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9. Mai 2023

Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME)

Höheres Risiko durch Klimawandel

In seiner aktuell veröffentlichten FSME-Karte hat das Robert-Koch-Institut (RKI) drei weitere Regionen zu FSME-Risikogebieten erklärt. Im Interview erläutert Prof. Dr. Martin Pfeffer, warum Zecken sich bei uns immer mehr ausbreiten und der Begriff der Zecken-„Saison“ eigentlich ausgedient hat.

Herr Prof. Pfeffer, welche Gebiete sind 2023 als FSME-Risikogebiete hinzugekommen?

▸▸▸M. Pfeffer: Neu sind das Stadtgebiet München und der Landkreis Fürstenfeldbruck in Bayern sowie der Landkreis Anhalt-Bitterfeld in Sachsen-Anhalt. Insgesamt haben wir nun 178 FSME-Risikogebiete, was über 40% aller Stadt- und Landkreise ausmacht – vor allem in Bayern, Baden-Württemberg, Thüringen und Sachsen. Allein seit 2020 sind 14 neue Risikogebiete hinzugekommen. Da der Status als Risikogebiet für mindestens 20 Jahre bestehen bleibt, verdichtet sich die Risikokarte zunehmend.

Wie kommt es, dass sich die FSME ausbreitet?

▸▸▸ M. Pfeffer: Die FSME breitet sich mit ihren Überträgern, den Zecken, aus. Diese werden ab 6 bis 8°C Tagestemperatur aktiv, ihre optimalen Lebensbedingungen liegen bei Temperaturen zwischen 10 und 26°C und einer Luftfeuchtigkeit von 45 bis 100%. Durch den Klimawandel erreichen wir immer früher und länger im Jahr milde Temperaturen über 6°C. Das führt dazu, dass sich die Zeckensaison ausdehnt. Inzwischen sind Zecken nahezu ganzjährig ein Thema. Lag die FSME-Inzidenz in den Monaten April, Mai, September und Oktober in den 1970er-Jahren noch bei 9%, war sie zwischen 2000 und 2008 schon bei 23%. Zum Beispiel ist die bei uns anzutreffende Auwaldzecke eher in der kühleren Jahreszeit aktiv, ihre Zeckenstiche finden sich daher vorwiegend im Winter. Das konnte in einer aktuellen Untersuchung zum Zeckenbefall bei Katzen und Hunden in Deutschland gezeigt werden: Während unsere heimische Zeckenart, der Gemeine Holzbock, Ixodes ricinus, in der Regel von März bis Oktober aktiv und in den Wintermonaten weniger zu finden ist, wurden in der kalten Jahreszeit vorwiegend Auwaldzecken an den Haustieren gefunden.

Welche neuen Zeckenarten finden sich bei uns?

▸▸▸M. Pfeffer: Durch die veränderten klimatischen Bedingungen sehen wir immer mehr Zeckenarten, die sich ausbreiten, wie die Auwaldzecke (Dermacentor reticulatus), aber auch neue Arten wie die Braune Hundezecke (Rhipicephalus sanguineus), die bei uns nicht endemisch sind, es durch die zunehmend wärmeren Temperaturen aber werden könnten. Vereinzelt wurden auch schon Hyalomma-Zecken gesichtet, die normalerweise in Teilen Südeuropas, Afrikas und des Vorderen Orients vorkommen. Sie erreichen uns als Larven oder Nymphen über Zugvögel und bringen auch neue Krankheitserreger wie das Krim-Kongo-Virus nach Deutschland. Die adulten Zecken dieser Arten lauern den Wirten nicht passiv auf, wie der endemische Gemeine Holzbock oder die Auwaldzecke, sondern gehen als Jagdzecken aktiv auf ihre Wirte zu.

Wie häufig ist die Übertragung des FSME-Virus durch die Zecken?

▸▸▸M. Pfeffer: Schaut man Modelle an, die die Klimaentwicklungen extrapolieren, kann man hochrechnen, dass nicht nur die flächenmäßige Ausbreitung der Gebiete, in denen Zecken vorkommen, zunehmen wird, sondern auch die Anzahl an Zecken. Obwohl nur ein kleiner Teil der Zecken mit dem FSME-Virus infiziert ist, wird die Relevanz der durch Zecken übertragbaren Krankheiten zunehmen. Bei infizierten Zecken reicht ein einziger Stich aus, um die FSME zu übertragen. Und das schon recht früh nach dem Stich. Werden die Zecken nicht gleich entdeckt, hat die Übertragung meist schon stattgefunden.

Was bedeutet das für die Inzidenz in Deutschland?

▸▸▸M. Pfeffer: Die Zahl der FSME-Infektionen in Deutschland nimmt deutlich zu. 2022 hatten wir mit 546 gemeldeten FSME-Fällen eine Steigerung um 30% im Vergleich zum Vorjahr. Das absolute Rekordjahr war 2020 mit 704 gemeldeten Fällen, was einem Plus von 60% zum Vorjahr entsprach. Zecken – und mit ihnen die FSME – erobern auch kältere Gebiete in Höhenlagen bis zu knapp 1.600 Metern, wo die FSME mit zunehmender Morbidität auftritt. Das Gleiche können wir in Skandinavien beobachten, wo FSME-Meldungen aus immer nördlicher gelegenen Regionen eingehen.

FSME-Impfempfehlung

Die STIKO empfiehlt allen Personen, die sich in FSME-Risikogebieten aufhalten oder planen, dorthin zu reisen, und in Beruf oder Freizeit zeckenexponiert sind, die Impfung gegen FSME.1,2 Auch für Reisende außerhalb Deutschlands, die in Endemiegebieten zeckenexponiert sind (Tab.), gilt die Impfempfehlung.3 Die Impfung ist ganzjährig möglich, wichtig ist vor allem, den kompletten Impfschutz sicherzustellen und die regelmäßigen Auffrischimpfungen nicht zu vergessen – nach zunächst drei Jahren und dann alle fünf Jahre, bei Menschen über 60 generell alle drei Jahre. Denn eine Analyse von Krankenkassen-Abrechnungsdaten ergab, dass von den 2012 erstgeimpften Personen nur 67% die zweite Impfung und nur 28% die dritte Impfung im richtigen Zeitintervall erhielten. Die erste Auffrischung erhielten nur noch 7%.4

Wie könnte dem entgegengewirkt werden?

▸▸▸M. Pfeffer: Die FSME-Fallzahlen könnten stark gesenkt werden, wenn wir es schafften, die Impfraten zu erhöhen. Von den 2022 gemeldeten FSME-Erkrankungen lag in 98% der Fälle kein oder nur ein unvollständiger Impfschutz vor. Kein Wunder, wenn man sieht, dass gerade bei in Risikogebieten lebenden Erwachsenen die Impfquote noch 2020 bei nur 19% lag. Am ehesten waren noch die unter 18-Jährigen in Bayern und Baden-Württemberg, die fast flächendeckend als Risikogebiet gelten, geimpft – allerdings sind die Raten mit 36,8% bzw. 24,9% auch hier deutlich zu niedrig.

Sollten sich nur Menschen in den Risikogebieten impfen lassen?

▸▸▸M. Pfeffer: Die Impfung empfiehlt sich auch für Menschen, die nicht in Risikogebieten leben. Denn unser moderner Lebensstil führt dazu, dass wir uns viel mehr bewegen als früher, Urlaube machen, reisen, Freizeit haben, die wir draußen verbringen. In Deutschland ist die flächendeckende Testung von Zecken auf das FSME-Virus nicht sinnvoll, da nur wenige Zecken das Virus in sich tragen. Jedoch ergaben zum Beispiel Untersuchungen bei Rotfüchsen eine positive Korrelation zwischen einer für FSME-Viren positiven Fuchsserologie und der humanen FSME-Inzidenz. Dabei fielen in mehreren Regionen Nordrhein-Westfalens, die nicht als Risikogebiete gelten, bereits positive Fuchsserologien auf – vermutlich also eine Frage der Zeit, bis die FSME auch dort beim Menschen gehäuft vorkommt. Daher gilt immer mehr: Impfung ist die beste Prävention, um es gar nicht erst so weit kommen zu lassen. Wichtig zu wissen: Es gibt keine spezielle Zeckenimpfzeit, die Impfung ist ganzjährig sinnvoll. Selbst für kurzentschlossene Urlauber kann inzwischen eine Schnellimmunisierung innerhalb von 14 Tagen erfolgen. Allerdings sollten dann auch die Auffrischimpfungen nicht vergessen werden.

Online
Eine aktuelle Karte der FSME-Gebiete finden Sie hier.

Unser Interviewpartner
Prof. Dr. Martin Pfeffer
Institut für Tierhygiene und Öffentliches Veterinärwesen
Universität Leipzig

Interview: Dr. med. Christine Adderson-Kisser, MPH

1. Kaiser R et al.: S1-Leitlinie Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), 2020. Verfügbar unter: www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/030-035l_S1_Fruehsommer_Meningoenzephalitis_FSME_2020-02.pdf (abgerufen am 08.03.2023)

2. Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) beim Robert Koch-Institut 2023. Epid Bull 2023; 4: 3–68

3. Robert Koch-Institut: FSME-Risikogebiete in Deutschland (Stand: Januar 2023). Epid Bull 2023; 9: 3–22

4. Schley K et al.: Vaccination rate and adherence of tick-borne encephalitis vaccination in Germany. Vaccine 2021; 39(5): 830–8

5. Robert Koch-Institut: RKI-Ratgeber „Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) und verwandte Virusenzephalitiden (TBE, tick-borne encephalitis)“. Verfügbar unter: www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_FSME.html (abgerufen am 08.03.2023)


Zitierhinweis: erschienen in dieser Ausgabe
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