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18. März 2023

Hypertoniemanagement

Erfolg durch individualisierte Zielwerte

Nach etwa drei Jahren Bearbeitungszeit liegt nun die Konsultationsfassung der ersten Nationalen Versorgungsleitlinie Hypertonie vor – mit Empfehlungen auf S3-Niveau. Die darin enthaltenen Zielwerte für die Blutdruckeinstellung betonen einmal mehr die Notwendigkeit individueller Therapieentscheidungen.

Als wesentliches Ziel bei der Behandlung der Hypertonie gilt nicht nur die Reduktion der hypertoniebedingten Morbidität und Mortalität, sondern auch die Verbesserung der Lebensqualität. Das bloße Erreichen von streng definierten Blutdruckzielwerten ist daher nicht ausreichend. Mehr Erfolg verspricht dagegen die gemeinsame Entscheidungsfindung von Behandler und Patient, die sich an verschiedenen personen- und umweltbezogenen Kontextfaktoren orientieren sollte. Dazu zählen neben Alter und Lebenserwartung des Patienten auch seine Komorbiditäten und Komedikation, Autonomie- und Wertvorstellungen, seine funktionellen und kognitiven Voraussetzungen sowie die Umsetzbarkeit der Therapie im Alltag. Gelingt hier ein Konsens, steigt die Zufriedenheit des Patienten – und damit auch seine Therapieadhärenz.

Ziele an der Realität ausrichten

Bei der individuellen Nutzen-Schaden-Abwägung einer geplanten antihypertensiven Therapie kommt es aber nicht selten zu Differenzen zwischen den medizinisch idealen und den individuell optimalen Zielwerten für die Blutdruckeinstellung. In der Nationalen Versorgungsleitlinie (NVL) wird daher allgemein ein Blutdruckzielwert von <140/90mmHg empfohlen.1 Sie gibt aber auch einen Zielkorridor von 120/70 mmHg bis 160/90 mmHg an, der als Orientierung für die individuelle Zielwerteinstellung dienen soll (Abb. 1) und im Verlauf der Behandlung immer wieder evaluiert werden muss (Abb. 2, Tab. 1–3).1

Abb. 1: Blutdruck-Zielkorridor (mod. nach[1])

Abb. 2: Monitoring-Algorithmus (mod. nach[1])

Die Zielwertempfehlungen der NVL basieren dabei auf den Ergebnissen verschiedener Einzelstudien und Reviews. Die im NICE-Review2 identifizierte Primärstudie SPRINT konnte für Hypertoniepatienten mit systolischem Zielwert von 120 mmHg nach 3,26 Jahren ein signifikant geringeres Risiko für die Gesamtmortalität (Relatives Risiko [RR] 0,74) und das Entstehen einer Herzinsuffizienz (RR 0,44) zeigen als für Patienten mit dem höheren Ziel von 140mmHg. Der Vergleich von 130 vs. 140mmHg in der Cardio-SIS-Studie ergab nach zweijähriger Beobachtung jedoch keine Unterschiede hinsichtlich Mortalität, Schlaganfall, Myokardinfarkt und Schwindel.2

In der Übersichtsarbeit von Arguedas et al. wurden besonders die diastolischen Zielwerte (85mmHg vs. 90–100mmHg) betrachtet, für die sich im Vergleich keine signifikanten Unterschiede bei Mortalität, nicht kardiovaskulärer Mortalität, Myokardinfarkt und Schlaganfall ergaben.3

Auch für Hypertoniker mit Diabetes mellitus konnte in der in einem Cochrane-Review (2013)4 und dem NICE-Review (2019)2 aufgeführten Studie AC-CORD kein signifikanter Unterschied hinsichtlich des Risikos für den kombinierten Endpunkt (nichttödlicher Myokardinfarkt, nichttödlicher Schlaganfall, Tod wegen kardiovaskulärer Ursache) in Abhängigkeit vom systolischen Therapiezielwert (120mmHg vs. 140mmHg) gefunden werden. In der Gruppe mit dem niedrigeren Zielwert fiel zwar die jährliche Schlaganfallrate geringer aus, allerdings traten auch mehr unerwünschte Ereignisse auf. Auch der diastolische Zielwert hatte keinen signifikanten Einfluss auf das Outcome.4

In einem weiteren Cochrane-Review [5] wurden die Auswirkungen verschiedener Zielwerte (≤135/85mmHg vs. ≤140–160/90–100mmHg) auf Patienten mit Hypertonie und kardiovaskulären Erkrankungen untersucht – ebenfalls ohne signifikante Unterschiede. Jedoch war das Risiko für Studienabbrüche aufgrund unerwünschter Wirkungen in der strenger eingestellten Gruppe signifikant höher (RR 8,16).

Auch für Patienten ≥65 Jahre ergaben sich in der Metaanalyse von Garrison et al. [6] keine signifikanten Unterschiede für Gesamtmortalität, Schlaganfall oder kardiovaskuläre schwere unerwünschte Ereignisse zwischen höheren (<150–160/<95–105 mmHg) oder niedrigeren Zielwerten (<140/90 mmHg). Die kardiovaskuläre Mortalität war allerdings in der Gruppe mit niedrigerem Ziel signifikant geringer (RR 1,52).

Bericht: Dr. med. Christine Adderson-Kisser, MPH

1. Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung, Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften. Nationale Versorgungsleitlinie Hypertonie, Version 1.0, AWMF-Reg.-Nr. nvl-009; 2022.

2. National Institute for Health and Care Excellence (NICE). Hypertension in adults: diagnosis and management [D] Evidence review for targets. 2019 (NICE Clinical Guideline; 136) [letzter Aufruf am 24.01.2023]. Verfügbar unter: https://www.nice.org.uk/guidance/ng136/evi-dence/d-targets-pdf-6896748209 .

3. Arguedas JA et al.: Treatment blood pressure targets for hypertension. Cochrane Database Syst Rev 2009; 3: CD004349

4. Arguedas JA et al.: Blood pressure targets for hypertension in people with diabetes mellitus. Cochrane Database Syst Rev 2013; 10: CD008277

5. Saiz LC et al.: Blood pressure targets for the treatment of people with hypertension and cardiovascular disease. Cochrane Database Syst Rev 2020; 9(9): CD010315

6. Garrison SR et al.: Blood pressure targets for hypertension in older adults. Cochrane Database Syst Rev 2017; 8(8): CD011575


Zitierhinweis: erschienen in dieser Ausgabe
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