
7. November 2022
Kardiovaskuläre Sicherheitsstudien bei Typ-2-Diabetes, Adipositas
Wer braucht noch GLP-1-Agonisten?
Für welche Indikationen ist der Einsatz von GLP-1-Rezeptoragonisten vorteilhaft? Diese Frage stellt sich angesichts der breiten Einführung und Zulassungserweiterungen der SGLT2-Hemmer immer wieder – der vorliegende Artikel fasst die aktuellen Studienergebnisse zusammen und gibt auch eine Antwort zur Zukunftsentwicklung der GLP-1-Rezeptoragonisten.
GLP-1-Rezeptoragonisten (GLP-1-RA) und SGLT2-Hemmer (SGLT2-I) haben durch ihre vorteilhaften Ergebnisse in kardiovaskulären Sicherheitsstudien mit signifikanter Reduktion von Endpunkten einen frühen und bevorzugten Platz in den Leitlinien zur Behandlung des Typ-2-Diabetes (T2D). SGLT2-I werden als orale Therapie bei Patienten mit kardiovaskulärer oder kardiorenaler Vorerkrankung unabhängig vom HbA1c-Wert empfohlen. Mittlerweile sind sie auch außerhalb des T2D zur Behandlung der Herzinsuffizienz und der chronischen Niereninsuffizienz zugelassen. Für welche Indikationen sind GLP-1-RA vor diesem Hintergrund trotzdem vorteilhaft?
Rationale der Therapie des Typ-2-Diabetes mit GLP-1-RA
Seit 2005 sind GLP-1-RA zur Therapie des T2D zugelassen und seit 2016 gibt es erste Ergebnisse, die einen Vorteil bezüglich kardiovaskulärer Endpunkte (s.u.) gezeigt haben. Daher hat in den letzten Jahren diese Therapie zunehmend an Bedeutung gewonnen und ist auch in den Leitlinien implementiert. GLP-1-RA stimulieren glukoseabhängig nur bei Hyperglykämie die Insulinsekretion und hemmen die Glukagonsekretion. Auf diesen beiden Wegen tragen sie zur Normalisierung der Stoffwechsellage bei, ohne Risiko, eine Hypoglykämie zu provozieren. Als nicht glykämische Wirkungen sind die Körpergewichtsabnahme und die leichte Senkung des systolischen Blutdrucks attraktiv.1
Die Platzierung der GLP-1-RA in den Leitlinien für Menschen mit T2D und kardiovaskulärer Vorerkrankung sieht eine Therapie direkt nach Beginn einer Metformin-Therapie vor, unabhängig vom HbA1c.2 Auch in der Therapie der Adipositas können GLP-1-RA mit entsprechender Zulassung eingesetzt werden und sind hier gut wirksam. Der Effekt auf die Gewichtsreduktion ist bei den GLP-1-RA stärker ausgeprägt als bei den SGLT2-I.
Ergebnisse kardiovaskulärer Sicherheitsstudien mit GLP-1-RA
Bisher liegen Ergebnisse von insgesamt acht kardiovaskulären Sicherheitsstudien vor, die die Vorteile im zusammengesetzten Endpunkt MACE-3 (MACE = „major adverse cardiovascular event“, bestehend aus kardiovaskulärem Tod, nicht tödlichem Myokardinfarkt und nicht tödlichem Schlaganfall) untersucht haben. Fünf dieser Studien zeigten einen signifikanten Vorteil des jeweils untersuchten GLP-1-RA auf den Endpunkt MACE-3 im Vergleich zur Standardtherapie bei T2D und kardiovaskulärer Vorerkrankung. Zu diesen GLP-1-RA, die diese Studienergebnisse zeigten, zählen (in alphabetischer Reihenfolge) Albiglutid, Dulaglutid, Efpeglenatid, Liraglutid und Semaglutid.3–7 Eine Metaanalyse aller acht kardiovaskulären Sicherheitsstudien erbrachte eine signifikante Reduktion des relativen Risikos durch eine GLP-1-RA-Therapie von 14% (OR 86; 95% KI: 83–90) (Abb.).8
Die erste Studie, die für einen GLP-1-RA eine Überlegenheit in der Reduktion kardiovaskulärer Endpunkte gegenüber Standardtherapie gezeigt hat, war die LEADER-Studie mit Liraglutid, die eine Reduktion des relativen Risikos von 13% beim kombinierten Endpunkt MACE-3 bei kardiovaskulär vorerkrankten Patienten gezeigt hat (HR: 0,87; 95% KI: 0,78–0,97).6 In der REWIND-Studie mit Dulaglutid zeigten sich ähnliche Ergebnisse. In diese Studie waren jedoch auch Patienten eingeschlossen, die zu Beginn der Studie noch nicht kardiovaskulär vorerkrankt waren, was möglicherweise auf einen starken kardiovaskulär protektiven Effekt dieses GLP-1-RA hinweist. Die Frage, ob dieses Ergebnis auf andere GLP-1-RA übertragbar ist, ist derzeit offen.4 In einigen der kardiovaskulären Sicherheitsstudien zeigten sich auch unter der Therapie mit GLP-1-RA Verbesserungen in Parametern, die eine Hemmung der Progression einer chronischen Nierenfunktionsstörung anzeigten.9
Typ-2-Diabetes: additive Effekte von SGLT2-I und GLP-1-RA
Beide Substanzklassen haben in der Kombinationstherapie nicht nur additive Effekte auf die Glykämieparameter, sondern auch auf die Körpergewichtsreduktion und die Blutdrucksenkung. Dies wurde in der dreiarmigen Studie DURATION-8 gezeigt, in der die Kombination des SGLT2-I Dapagliflozin mit dem GLP-1-RA Exenatid LAR („long-acting release“) über einen Zeitraum von zwei Jahren untersucht wurde.10
In der AWARD-10-Studie konnte bei Patienten, die unter einer Therapie mit einem SGLT2-I noch keine optimale Stoffwechselkontrolle erreicht hatten, gezeigt werden, dass eine zusätzliche Therapie mit dem GLP-1-RA Dulaglutid deutlich mehr Patienten dosisabhängig den zusammengesetzten Endpunkt aus HbA1c <7%, Körpergewichtsverlust >5% und dem Fehlen von therapiebedingten Hypoglykämien erreichen lässt.11 Eine kürzlich publizierte retrospektive Metaanalyse solcher Kombinationsstudien bestätigte die additive Wirkung der Kombinationstherapie und zeigte auch Hinweise auf eine Reduktion von kardiovaskulären Ereignissen.12
GLP-1-RA zur Adipositastherapie
Liraglutid ist in einer Dosierung von 3,0mg täglich zur Therapie der Adipositas außerhalb der Diabetesindikation zugelassen und es ist damit zu rechnen, dass Semaglutid ebenfalls in einer höheren Dosierung als bei T2D (2,4mg einmal wöchentlich) die Zulassung dafür auf der Grundlage des hierfür durchgeführten STEP-Studienprogramms erhalten wird.13–16
Die Effekte von GLP-1-RA auf die Gewichtsreduktion sind stärker als die der bislang gebräuchlichen und mittlerweile aufgrund von Nebenwirkungen wieder vom Markt genommenen Medikamente zur Gewichtsreduktion.17 Die bisherigen Ergebnisse der STEP-Studie zeigen einen Gewichtsverlust von etwa 15% des Körpergewichts unter einer Behandlung mit Semaglutid.13–16
Doppel- und Dreifachagonisten von Inkretinen oder Glukagon
Durch Doppel- und Dreifachagonisten von GLP-1, GIP („glucose-dependent insulinotropic polypeptide“) und Glukagon könnten möglicherweise mehrere metabolische Stoffwechselwege im Kohlenhydrat- und Lipidstoffwechsel simultan beeinflusst werden. GIP und GLP-1 sind von ihrer Peptidsequenz her ähnlich, sie binden aber an unterschiedliche spezifische Rezeptoren. Auch Glukagon und GLP-1 haben ähnliche Peptidsequenzen. Aus diesen Überlegungen heraus wurden in den vergangenen Jahren GLP-1/GIP-Doppelagonisten als auch GLP-1/Glukagon-Doppelagonisten sowie Dreifachagonisten zur Therapie des T2D und der Adipositas entwickelt.17–19 Sehr weit entwickelt ist der GLP-1-RA/GIP-Koagonist Tirzepatid. Im Studienprogramm SURPASS für die Zulassung zur Therapie des T2D senkte Tirzepatid das HbA1c dosisabhängig deutlich stärker als die etablierten Diabetesmedikamente inklusive der GLP-1-RA. Unter Tirzepatid wurden HbA1c-Senkungen von rund 1,8–2,6% beobachtet.20 Die Körpergewichtsabnahme betrug in diesen Studien dosisabhängig etwa 7–13%.20 Die Nebenwirkungen sind ähnlich denen der GLP-1-RA. Ergebnisse einer kardiovaskulären Sicherheitsstudie mit Tirzepatid werden 2024 erwartet. Mit einer europäischen Zulassung ist voraussichtlich Anfang 2023 zu rechnen.
KeyPoints
GLP-1-RA haben ihren Stellenwert bei Patienten mit kardiovaskulärer Vorerkrankung. Besonders bei atherosklerotischen Komplikationen haben sie kardiovaskuläre Vorteile gezeigt.
Bei der Gewichtsreduktion sind GLP-1-RA den SGLT2-I deutlich überlegen.
In den Leitlinien haben GLP-1-RA als erste mittels Injektion applizierbare Therapie Insulin abgelöst.
Der GLP-1-RA Liraglutid kann unabhängig vom Vorliegen eines Diabetes zur Adipositastherapie eingesetzt werden.
Doppel- und Dreifachagonisten, die an den GLP-1-, GIP- und/oder den Glukagonrezeptor binden, sind in Entwicklung.
Autor
Apl. Prof. Dr. Baptist Gallwitz
Stellvertretender Ärztlicher Direktor
Medizinische Klinik Innere Medizin IV
Diabetologie, Endokrinologie, Nephrologie
Universitätsklinikum Tübingen
Interessenkonflikte:
Der Autor hat keine deklariert.
Literatur
1 Nauck MA et al.: Mol Metab 2021; 46: 101102
2 Draznin B et al.: Diabetes Care 2022; 45(1): 125-43
3 Hernandez AF et al.: Lancet 2018; 392(10157): 1519-29
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6 Marso SP et al.: N Engl J Med 2016; 375(4): 311-22
7 Marso SP et al.: N Engl J Med 2016; 375(19): 1834-44
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10 Jabbour SA et al.: Diabetes Care 2020; (10): 2528-36
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12 Wright AK et al.: Diabetes Care 2022; 45(4): 909-18
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14 Davies M et al.: Lancet 2021; 397(10278): 971-84
15 Wadden TA et al.: JAMA 2021; 325(14): 1403-13
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19 Finan B et al.: Nat Med 2015; (1): 27-36
20 Bhagavathula AS et al.: Pharmaceuticals (Basel) 2021; 14(10): 991
Zitierhinweis: erschienen in dieser Ausgabe
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