
17. Oktober 2023
Zulassung von RSV-Impfstoffen nimmt Fahrt auf
Primärprävention im Alter
Zu den Risikogruppen für eine schwere RSV-bedingte Infektion der unteren Atemwege gehören neben kleinen Kindern auch ältere Menschen. Durch die Zulassung eines ersten Impfstoffs und weiterer Impfstoffe in naher Zukunft könnte die Rate an schweren Verläufen mit Krankenhausaufenthalten und erhöhter Mortalität verringert werden.
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Infektionen mit dem Respiratory Syncytial Virus (RSV) nehmen zwar meist einen leichten, erkältungsähnlichen Verlauf, für Risikopersonen ist RSV allerdings eine der häufigsten Ursachen für schwere Erkrankungen der unteren Atemwege (LRTD) und wird global für mehr als 30% aller Pneumonien verantwortlich gemacht.1 Zu den Risikogruppen zählen vor allem (kleine) Kinder, ältere Menschen und Personen mit Komorbiditäten wie Lungen- und Herzkrankheiten oder Diabetes mellitus. In Europa führen RSV-Infektionen jedes Jahr zu schätzungsweise 250.000 Krankenhausaufenthalten und 17.000 Todesfällen im Krankenhaus bei Menschen ab 65 Jahren. Die Mortalität liegt damit höher als bei der Influenza.1,2
Auf einen Blick: Impfstofftypen
Rekombinante vektorbasierte Impfstoffe: modifiziertes, replikationsdefektes Virus zur Auslösung einer humoralen und zellulären Immunantwort durch Bereitstellung der Gene für relevante RSV-Proteine (Antigene). Derzeit drei Kandidaten für Kinder und Ältere in Studien der Phasen II und III
Nukleinsäure-Impfstoffe: Einführung von Boten-RNA (mRNA), die für RSV-Antigene kodiert, in die Zellen
Proteinbasierte Impfstoffe (einschließlich vollständig inaktivierter Viren, Partikel- und Subunit-Impfstoffe): Darstellung verschiedener Antigene (häufig Glykoprotein F) in erhöhter Dichte zur Auslösung einer verstärkten immunologischen Reaktion bei älteren Erwachsenen oder Müttern zur passiven Immunisierung von Säuglingen
Abgeschwächte Lebendimpfstoffe (LAV): Nachahmung der natürlichen Infektion zur Auslösung einer starken Immunantwort bei gleichzeitig verringerter Virulenz. LAV gelten auch für kleine Kinder ab sechs Monaten als wirksam und sicher. Bei chimären LAV werden RSV-Proteine in verwandten abgeschwächten Viren (Sendai- oder Parainfluenza-Viren) exprimiert.
Monoklonale Antikörper (passive Immunisierung): humanisierter monoklonaler Antikörper (mAB; Palivizumab) gegen das RSV-Fusionsglykoprotein (F) für Hochrisikokinder. Monatliche i.m.-Gabe während RSV-Saison notwendig. Alternativ für Neugeborene und Kinder im ersten Lebensjahr verfügbar ein rekombinanter humaner IgG1 kappa mAB (Nirsevimab) mit Bindung der F1- und F2-Untereinheiten des RSV-Fusionsproteins (F) an einem hochkonservierten Epitop (Blockade von F in der Präfusionskonformation).
Dass die Bemühungen um eine Prävention durch Impfung für über 40 Jahre ruhten, ist auf den damals gescheiterten Versuch mit einem durch Formalin inaktivierten RSV-Impfstoff zurückzuführen, der statt Schutz zu einer erhöhten Morbidität der geimpften Kinder geführt hatte.3 So gab es lange Zeit nur ein Prophylaxe-Medikament, eine Passiv-Immunisierung durch gentechnisch hergestellte RSV-Antikörper, für Frühchen und vorerkrankte Kinder. Im Juni 2023 wurde nun die erste Aktivimpfung für ältere Menschen zugelassen und im August auf dem deutschen Markt eingeführt.4 Und das ist nur der Anfang: 34 Impfstoffkandidaten zur RSV-Prävention befinden sich derzeit in der klinischen Entwicklung, die mit unterschiedlichen passiven und aktiven Wirkansätzen arbeiten:5,6 monoklonale Antikörper zum Schutz von Säuglingen, abgeschwächte Lebendimpfstoffe für Säuglinge ab sechs Monaten, Untereinheiten-Impfstoffe für Schwangere zur maternalen Immunisierung von Säuglingen sowie rekombinante Vektor-, Untereinheiten- und Nukleinsäure-Impfstoffe für ältere Erwachsene. Besonders das Fusionsprotein F, ein Oberflächenglykoprotein, das in seiner Konformationsform „pre-fusion F“ (preF) die stärksten neutralisierenden Antikörper induziert und bei beiden RSV-Subtypen (RSV-A und RSV-B) weniger Variabilität zeigt als das Oberflächenprotein G, ist das bevorzugte Ziel für Impfinterventionen. Weitere Ansätze sind Partikel- und chimäre Impfstoffe.6 Neun der Impfstoffkandidaten haben bereits die Phase III in klinischen Studien erreicht und stehen zum Teil kurz vor der Zulassung (Tab.).5
Erste Impfstoffe für ältere Menschen verfügbar
Der rekombinante, AS01E-adjuvantierte Impfstoff auf Basis des RSV-Präfusions-F-Proteins (RSVPreF3 OA) fungiert als Antigen, gegen das vom Immunsystem Antikörper zum Schutz vor der Infektion gebildet werden. Die Zulassung der einmaligen Impfung von Personen ab 60 Jahren erfolgte auf Basis der Daten einer randomisierten, placebokontrollierten Phase-III-Studie mit 24.966 Erwachsenen (>60Jahre) in 17 Staaten.1,2,7 Nach einer medianen Beobachtungszeit von 6,7 Monaten zeigte sich eine Impfstoffwirksamkeit gegen Real-Time-PCR-bestätigte RSV-bedingte Erkrankungen der unteren Atemwege von 82,6%. Gegen schwere RSV-LRTD war der Impfstoff zu 94,1% wirksam, gegen RSV-bedingte akute Atemwegsinfektionen zu 71,7% – unabhängig vom RSV-Subtyp sowie dem Vorliegen von Begleiterkrankungen.7 Mit einer Nebenwirkungsrate von etwa 3% fiel das Sicherheitsprofil akzeptabel aus. Die am häufigsten gemeldeten typischen Impfreaktionen, die innerhalb von rund zehn Tagen abklangen, waren Schmerzen an der Injektionsstelle, Kopf-, Muskel- und Gelenkschmerzen sowie Müdigkeit.7 Die weitere klinische Prüfung soll nun neben der Dokumentation der Langzeitsicherheit der Überprüfung dienen, ob die Einmalimpfung einen ausreichenden Schutz über mehrere Saisons hinweg bietet oder eine Auffrischimpfung notwendig ist.
Seit August 2023 ist ein bivalenter Impfstoff auf Basis des gentechnisch hergestellten RSV-F-Präfusionsproteins (RSVpreF) zugelassen für Menschen ab 60 Jahren.8 Die Zulassung basierte auf den Daten der Phase-III-Studie mit 34.284 Erwachsenen über 60 Jahre. 1:1-randomisiert erhielt die Verum-Gruppe eine einmalige intramuskuläre Injektion des RSVpreF-Impfstoffs in einer Dosierung von 120μg (60μg jeweils für RSV-Untergruppe A und B). Die Impfstoffwirksamkeit gegen saisonale RSV-LRTD nach zwei verschiedenen Definitionen (primäre Endpunkte) lag bei 66,7% bzw. 85,7%. Gegen RSV-assoziierte akute Atemwegsinfektionen (sekundärer Endpunkt) wurde eine Wirksamkeit von 62,1% erzielt. In puncto Sicherheit lag die Rate an lokalen Nebenwirkungen mit 12% höher als unter Placebo (7%), systemische unerwünschte Ereignisse (UAE) traten in beiden Gruppen gleich häufig auf (27% bzw. 26%). Ebenso lagen auch die Raten an injektionsbedingten UAE einen Monat nach Impfung mit 1,4% bzw. 1% sowie die Rate an schwerwiegenden UAE mit jeweils 2,3% in beiden Gruppen auf gleichem Niveau.8
Weitere Impfstoffe in klinischen Studien
Auch ein mRNA-basierter Impfstoff (mRNA-1345) wurde inzwischen für die Zulassung bei Personen über 60 Jahre eingereicht. Grundlage dafür sind die positiven Daten aus einer Zwischenanalyse der zulassungsrelevanten randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Phase-II/III-Studie ConquerRSV mit 37.000 über 60-Jährigen in 22 Ländern.4 Der Impfstoff besteht aus einer einzigen mRNA-Sequenz, die für ein stabilisiertes Präfusions-F-Glykoprotein kodiert. In der Zwischenanalyse hatte sich eine Wirksamkeit von 83,7% bzw. 82,4% für die beiden primären Wirksamkeitsendpunkte (Impfstoffwirksamkeit gegen RSV-LRTD, basierend auf zwei unterschiedlichen LRTD-Definitionen) gezeigt. Mit einer Nebenwirkungsrate von rund 3% wies auch der mRNA-Impfstoff ein günstiges Sicherheitsprofil auf: Die meisten unerwünschten Nebenwirkungen waren leicht oder mittelschwer, am häufigsten wurden Schmerzen an der Injektionsstelle, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Myalgie und Arthralgie angegeben.1,4
KeyPoints
RSV ist für eine signifikante Anzahl von Infektionen der unteren Atemwege in der kühlen Jahreszeit verantwortlich, wobei neben ganz jungen besonders ältere Menschen für einen schweren Verlauf gefährdet sind.
Für die Prävention von RSV-Infektionen wurde für Personen ab 60 Jahren nun der erste Aktivimpfstoff zugelassen, zwei weitere Impfstoffe befinden sich im Zulassungsverfahren.
Die Impfstoffeffektivität erreicht Raten von über 80% bei akzeptablem Sicherheitsprofil.
Die Impfstoffwirksamkeit in Subgruppen und das Nebenwirkungsspektrum der einzelnen Impfstoffe könnten künftig Faktoren bei der individuellen Auswahl des Impfstoffs sein.
Weitere 21 Impfstoffkandidaten befinden sich derzeit in den klinischen Studienphasen I bis III, mehr als zehn weitere in der präklinischen Entwicklung.6 Da es weiterhin keine spezifischen Behandlungsmöglichkeiten für RSV-Infektionen gibt und die Therapie rein supportiv erfolgt, besitzt die Präventionsstrategie aktuell das größte Potenzial, um Morbidität und Mortalität in den RSV-Hochrisikogruppen zu reduzieren.
Bericht: Dr. med. Christine Adderson-Kisser, MPH
Literatur
1. Vortrag „Impfen und chronische Atemwegserkrankungen: Immunologische Aspekte am Beispiel der RSV-Impfung“ von Prof. Gernot Rohde (Frankfurt/M.) im Rahmen der Fachtagung „Allergologie im Kloster 2023“, 13. Mai 2023
2. Paul-Ehrlich-Institut (PEI) 2023: Zulassung für Impfstoff gegen Respiratorisches Synzytial-Virus (RSV) empfohlen. Verfügbar unter: www.pei.de/DE/newsroom/hp-meldungen/2023/230428-zulassung-rsv-impfstoff-empfohlen.html (abgerufen am 24.08.2023).
3. Delgado MF et al.: Lack of antibody affinity maturation due to poor toll-like receptor stimulation leads to enhanced respiratory syncytial virus disease. Nat Med 2009; 15(1): 34–41
4. vfa.Die forschenden Pharmaunternehmen 2023: In Entwicklung: Impfstoffe und anderer Schutz vor RSV. Verfügbar unter: www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/impfen/schutz-vor-rsv (abgerufen am 24.08.2023)
5. Mazur NI et al.: Respiratory syncytial virus prevention within reach: the vaccine and monoclonal antibody landscape. Lancet Infect Dis 2023; 23(1): e2–21
6. Gatt D et al.: Prevention and treatment strategies for respiratory syncytial virus (RSV). Pathogens 2023; 12(2): 154
7. Papi A et al.: Respiratory syncytial virus prefusion f protein vaccine in older adults. N Engl J Med 2023; 388(7): 595–608
8. Walsh EE et al.: Efficacy and safety of a bivalent RSV prefusion f vaccine in older adults. N Engl J Med 2023; 388(16): 1465–77
Zitierhinweis: erschienen in dieser Ausgabe
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