
25. Mai 2021
Praxiserhebung
COVID-19 im Patientenguteiner Praxis in der Vorderpfalz
Seit über einem Jahr hat das Coronavirus SARS-CoV-2 die Welt fest im Griff. Anfang März 2020 hat es auch den Landkreis Bad Dürkheim erreicht. Einer der ersten positiv getesteten Menschen im Landkreis war ein Patient der allgemeinmedizinischen Praxis Dr. med. Jens Galan, der sich beim Skiurlaub in Ischgl infiziert hatte. In einer bemerkenswerten Praxiserhebung befragten junge Mitarbeiter von Dr. Galan ein Jahr nach Beginn der Pandemie positiv getestete COVID-19-Patienten, wie es ihnen nach der Diagnose ergangen war.
Bei der Hausarztpraxis von Dr. med. Jens Galan handelt es sich um eine überdurchschnittlich große Einzelpraxis – eine von sechs allgemeinmedizinischen Praxen in Grünstadt (ca. 14.200 Einwohner, Kreis Bad Dürkheim, Rheinland-Pfalz). Gleich zu Beginn der Pandemie wurde zusätzlich zum normalen Praxisbetrieb eine „Corona“-Sprechstunde mit eigens hierfür geschaffenem Nebeneingang etabliert. Hier werden seitdem täglich räumlich getrennt von nichtinfektiösen Patienten Menschen untersucht und behandelt, die wegen Infektzeichen oder potenziellen Kontakts zu COVID-19-Kranken unter dem Verdacht stehen, sich mit dem Virus infiziert zu haben. Hierfür wurde das Personal der Praxis um vier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgestockt, zu denen auch die Autoren dieser Erhebung gehören.
Hintergrund und Studiendesign
In der Pfalz wurden bis Ende Februar 2021 ca. 35.000 Menschen positiv auf SARS-CoV-2 getestet – im Landkreis Bad Dürkheim etwas über 3.000. Bei 188 Menschen (9,43% der Getesteten) fiel der in der Praxis Dr. Galan entnommene PCR-Abstrich in dieser Zeit positiv aus. Insgesamt wurden in diesem Zeitraum 1.994 PCR-Untersuchungen veranlasst. Ein Jahr nach Beginn der Pandemie wurden die positiv getesteten Personen am 22.02.2021 befragt: Es interessierte die Autoren dieser nichtrepräsentativen retrospektiven Erhebung, welche Auswirkungen das Virus auf die PCR-positiven Patienten hat bzw. hatte.
Der Fragebogen zielt auf verschiedene Aspekte der Erkrankung ab: Infektionswege, Therapie, gesundheitliche und psychische Auswirkungen.
Einige von Dr. Galan und seinem Team in den örtlichen Altenheimen betreuten Menschen sind dort vom Gesundheitsamt bzw. in einer Klinik positiv auf SARS-CoV-2 getestet worden und daran bzw. mit dem Virus verstorben (n=8). Diese Patienten sind nicht in der hier vorliegenden Patientenkohorte enthalten. Auch haben sich fünf Patienten, die inzwischen über sechs Monate an somatischen Folgen der Erkrankung leiden, nicht an der Studie beteiligt.
Alle Patientinnen und Patienten, die im Zeitraum vom 01.03.2020 bis 22.02.2021 nachweislich infiziert waren, wurden per E-Mail angeschrieben und gebeten, online einen von den Autoren erstellten Fragebogen anonym auszufüllen. Hierbei wurde das Online-Fragebogen-Tool SoSci Survey genutzt, in dem die Befragten vollends anonymisiert teilnehmen konnten. Von den 188 kontaktierten Personen haben 114 geantwortet und es konnten am Ende Daten von 103 Personen ausgewertet werden.
Wer steckt hinter der Studie?
Im ersten „Corona“-bedingten Lockdown vor einem Jahr stellte die Praxis von Dr. med. Jens Galan sämtliche Abläufe auf Pandemiebedingungen um: Vorabanamnese per Telefon, Videosprechstunde und Drive-in zum Abholen von Unterlagen (Rezepte, Überweisungen etc.). Für Letzteres wurde zudem ein Lieferservice per Fahrradbotendienst etabliert, da sich durch die Schulschließung ein Schüler als Aushilfskraft anbot.
Für den aufkommenden Bedarf an PCR-Abstrichen und für die „Corona“-Sprechstunde wurde ein zweiter Zugang zur Praxis auf der Rückseite des Praxisgebäudes geschaffen, um die Patienten im Freien sprechen und abstreichen zu können.
Dieser zweite Praxisbereich wäre mit dem vorhandenen Personal nicht zu betreuen gewesen. Durch Zufall kam der Kontakt zu zwei Abiturientinnen zustande, deren Reisepläne nach dem Schulabschluss durch die Pandemie über den Haufen geworfen worden waren. Zunächst half eine Abiturientin bei der Bürokratie und den Abstrichen aus. Im Verlauf kamen durch den erhöhten Bedarf (durch Reihentestungen in betroffenen Kindergärten/Schulen/Firmen und durch die sog. Bürgertests) vier weitere Aushilfen hinzu, die das praxiseigene „Testzentrum“ betreiben. Bei jeglichen Symptomen oder medizinischen Fragestellungen wird kurzfristig das eigentliche Praxisteam samt Arzt involviert. Bei „Leerlauf“ begleiten die Aushilfen den Praxisalltag als Praktikantinnen. Dadurch haben drei von ihnen Gefallen an der Allgemeinmedizin gefunden und sich für die Aufnahmeprüfung zum Medizinstudium angemeldet. Die erste Aushilfskraft hat vergangenen Herbst das Medizinstudium aufgenommen, eine zweite zum Sommersemester ein Pharmaziestudium begonnen, so dass andere Abiturienten bei der Praxisarbeit nachrücken konnten.
Im Rahmen ihrer Arbeit in der Praxis haben zwei der jungen Mitarbeiterinnen und ein Mitarbeiter die Studie in Eigenregie geplant und durchgeführt.
Die Autoren: Zoe McColgan, Johanna Schäfer, deren Lebens- und Reiseplanungen nach dem Abitur durch „Corona“ durcheinandergebracht wurden, sowie Matteo Galan, Zehntklässler, der durch die „Corona“-bedingten Schulschließungen viel Freizeit gewonnen hat.

Die Studienautoren: J. Schäfer, Z. McColgan, M. Galan, gemeinsam mit J. Galan
Epidemiologische Daten
An der Umfrage haben Personen verschiedenen Alters teilgenommen, wobei zu sehen ist, dass die große Mehrheit mit ca. 60% zwischen 18 und 60 Jahren liegt.
73 der infizierten Personen hatten keine Vorerkrankungen. Nur 10% gaben an, an Vorerkrankungen wie beispielsweise chronischen Lungenerkrankungen, Diabetes mellitus oder kardiovaskulären Krankheiten (Herzinfarkt, Schlaganfall etc.) zu leiden.
Im März und April 2020 waren es jeweils nur vier bzw. drei Neuerkrankungen pro Monat. Von Mai bis September 2020 meldete das beauftragte Labor bei den zahlreich durchgeführten Testungen ausschließlich negative PCR-Ergebnisse. Wie auch im bundesweiten Vergleich zu erkennen ist, stiegen ab Oktober 2020 die Zahlen dann jedoch rapide an (Abb. 1). So stieg die Zahl der Erkrankten von null im September 2020 auf 16 im Oktober 2020. Einen weiteren Anstieg gab es auch im November 2020 mit 23 Erkrankten. Der Peak lag mit 46 Erkrankten im Dezember 2020. Ab Januar 2021 haben die Fallzahlen wieder deutlich abgenommen (n=11), im Februar 2021 lagen sie dann wieder unter fünf. Dieser Verlauf korreliert mit den beiden in Deutschland registrierten Infektionswellen.

Abb. 1: COVID-19-Erkrankte je Monat
Infektionsweg
54% der Infizierten ist bekannt, wo sie sich infiziert haben. Von den bekannten Infektionsquellen lag die deutliche Mehrheit im familiären Umfeld bzw. im Freundeskreis (zusammen ca. zwei Drittel). Schule und Kindergarten spielten erkennbar eine untergeordnete Rolle (Abb. 2).

Abb. 2: Verteilung der unterschiedlichen Infektionsquellen
Beschwerden
Knapp die Hälfte der Erkrankten litt unter den für eine COVID-19-Erkrankung am Peak der zweiten Welle schon fast als pathognomonisch zu bezeichnenden Symptomen wie Atemnot, fehlendem Geruchs-/Geschmackssinn oder Fieber. Die andere Hälfte hatte nur Symptome eines (leichten) Erkältungsinfektes wie leichten Schnupfen oder Halsschmerzen, Husten oder Durchfall. Unter „anderen Beschwerden“ wurden zumeist Kopf- und Gliederschmerzen angegeben, welche von vielen Befragten als besonders auffallend und störend empfunden wurden. Bei 2% der Betroffenen war der Verlauf der Krankheit komplett beschwerdefrei (Abb. 3).

Abb. 3: Durchgemachte Beschwerden
Dauer der Beschwerden
Die Dauer der Beschwerden beschränkte sich bei über 50% der Befragten auf „ein paar Tage“ bis zu ein bis zwei Wochen – also vergleichbar mit dem Verlauf eines banalen Erkältungsinfekts. Bei 16% zogen sich die Beschwerden über drei bis vier Wochen hin. Bei 12% lag die Dauer der Beschwerden zwischen einem und drei Monaten. 1% derjenigen, die sich an der Umfrage beteiligten, waren sogar erst nach drei bis sechs Monaten wieder beschwerdefrei.
Die Altersgruppe der über 70-Jährigen litt durchschnittlich im Vergleich zu den jüngeren Patienten am längsten unter den Folgen der Erkrankung.
Therapie
Bei knapp 80% legten sich die Beschwerden, ohne dass sie therapiert werden mussten. Von den 20% therapiebedürftigen Patienten konnte knapp die Hälfte ihre Beschwerden mit frei verkäuflichen Arzneimitteln lindern. Ein weiteres Fünftel bedurfte antibiotischer Therapie, bei 12% waren Steroide Teil der Therapie. Knapp ein Fünftel der Patienten bedurfte stationärer Therapie im Krankenhaus – 4% auf der Intensivstation.
Psychische Folgen
Abschließend interessierten sich die Autoren der vorliegenden Arbeit auch für die psychischen Folgen der COVID-19-Erkrankung. Über die Hälfte der Patienten verspürte während und nach der Erkrankung keine psychischen Beeinträchtigungen. 43% hatten hier mit durch die Erkrankung verursachten psychischen Problemen zu kämpfen (Abb. 4). In den Kommentaren wurden die Quarantäne-bedingte soziale Isolation und die dadurch erschwerten Unterstützungsmöglichkeiten durch Freunde und Verwandte beklagt: Etliche fühlten sich „alleingelassen“.

Abb. 4: Psychische Auswirkungen einer COVID-19-Infektion; Erhebung der Stimmungslage durch die Frage: „Mir ging es psychisch mit/nach COVID-19 ...?“
Fazit
In der Aussagekraft werden die Ergebnisse dieser Studie dadurch gemindert, dass die Patientenkohorte nicht repräsentativ ist und einige Patienten auf eine Rückmeldung verzichtet haben. Zu bedenken geben die Autoren auch, dass die direkt in den Kliniken aufgenommenen und behandelten schweren Fälle (wie auch die o.g. Todesfälle) sowie fünf der Praxis bekannte Fälle mit langwierigem Verlauf keinen Einzug in diese Studie fanden.
Dennoch spiegeln die hier in einer Allgemeinarztpraxis in der Vorderpfalz erhobenen Daten im Großen und Ganzen die bundesweit beschriebenen Infektionsquellen, Infektionswege und therapeutischen Zahlen wider. Die Zahlen zeigen, dass die COVID-19-Erkrankung zumindest im beobachteten Patientengut für zahlreiche Menschen bis zum Ende der zweiten Erkrankungswelle einen erfreulicherweise milden Verlauf genommen hat. Lang- und mittelfristige Folgeschäden scheinen auf einen sehr kleinen Anteil der an COVID-19 erkrankten Personen begrenzt zu bleiben. Etwaige Langzeitschäden gilt es mittels Longitudinalstudien zu ermitteln. Wichtig ist es, die psychischen Belastungen durch die Erkrankung und die damit verbundenen Isolationsmaßnahmen im Umgang mit diesen Patienten nicht zu übersehen und aktiv in das Therapiekonzept zu integrieren.
Autoren:
Zoe McColgan
Johanna Schäfer
Matteo Galan
Kontakt:
c/o Praxis Dr. med. Jens Galan
Hochgewanne 19 67269 Grünstadt
E-Mail: corona@galan.info
Literatur Head
Literatur Copy Luptatia digenduciati occaectatur? Qui berro minullatur, as aliquias mos dem sa sit moluptu rerum, cuptatquam del ipiciatio iderectio idunt ernat.
Zitierhinweis: erschienen in dieser Ausgabe
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