
14. Januar 2021
COVID-19
„Ich hoffe, ich bin jetzt achtsamer“
Unter der Rubrik „Der Arzt als Patient“ berichten Hausärzte für Hausärzte aus eigener Betroffenheit ihre Erfahrungen, Einsichten und Erkenntnisse. Immer wieder stellen sich dabei dieselben Fragen: War ich richtig krank oder fühlte ich mich nur krank? Wie bin ich mit der Krankheit und mit dem Kranksein umgegangen, und was hat die Krankheit aus mir gemacht?
Auch Ärzte sind von Krankheiten betroffen. Akute, abwendbar und unabwendbar gefährliche Ereignisse. Als Patienten suchen sie dann Rat und Heilung bei ihren Kollegen, Hausärzte selten bei ihren hausärztlichen Kollegen, häufig bei Spezialisten, nicht selten Superspezialisten. In der Regel ist der Wechsel der Perspektive vom Behandler zum Behandelten eine neue Erfahrung: Ist die Diagnose richtig? Die vorgeschlagene Maßnahme das Optimum? Wie ist die Prognose? Wie ist die Kommunikation mit dem Kollegen gelaufen? Auf Augenhöhe? Wurde vielleicht „collegialiter“ im Stillen eine Bevorzugung erwartet? Sollte der kranke Arzt sich schlussendlich dem Kollegen anvertrauen und sich fügen? Oder hätte er vielleicht noch eine weitere Meinung einholen sollen? Ja, wäre er mit seinen Patienten im selben Fall genauso umgegangen?
Corona und die Angst
Dr. med. H.B.: Nur sehr selten bin ich krank; meist, wenn ich die eigenen Grenzen nicht erkenne, stellen sich Übelkeit und Erbrechen ein, nach einem Tag ist alles wieder gut – und das passiert alle drei bis vier Jahre. Somit machte ich mir keine Gedanken, als ich Anfang März 2020 anfing zu husten. Ich fühlte mich nicht krank, machte weiterhin mein Training auf dem Ergometer und behandelte meine Patienten.
Dass meine Frau mir nach zehn Tagen sagte, ich solle doch endlich nicht die Hand beim Husten vorhalten, sondern in die Ellenbeuge husten – und zwar jedes Mal –, empfand ich eher als Stichelei denn als wohlmeinenden Hinweis. Ich hustete weiter – und behandelte weiter; die vorsichtige Anfrage meiner Frau, ob ich mich mal auf COVID-19 testen lassen sollte, empfand ich eher als Affront und nicht als wohlmeinende Empfehlung. Woher sollte ich COVID-19 haben? Ich hatte keinen Kontakt zu COVID-19-Patienten, hatte kein Fieber, fühlte mich wohl und war auch in keinem Risikogebiet!
Schmerzliche Erkenntnis
Nach knapp drei Wochen wurde ich dann doch krank, hatte Gliederschmerzen, wohl auch erhöhte Temperatur (natürlich nicht gemessen). Nun setzte ich auch meine FFP2-Maske ein, die ich noch aus der Zeit besaß, als Vorsichtsmaßnahmen gegen die Schweinegrippe getroffen wurden. Und ich entschloss mich zur Testung in der Gewissheit, meine Frau und die Praxismitarbeiter somit zu überzeugen, dass ich eigentlich gesund war und von mir keine Gefahr ausging.
Am Tag nach der Testung musste ich nur einen halben Tag arbeiten, kam nach Hause und legte mich ins Bett; den Anruf vom Gesundheitsamt, ich sei COVID-19-positiv, nahm meine Frau entgegen; ich schlief, schwitzte und bekam schlecht Luft – bei einer Sättigung von 92% in Ruhe auch kein Wunder.
Quarantäne und Selbstreflexion
Da lag ich nun – bis eben noch überzeugt, allen Infektionskrankheiten trotzen zu können – schweißnass, hustend und mit Luftnot bei kleinen Anstrengungen. Das musste erstmal verdaut werden, dass ich, der immer Gesunde, plötzlich krank war. Und dann die Sorge, jemanden durch unvorsichtiges Tun angesteckt zu haben: meine Frau, welche selbst eine eigene hausärztliche Praxis führt, meine 84-jährige Mutter, das Praxis-team – die Patienten. Hier kann ich vorgreifen, niemand wurde von mir infiziert, zum Glück war ich kein „Superspreader“, aber das wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Meine Frau packte mich sofort in Quarantäne in den Keller, der zwei Wochen lang mein Lebensraum war und wo es zum Glück ein kleines Badezimmer, ein Bett, einen Fernseher und meinen PC gab. In der ersten Woche ging es mir so schlecht, dass mir das alles gleichgültig war. In der zweiten Woche fühlte ich mich fitter und die Quarantäne zerrte an meinen Nerven, und in der dritten wollte ich arbeiten, aber mein Abstrich war noch positiv.
Das freute meine MFAs, denn meine Erkrankung hatte zu heftigen Sorgen bei ihnen geführt; allerdings nicht nur um meine Person, sondern eher um ihre eigene. Die Möglichkeit, auch infiziert zu sein, führte zu deutlichen Ängsten – und alle waren froh, dass ich noch nicht zurückkommen durfte. Mir ist erst da klar geworden, mit welchen Ängsten meine Mitarbeiterinnen konfrontiert waren und wie wenig ich mich bis dahin um ihre Verfasstheit gekümmert hatte.Ich hoffe, ich bin jetzt achtsamer diesbezüglich geworden – und auch mir selbst gegenüber.◆„Das musste erstmal verdaut werden, dass ich, der immer Gesunde, plötzlich krank war. Und dann die Sorge, jemanden durch unvorsichtiges Tun angesteckt zu haben.“„Mir ist erst da klar geworden, mit welchen Ängsten meine Mitarbeiterinnen konfrontiert waren, und wie wenig ich mich bis dahin um ihre Verfasstheit gekümmert hatte.
Ich hoffe, ich bin jetzt achtsamer diesbezüglich geworden – und auch mir selbst gegenüber.
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Kennwort: „Arzt als Patient“
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Autor
Dr. med. H. B.
Geboren 1965
Facharzt für Allgemeinmedizin, Sportmedizin
Um die Persönlichkeitsrechte des Autors zu wahren, wurden die Initialen seines Vor- und Nachnamens von der Redaktion geändert.
Zitierhinweis: erschienen in dieser Ausgabe
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