
29. August 2023
Kardiovaskuläre Krankheiten in der allgemeinärztlichen Praxis
Therapie der arteriellen Hypertonie
Die arterielle Hypertonie war 2019 weltweit für 10,8 Millionen Todesfälle verantwortlich und bleibt damit der wichtigste Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.1,2 Trotz des Bewusstseins um die Bedeutung dieser Krankheit liegt der Therapieerfolg bei weniger als 48%.1,3 Somit ist die effektive antihypertensive Therapie eine Herausforderung in der täglichen Behandlung dieser Patienten und gleichzeitig von prognostischer Bedeutung.1,4
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Die Prävalenz der arteriellen Hypertonie nimmt mit dem Alter zu, sodass in der Altersgruppe der 65- bis 79-Jährigen etwa 70% der Patienten an einem erhöhten Blutdruck leiden.2
Management der antihypertensiven Therapie
Lebensstilmodifikationen
Die Diagnose der arteriellen Hypertonie wird ab einem Blutdruck >140/>90mmHg gestellt. In den aktuell gültigen Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) sowie der Europäischen Gesellschaft für Hypertonie (ESH) wird ab diesem Grenzwert eine antihypertensive Behandlung empfohlen.4 Dabei wird sowohl in den aktuellen Leitlinienempfehlungen als auch in der gegenwärtigen wissenschaftlichen Diskussion die Bedeutung von Lebensstiländerungen hervorgehoben, sie sollten die Basis einer antihypertensiven Therapie sein.4 Der positive Effekt der Lebensstilmodifikationen auf die Blutdrucksenkung und das Outcome von Hypertoniepatienten konnte in einer Vielzahl von wissenschaftlichen Studien bestätigt werden.4,5 Bei Patienten mit hohem und sehr hohem kardiovaskulärem Risiko sollte zusätzlich bereits bei hochnormalen Blutdruckwerten eine medikamentöse Therapie erwogen werden (Abb. 1).4
Abb. 1: Etablierung einer antihypertensiven Therapie, abhängig von den in der Praxis gemessenen Blutdruck-Ausgangswerten (mod. nach [4])
Herausforderungen der medikamentösen antihypertensiven Therapie
Eine Neuerung in der ESC-Hypertonie-Leitlinie von 2018 ist die Empfehlung, frühzeitig eine Kombinationstherapie in Form einer Fixkombination („Single Pill“) einzusetzen (Abb. 2).4 In zahlreichen Studien und Metaanalysen konnte gezeigt werden, dass durch eine antihypertensive Kombinationstherapie der Zielblutdruck effektiver erreicht wird. Auch die Erfolgsrate hinsichtlich der Blutdruckkontrolle im Vergleich zur Monotherapie ist entsprechend höher.6–9 Dieser Effekt ist von entscheidender Bedeutung, da ein frühes Erreichen des Zielblutdrucks die Ereignisraten (Mortalität, Apoplex, Herzinsuffizienz) signifikant reduziert.6–9 Der frühzeitige Beginn einer Fixkombination wirkt sich zudem positiv auf die Therapietreue der Hypertoniker aus.10
Die mangelnde medikamentöse Adhärenz ist eine der größten Herausforderungen bei der effektiven Behandlung der arteriellen Hypertonie. Eine Metaanalyse, in der mehr als 350.000 Patienten berücksichtigt wurden, ergab, dass weniger als 50% der Patienten ihre antihypertensive Medikation zuverlässig einnehmen.11 In weiteren Studien wurde die medikamentöse Adhärenz mittels massenspektrometrischer Analysen im Urin und Plasma überprüft.12,13 Dabei konnte eine mangelnde Adhärenz bestätigt werden: Die verordneten pharmakologischen Substanzklassen waren bei weniger als 50% der Patienten nachweisbar (Abb. 3).12,13 Gleichermaßen konnte der Zusammenhang zwischen der Anzahl der verordneten Tabletten und der mangelnden Adhärenz belegt werden, was die Problematik einer komplexen antihypertensiven Therapie und der damit verbundenen Patienten-Compliance weiter verdeutlicht.14,15
Abb. 3: Darstellung der medikamentösen Adhärenz bei Patienten mit therapierefraktärer Hypertonie, nachgewiesen mittels massenspektrometrischer Analyse im Urin der behandelten Patienten (mod. nach [12])
In der kürzlich veröffentlichten START-Studie wurde der Einfluss eines Single-Pill-Konzepts auf das Patienten-Outcome untersucht.16 Hierzu wurden Real-World-Daten von insgesamt 1,38 Millionen Patienten analysiert und es konnten 29.668 Hypertoniepatienten identifiziert werden, die mit einer initialen Single-Pill-Kombinationstherapie behandelt wurden.16,17 Mittels Propensity-Score-Match-Analyse wurden gleichermaßen Hypertoniepatienten (n=29.668) identifiziert, die mit einer losen Kombination antihypertensiver Medikamente behandelt wurden. Die Ergebnisse der START-Studie bestätigen den Vorteil einer initialen Single-Pill-Behandlung im Hinblick auf die medikamentöse Adhärenz, kardiovaskuläre Ereignisse, Hospitalisierung und vor allem eine signifikante Reduktion der Gesamtmortalität im Vergleich zu einer antihypertensiven Therapie mit einer losen Kombination.16,17 Diese Ergebnisse stärken die aktuell gültige Leitlinienempfehlung einer initialen antihypertensiven Single-Pill-Fixkombinationstherapie.4 Es konnte somit eindeutig gezeigt werden, dass durch das Etablieren einer Fixkombination ein komplexes antihypertensives Therapieschema vereinfacht werden kann und die Adhärenz verbessert wird (Abb. 4).
Abb. 4: Links: Einfluss der Fixkombinationstherapie („Single Pill“) auf die medikamentöse Adhärenz im Vergleich zur Therapie mit loser Kombination bei unkontrollierter Hypertonie; rechts: Darstellung der Gesamtmortalität/100 Patientenjahre in der Gruppe der Patienten, die mit Fixkombinationstherapie („Single Pill“) bzw. loser Kombinationstherapie behandelt wurden (mod. nach [16])
Bei der Behandlung von Patienten mit arterieller Hypertonie ist eine interdisziplinäre und vor allem sektorübergreifende Koordination von zentraler Bedeutung. Hervorzuheben ist die zunehmende Problematik der Multimedikation bei dieser Patientengruppe, die sich nach wie vor negativ auf die Adhärenz und damit auf den Erfolg der Blutdrucktherapie auswirkt. Daher sind besonders der integrative Austausch und die enge Verzahnung zwischen der ambulanten (hausärztlichen) Behandlung und der Behandlung in spezialisierten Zentren oder Kliniken essenziell.
Hypertonie bei älteren Patienten
In den aktuellen Empfehlungen der ESC/ESH-Leitlinien werden bei älteren Patienten höhere Blutdruckwerte toleriert.4 In die kürzlich publizierte STEP-Studie wurden insgesamt 8.511 Patienten im Alter von 60 bis 80 Jahren eingeschlossen, die nach Randomisierung auf einen systolischen Zielblutdruck von 110–129mmHg (intensive Behandlung) oder 130–149mmHg (Standardbehandlung) eingestellt wurden.18 Nach einem Beobachtungszeitraum von 3,3 Jahren konnte der Vorteil des intensivierten Blutdruckziels hinsichtlich des Auftretens kardialer Ereignisse bestätigt werden (HR 0,74, KI: 0,60–0,92, p=0,007).18 Dieses Ergebnis zeigt, dass unter bestimmten Umständen auch bei älteren Patienten ein niedriger Blutdruck angestrebt werden kann, sofern dieser individuell toleriert wird (es sollten keine Symptome einer orthostatischen Hypotonie auftreten). Der niedrige Zielkorridor von 110–129mmHg systolisch ist aber sicherlich nicht für alle Älteren geeignet. Besonders bei gebrechlichen Patientinnen und Patienten sowie „Hochbetagten“ (biologisch >80 Jahre) erscheinen höhere Zielwerte weiterhin sinnvoll.
Ein weiterer Faktor, der sich ungünstig auf die Prognose von Hypertonikern im mittleren und höheren Lebensalter auswirkt, ist eine erhöhte „Pulse Pressure“ bzw. eine erhöhte Pulswellengeschwindigkeit.4 Hierzu liegen derzeit allerdings zu wenige valide Daten vor, um daraus praktische Konsequenzen ableiten zu können.
Neue medikamentöse Therapieansätze
Die Wirksamkeit einer neuen Substanzklasse konnte in einer Phase-II-Studie bestätigt werden.19 Dabei handelt es sich um einen Aldosteron-Synthase-Inhibitor (Baxdrostat), der die Produktion von Aldosteron hemmt und damit die blutdrucksteigernde Wirkung dieses Hormons reduziert (Abb. 5).19 In dieser Studie wurde Baxdrostat bei therapierefraktärer Hypertonie eingesetzt. Dosisabhängig konnten die Aldosteronspiegel im Serum sowie die Aldosteronausscheidung im Urin reduziert werden. Ebenso wurde eine dosisabhängige Reduktion des systolischen Blutdrucks (0,5mg: –12,1mmHg; 1mg: –17,5mmHg; 2mg: –20,3mmHg, p<0,001) und des diastolischen Blutdrucks beobachtet.19 Obwohl die ersten Ergebnisse aus dieser Phase-II-Studie vielversprechend sind, sollten die Ergebnisse aus der Phase-III-Studie abgewartet werden, bevor dieser Wirkstoff klinisch etabliert wird. Von besonderer Bedeutung wird der Effekt des Aldosteron-Synthase-Inhibitors auf das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse und die Mortalität bei Patienten mit Hypertonie sein.
KeyPoints
Lifestyle-Modifikationen sind die Basis jeder Hypertoniebehandlung.
Die antihypertensive Therapie sollte initial mit einer Fixkombination als „Single Pill“ etabliert werden.
Hierdurch kann die medikamentöse Adhärenz signifikant erhöht werden und die kardiovaskuläre Protektion sowie die Prognose der Patienten werden verbessert.
Der integrative Austausch und eine enge Verzahnung zwischen der ambulanten (hausärztlichen) Behandlung und der Behandlung in spezialisierten Zentren bzw. Kliniken sollten ein zentraler Bestandteil der Hypertoniebehandlung sein.
Literatur
1. Collaboration NCDRF. Worldwide trends in hypertension prevalence and progress in treatment and control from 1990 to 2019: a pooled analysis of 1201 population-representative studies with 104 million participants. Lancet 2021; 398(10304): 957–80
2. Guan L et al.: The global, regional, and national burden of appendicitis in 204 countries and territories, 1990-2019: a systematic analysis from the Global Burden of Disease Study 2019. BMC Gastroenterol 2023; 23(1): 44
3. Muntner P et al.: Trends in blood pressure control among US adults with hypertension, 1999-2000 to 2017-2018. JAMA 2020; 324(12): 1190–200
4. Williams B et al.: 2018 ESC/ESH Guidelines for the management of arterial hypertension. Eur Heart J 2018; 39(33): 3021–104
5. Blumenthal JA et al.: Effects of lifestyle modification on patients with resistant hypertension: results of the TRIUMPH randomized clinical trial. Circulation 2021; 144(15): 1212–26
6. MacDonald TM et al.: Combination therapy is superior to sequential monotherapy for the initial treatment of hypertension: a double-blind randomized controlled trial. J Am Heart Assoc 2017; 6(11): e006986
7. Mancia G et al.: Two-drug combinations as first-step antihypertensive treatment. Circ Res 2019; 124(7): 1113–23
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9. Wald DS et al.: Combination therapy versus monotherapy in reducing blood pressure: meta-analysis on 11,000 participants from 42 trials. Am J Med 2009; 122(3): 290–300
10. Weisser B et al.: Single pill regimen leads to better adherence and clinical outcome in daily practice in patients suffering from hypertension and/or dyslipidemia: results of a meta-analysis. High Blood Press Cardiovasc Prev 2020; 27(2): 157–64
11. Naderi SH et al.: Adherence to drugs that prevent cardiovascular disease: meta-analysis on 376,162 patients. Am J Med 2012; 125(9): 882–7 e1
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13. Gupta P et al.: Risk factors for nonadherence to antihypertensive treatment. Hypertension 2017; 69(6): 1113–20
14. Burnier M et al.: Measuring, analyzing, and managing drug adherence in resistant hypertension. Hypertension 2013; 62(2): 218–25
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18. Zhang W et al.: Trial of intensive blood-pressure control in older patients with hypertension. N Engl J Med 2021; 385(14): 1268–79
19. Freeman MW et al.: Phase 2 trial of baxdrostat for treatment-resistant hypertension. N Engl J Med 2023; 388(5): 395–405
20. Touyz RM, Harrison DG: Hope for resistant hypertension through BrigHTN and PRECISION. Nat Rev Nephrol 2023; 19(4): 216–7
Autoren
Prof. Dr. med. Oliver Dörr
Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie, ZB Intensivmedizin, Hypertensiologe (DHL)
Geschäftsführender Oberarzt, Leiter Herzkatheterlabor der Medizinischen Klinik I, Abteilung für Kardiologie am Universitätsklinikum Gießen
Dr. med. Wolfgang Dörr
Facharzt für Allgemeinmedizin
Rödermark
Interessenkonflikte:
Oliver Dörr gibt an, Vortragshonorare und Beraterhonorare von Medtronic und AstraZeneca erhalten zu haben.
Wolfgang Dörr gibt keine Interessenkonflikte an.
Zitierhinweis: erschienen in dieser Ausgabe
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