung im Rahmen von Check-up-Untersuchungen vorgenommen werden. Lediglich bei Patienten, die aktiv über Beschwerden wie Gewichtsschwankungen, ausgeprägte Müdigkeit, Schwitzen, Frieren oder Haarausfall berichten, sollte das TSH bestimmt werden.

Weiter wird empfohlen, den Autoimmunantikörper TPO bei erhöhtem TSH-Wert maximal einmalig zu bestimmen, nicht jedoch routinemäßig oder wiederholt. Die Negativempfehlung für eine Sonografie bei TSH-Wert-Erhöhung wird in der neuen Leitlinie ebenfalls nochmals betont, aber auch darauf hingewiesen, dass auf Patientenseite häufig Bedenken und Ängste, vor allem hinsichtlich möglicher Schilddrüsenkarzinome, bestehen, die im Arzt-Patienten-Gespräch adressiert und ausgeräumt werden sollten.

Wer wird therapiert – und wer nicht?

Studienergebnissen zufolge sollte lediglich die manifeste Hypothyreose mit Hormonsubstitution behandelt werden, die latente dagegen erst ab einem TSH-Wert von 10mU/l, so das Resümee der Autoren eines Schwedischen Reviews. Unterhalb des TSH-Grenzwertes empfiehlt es sich, erst einmal abzuwarten und zu beobachten, ob eine Normalisierung des TSH-Wertes eintritt – was Studien zufolge in 60% der Fälle bereits nach drei Monaten beobachtet werden kann.4 Lediglich Patienten mit latenter Hypothyreose und erhöhtem kardiovaskulärem Risiko könnten von einer Therapie mit L-Thyroxin profitieren.4 In einer Metaanalyse konnte zudem hinsichtlich Lebensqualität, Denkleistung, Blutdruckwerten oder Body-Mass-Index kein Vorteil einer Levothyroxin-Behandlung bei latenter Hypothyreose festgestellt werden.5

Auch im neuen Leitlinien-Update wird bei asymptomatischen Patienten mit latenter Hypothyreose und einem TSH-Wert ≤10mU/l altersunabhängig keine Hormonsubstitution empfohlen, so die Leitlinienautorin. Asymptomatische Patienten bis 75 Jahre sollten bei einem TSH >10mU/l jedoch substituiert werden, bei Patienten über 75 Jahre kann dagegen bis zu einem TSH-Wert von >20mU/l abgewartet werden. Für die Therapie im hausärztlichen Umfeld kommt weiterhin L-Thyroxin als Monotherapie zur Anwendung. Die Dosierung sollte individuell abhängig von Alter, Gewicht, kardialem Status und Schwere der Hypothyreose erfolgen. Generell gilt: Bei der latenten Hypothyreose mit TSH >10mU/l wird altersunabhängig eine Dosierung von 25–50µg/kgKG empfohlen. Erwachsene mit manifester Unterfunktion bis zum Alter von 60 Jahren sollten wie bisher 1,6µg/kgKG L-Thyroxin erhalten, Patienten ab 60 Jahren und/oder mit kardiovaskulären Erkrankungen künftig nur noch 0,3–0,4µg/kgKG.

Hypothyreose und Depression

In einem 2022 veröffentlichten Review zeigten Nuguru et al., dass Patienten mit unbehandelter manifester Hypothyreose ein erhöhtes Risiko aufweisen, eine Depression zu entwickeln. Auch sei die Unterfunktion der Schilddrüse einer der führenden Gründe für ein Versagen der antidepressiven Therapie. Durch eine ausreichende Hormonsubstitution kann hier die Depression verbessert werden.6 Für die latente Hypothyreose scheint dieser Zusammenhang allerdings nicht zu gelten: In einer randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studie mit 427 älteren Teilnehmern aus der Schweiz und den Niederlanden (mittleres Alter 74,5 Jahre; 56% Frauen), die eine subklinische Hypothyreose (TSH 4,6–19,9mU/l, fT4 normwertig) aufwiesen, konnte kein Benefit einer L-Thyroxin-Substitution auf die Entwicklung einer Depression festgestellt werden.7

Auch sollten Hausärzte von einer T3/T4-Kombinationstherapie oder der Gabe von natürlichen Schilddrüsenhormonen absehen und lediglich eine Therapie mit L-Thyroxin durchführen, betonte Schübel. Sollten unter Therapie der TSH-Zielwert nicht erreicht werden oder die Beschwerden weiterhin bestehen, wird die Überweisung zum Endokrinologen zur weiteren Abklärung und Therapieeinstellung angeraten. Dies gilt auch für ungewöhnliche Laborwert-Konstellationen wie eine gleichzeitige Erhöhung von TSH- und fT4-Wert.

Schilddrüse und Schwangerschaft

Ganz neu in die Leitlinie aufgenommen wurden Empfehlungen für schilddrüsengesunde Schwangere. Wie bei nicht schwangeren Frauen soll – in Abstimmung mit Vertretern der Gynäkologie – auch hier ein TSH-Grenzwert von 4,0mU/l gelten. Nur bei Überschreiten dieses Wertes soll einmalig eine TPO-Bestimmung erfolgen. Therapiert wird nur bei manifester, nicht aber bei latenter Hypothyreose und auch nicht in Abhängigkeit vom TPO-AK-Nachweis. Eine bereits bestehende Hormonsubstitution sollte in der Schwangerschaft fortgeführt werden (TSH-Zielbereich 0,4–4,0mU/l) und postpartal auf die präkonzeptionelle Thyroxindosis umgestellt werden. Unter Hormonsubstitution in der Schwangerschaft sollte mindestens einmal pro Trimenon der TSH-Wert kontrolliert werden, bei Bedarf auch öfter, sowie sechs Wochen postpartal.

KeyPoints

  • In diesem Jahr wird das Update der S2k-Leitlinie „Erhöhter TSH-Wert in der Hausarztpraxis“ erscheinen, das aktuelle Empfehlungen zu Diagnostik und Therapie der Hypothyreose enthält – und dies erstmals auch für Schwangere.

  • Die oberen TSH-Grenzwerte werden nun altersabhängig zwischen 4,0 und 6,0mU/l angegeben.

  • Die latente Hypothyreose sollte erst ab einem TSH-Wert >10mU/l (bis 75 Jahre) bzw. >20mU/ml (ab 75 Jahre) mit L-Thyroxin mono therapiert werden.

  • Die Anfangsdosis für L-Thyroxin beträgt 1,6µg/kgKG (bis 60 Jahre) bzw. 0,3–0,4µg/kgKG (ab 60 Jahre bzw. bei kardiovaskulären Erkrankungen)

  • Bei persistierenden Beschwerden und/oder Nicht-Erreichen des TSH-Zielwertes ist die Überweisung zum Endokrinologen angeraten.

Bericht: Dr. med. Christine Adderson-Kisser, MPH

1. Taylor PN et al.: Global epidemiology of hyperthyroidism and hypothyroidism. Nat Rev Endocrinol 2018; 14: 301–16

2. Benvenga S et al.: The role of inositol in thyroid physiology and in subclinical hypothyroidism management. Front Endocrinol (Lausanne) 2021; 12: 662582

3. Vanderpump MP et al.: The incidence of thyroid disorders in the community: A twenty-year follow-up of the whickham survey. Clin Endocrinol 1995; 43: 55–68

4. Calissendorff J, Falhammar H: To treat or not to treat subclinical hypothyroidism, what is the evidence? Medicina (Kaunas) 2020; 56(1): 40

5. Feller M et al.: Association of thyroid hormone therapy with quality of life and thyroid-related symptoms in patients with subclinical hypothyroidism: a systematic review and meta-analysis. JAMA 2018; 320(13): 1349–59

6. Nuguru SP et al.: Hypothyroidism and depression: a narrative review. Cureus 2022; 14(8): e28201

7. Wildisen L et al.: Effect of levothyroxine therapy on the development of depressive symptoms in older adults with subclinical hypothyroidism: an ancillary study of a randomized clinical trial. JAMA Netw Open 2021; 4(2): e203664


Zitierhinweis: erschienen in dieser Ausgabe
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