
23. November 2022
Früh erkennen und rechtzeitig behandeln
Sexuell übertragbare Erkrankungen
Sexuell übertragbare Infektionen (STI, sexual transmitted infection) gehören zum klinischen und praktischen Alltag und fristen dennoch ein Nischendasein, sei es, weil Patientinnen und Patienten aus Scham intime Details verschweigen oder weil uns als Ärztinnen und Ärzte die richtigen Worte für das Gespräch fehlen. Mit diesem Artikel möchten wir ein paar praktische Tipps für den Umgang mit diesem doch allzu menschlichen Thema an die Hand geben.
STIs haben sowohl epidemiologisch als auch klinisch eine große Bedeutung.1 Betroffen sind nicht nur vulnerable Personengruppen, zum Beispiel Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), oder Menschen mit intravenösem Drogenkonsum (IVD), sondern ebenso heterosexuell orientierte Personen. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) infizierten sich 2020 rund 2.000 Menschen mit HIV.2 Zu den weiteren wichtigen Vertretern der STI-Erregergruppe zählen Treponema pallidum, das Hepatitisvirus A bis E, das Humane Papillom-Virus (HPV), Chlamydia trachomatis, Neisseria gonorrhoeae, das Herpes-Simplex-Virus (HSV), Trichomonas vaginalis und – als neuester Vertreter – das Affenpockenvirus.
Typische Leitbefunde bei STI
Zu den typischen Symptomen einer sexuell übertragbaren Erkrankung zählen zunächst Dysurie, urethraler Fluor und vaginaler Fluor. Besteht die Infektion schon mehrere Wochen, kommen Hautveränderungen hinzu, zum Beispiel anogenitale Ulzera an der Eintrittspforte und Hautausschläge. Auch die nächstgelegenen Lymphknoten reagieren auf den Erreger und können durch Schwellung und Druckdolenz imponieren. Im weiteren Verlauf zeigt sich bei Männern das anorektale Syndrom bestehend aus Rektalblutungen, Defäkationsschmerz und Sekretausschüttung. Bei Frauen kommt es häufig zu azyklischen vaginalen Blutungen oder Kontaktblutungen. Bleiben die Symptome unerkannt, kann es zu einer chronischen Unterbauchentzündung (PID, pelvic inflammatory disease) und Dyspareunie kommen.3
Trichomonas, die Vergessene
Das Protozoon Trichomonas vaginalis gerät bei den möglichen Differentialdiagnosen einer STI häufig in Vergessenheit. Die Übertragung erfolgt in der Regel durch Sexualkontakt und verläuft in den meisten Fällen asymptomatisch. Dennoch wurden Zusammenhänge zwischen einer Kontamination und dem Entstehen von Karzinomen, schwierigen Schwangerschaftsverläufen sowie Infertilität beschrieben.3 Mögliche Symptome können bei Frauen ein vaginaler Ausfluss und Entzündungen im Beckenbereich sein, bei Männern kann sich eine Urethritis zeigen, häufiger jedoch bleiben Infektionen asymptomatisch. Die Diagnostik erfolgt mittels PCR aus oralen, urethralen, zervikalen und analen Abstrichen. Eine mögliche Therapie besteht aus 2g Metronidazol p.o. über sieben Tage.
Gonorrhoe, die Resistente
Neisseria gonorrhoeae verursacht die Gonorrhoe, im Volksmund Tripper genannt. Die Übertragung erfolgt durch Schleimhautkontakt, die ersten Symptome zeigen sich im Durchschnitt nach einer Woche, meist durch eine Entzündung am Infektionsort: Urethritis, Proktitis, Pharyngitis, Konjunktivitis, Zervizitis, wobei Letztere häufig unbemerkt verläuft und auch noch nach Jahren zu Endometritis, Salping-/Adnexitis und zur Unfruchtbarkeit führen kann.3 Bei Männern zeigt sich zudem der sogenannte Bonjour-Tropfen, ein eitriger Fluor bei der morgendlichen Miktion. Die Diagnostik erfolgt mittels PCR aus oralen, urethralen, zervikalen und analen Abstrichen. N. gonorrhoeae zeichnet sich durch außergewöhnliche Wandlungsfähigkeit aus, was zu einer hohen Rate an möglichen Resistenzmechanismen führt.4 Daher empfiehlt es sich, zur Absicherung einer resistenzgerechten Therapie auch Material für eine kulturelle Anzucht zu gewinnen und bei persistierenden Symptomen nach einer Woche eine Therapiekontrolle durchzuführen. Aktuell wird bei unkomplizierten Infektionen eine einmalige Therapie mit Ceftriaxon 1–2 g i.v./i.m. plus Azithromycin 1,5 g p.o. empfohlen.3
Chlamydien, die Häufigen
Chlamydia trachomatis der Serovare D bis K führen zu einer Chlamydieninfektion, welche zu den häufigsten STIs bei unter 25-Jährigen zählt, die Übertragung erfolgt durch Schleimhautkontakt. Die Inkubationszeit variiert stark zwischen drei und 30 Tagen, die Infektion selbst verläuft lange Zeit asymptomatisch: 70% der Männer und 50% der Frauen sind sich ihrer Infektion nicht bewusst. Wie auch bei den anderen STIs ist hier eine Mitbehandlung des Partners bzw. der Partnerin unerlässlich. Wenn sich Symptome zeigen, ähneln sie denen einer Gonorrhoe: PID, Dysurie, Konjunktivitis, Pharyngitis. Die Therapie ist unkompliziert: 200mg Doxycyclin p.o. für elf Tage.
Syphilis, das Chamäleon
Die Syphilis, auch Lues genannt, wird durch den Erreger Treponema pallidum ausgelöst. Die Infektion erfolgt primär über den Sexualkontakt mit infizierten Personen oder durch eine schwangere Frau auf ihren Fötus.5 Eine Impfung gibt es bisher nicht, der Schutz erfolgt einzig durch das Benutzen von Kondomen. Der Erreger kann im Gegensatz zu anderen STIs auch über Oralverkehr, Küssen und Kontakt mit infizierten Hautstellen übertragen werden.6 Syphilis ist das Chamäleon unter den STIs und präsentiert sich mit unterschiedlichen Symptomen, da es nach der Ansteckung in die Blutbahn und das Lymphsystem gelangt und von dort aus beinahe jedes Organ und das Nervensystem penetrieren kann.7
Die unbehandelte Syphilisinfektion durchläuft vier Phasen: Im Primärstadium zeigt sich ein Primäraffekt, der harte Schanker: Ein schmerzloses, infiltrierendes Ulkus an der Eintrittspforte, das nach wenigen Tagen spontan ausheilt, begleitend findet sich eine Lymphadenopathie. Das Sekundärstadium ist gekennzeichnet durch disseminierte Effloreszenzen an Rumpf und Extremitäten und eine generelle Infektion des Lymphsystems. Anschließend folgt ein Latenzstadium, die klinischen Manifestationen sind regredient. Im Tertiärstadium, das bis zu zehn Jahre nach der Erstinfektion andauern kann, beherrschen oberflächliche Hautveränderungen das klinische Bild, die einschmelzen und als „Gummen“ nach außen durchbrechen können.8 Als Screeningtest eignet sich der TPPA-Test (Treponema-pallidum-Partikel-Agglutinations-Test), der bei positivem Ergebnis durch den FTA-Abs-Test (Fluoreszenz-Treponema-Antikörper-Absorptions-Test) bestätigt wird. Während der Verlaufskontrolle werden VDRL-Tests (Venereal-Disease-Research-Laboratory-Test) durchgeführt. Die Therapie erfolgt bei der Frühsyphilis mittels einmaliger intramuskulärer Injektion mit Benzathin-Penicillin G, bei unbekanntem Infektionszeitpunkt mittels dreimaliger Injektion im Abstand von jeweils einer Woche.9
Affenpocken, die jüngste Seuche
Seit 2022 müssen auch die Affenpocken bei der Sexualanamnese mitbedacht werden. Affenpocken sind keine STIs im eigentlichen Sinne, denn eine Übertragung erfolgt bereits durch engen (Schleim-)Hautkontakt und manifestiert sich als systemische Virusinfektion, so kann das Virus bei Infektion beispielsweise auch per Abstrich im Rachen nachgewiesen werden. Eine Übertragung kann also, im Gegensatz zu den meisten anderen STIs, auch durch Küssen oder Hautkontakt stattfinden. Manifestationen treten bevorzugt am Ort der Übertragung auf, aber potenziell auch am gesamten Integument. Schutz bietet eine Pockenimpfung in der Kindheit, die in Westdeutschland bis 1976, in Ostdeutschland bis 1982 durchgeführt wurde. Allerdings ist laut aktuellem Stand der tatsächliche protektive Effekt unklar, vor allem, wenn die zweite Auffrischimpfung nicht regelrecht erfolgte. Die Affenpocken sind also eine neue, noch unbekannte Seuche, die die Post-„Corona“-Freiheit opportunistisch für sich ausnutzte und ihr Habitat in der ökologischen Nische der besonders sexuell aktiven MSM fand. Eine Therapie ist derzeit kaum verfügbar, dafür ist die präventive Immunisierung mittels Impfung möglich. Diese wird bevorzugt an Immunsupprimierte verabreicht, wobei hier die langfristige Wirkung noch unklar ist. Weitere Zielgruppen für eine Impfprävention sind MSM mit vielen sexuellen Kontakten (z.B. PrEP-Klientel) und medizinisches Personal.
Virushepatitiden, die Komplizierten
Zu den Infektionen mit Hepatitisviren, die im Rahmen einer STI-Vorsorge bedacht werden müssen, zählen Hepatitis A (HAV), B (HBV) und C (HCV). HAV wird durch anal-orale Kontamination verursacht, B durch Kontakte mit Schleimhaut, Sekret und Blut, also häufig beim Geschlechtsverkehr, während HCV vornehmlich durch Blut und blutige Sexualpraktiken weitergegeben wird (AWMF S2k-Leitlinie Registernummer 059 – 006). Ein Symptombeginn kann nicht klar eingegrenzt werden und variiert auch hier zwischen den Untergruppen: HAV zeigt im Durchschnitt nach zwei bis sieben Wochen erste Symptome, HBV nach vier bis 24 Wochen und bei HCV können durchschnittlich zwei bis 36 Wochen bis zur ersten Manifestation vergehen. Eine Möglichkeit der früheren Diagnostik wird durch regelmäßige Sexualanamnesen gegeben.
Affenpocken – ein Fallbericht
Ein 35-jähriger Mann, der Sex mit Männern hat (MSM), wandte sich per E-Mail an seinen behandelnden Arzt, nachdem er am Tag zuvor neu aufgetretene Skrotalläsionen bemerkt hatte. Zugleich hatte er urethralen Ausfluss und linksseitig vergrößerte inguinale Lymphknoten bemerkt. Bei Verdacht auf Syphilis nahm er selbstständig Doxycyclin ein, dies führte jedoch zu keiner Verbesserung der Symptome. Bei dem Patienten war im Dezember 2019 eine HIV-Infektion festgestellt und sofort eine antiretrovirale Therapie eingeleitet worden; die restliche medizinische Anamnese zeigte sich blande, auch sexuell übertragbare Infektionen (STI) wurden bisher nicht dokumentiert.
Aufgrund einer parallel dazu verlaufenden COVID-19-Isolierung wurde die erste klinische Untersuchung für den 11. Tag nach dem ersten Telefonat vereinbart. Hier zeigten sich vier vergrößerte kreis- und kraterförmige skrotale Hauterhebungen mit zentraler Einschmelzung von ca. 5x5mm. Die Laboruntersuchungen ergaben ein leicht erhöhtes C-reaktives Protein (CRP 1,11mg/dl, nr<0,5), STI-Tests auf Syphilis, Chlamydien, Gonokokken und Trichomonaden waren negativ, der Abstrich auf Affenpocken-DNA zeigte sich jedoch positiv (Ct-Wert=18,62; in-house modifizierte LightMix Modular Monkeypox Virus-PCR/TibMolBiol, Roche Diagnostics, Mannheim/Deutschland; Ct-Wert ≥40=negativ). Die CD4-Zellzahl lag mit 1.007/μl im Normbereich (CD4/CD8-Ratio 0,79), die HIV-RNA lag unter der Nachweisgrenze. An Tag 29 zeigten sich alle Hautläsionen trocken und vernarbt, es traten keine neuen Bläschen auf. Daraufhin wurde die durch das Gesundheitsamt verhängte Isolierung aufgehoben, der Patient konnte seine Arbeit als Altenpfleger wiederaufnehmen.
Im Praxisalltag kann die klinische Diagnose der Affenpocken bei MSM durch Nukleinsäuretests und Elektronenmikroskopie unterstützt werden (Thornhill et al. 2022). Da aktuell noch keine spezifische antivirale Therapie, z.B. Tecovirimat, ausreichend verfügbar ist (Laudisoit et al. 2018), besteht die Behandlung immunkompetenter Patienten in der symptomatischen Therapie, im Sinne eines „best suppor-tive care“. Angesichts hoher Fallzahlen in Deutschland (Hoffmann et al. 2022), stellt die sichere Blickdiagnose ein hilfreiches Werkzeug dar und kann im klinischen Alltag bestenfalls bei der raschen Diagnosefindung unterstützen.
HIV, das Stigmatisierende
Die humanen Immundefizienz-Viren (HIV) sind lymphotrope Lentiviren aus der Familie der Retroviren. Sie werden durch Blut und andere infektiöse Körperflüssigkeiten (Sperma, Vaginalsekret) sowie den Flüssigkeitsfilm auf der Darmschleimhaut übertragen. Häufigster Übertragungsweg sind ungeschützte Sexualkontakte. Ein besonders hohes Infektionsrisiko haben Männer mit gleichgeschlechtlichen Sexualkontakten (MSM; ca. 65% der aktuell diagnostizierten Infektionen), Menschen mit Herkunft aus Ländern mit hoher Verbreitung von HIV in der Allgemeinbevölkerung und Personen, die i.v. Drogen konsumieren (10%).
Sechs Tage bis sechs Wochen, meist zwei bis drei Wochen nach der Infektion treten bei einem Teil der Infizierten unspezifische Symptome eines viralen Infektes auf (z.B. Fieber, Lymphknotenschwellung, diskretes Exanthem des Stammes, Durchfall, schmerzhafte Schluckbeschwerden). Die Symptome werden meist als grippaler Infekt verkannt. Der akuten Infektion folgt meist ein symptomfreies oder -armes Stadium, das Monate oder Jahre dauern kann. Der Nachweis HIV-spezifischer Antikörper kann dann der einzige Hinweis auf eine Infektion sein. Unbehandelt erkranken zehn Jahre nach Infektion etwa 50% der Infizierten an schweren Immundefekten (AIDS). Dies kann jedoch bei früher Diagnose mit den verfügbaren antiretroviralen Medikamenten meist verhindert werden. Eine erfolgreiche antiretrovirale Therapie (ART), die die Viruslast im Plasma unter die Nachweisgrenze (derzeit ca. 20 Viruskopien/ml) senkt, hebt daher auch die Ansteckungsfähigkeit praktisch auf (n=n – nicht nachweisbar = nicht übertragbar).
Autoren
Dr. med. Ana M. Groh
Prof. Dr. med. Christoph Stephan
Infektiologie, Zentrum der Inneren Medizin/Klinik 2, Universitätsklinikum Frankfurt/Main
Interessenkonflikte:
Die Autoren haben keine deklariert.
Literatur
1 Unemo M et al.: Sexually transmitted infections: challenges ahead. Lancet Infect Dis 2017; 17(8): e235–79
2 Robert Koch-Institut (RKI): Infektiologisches Bulletin 47/2021
3 AWMF: S2k-Leitlinie: Sexuell übertragbare Infektionen (STI) – Beratung, Diagnostik und Therapie. Online verfügbar unter: www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/059-006l_S2k_Sexuell-uebertragbare-Infektionen-Beratung-Diagnostik-Therapie-STI_2019-09.pdf , zuletzt geprüft am 02.07.2022
4 Unemo Magnus, Shafer WM: Antimicrobial resistance in Neisseria gonorrhoeae in the 21st century: past, evolution, and future. Clin Microbiol Rev 2014; 27(3): 587–613
5 Cohen S et al.: Syphilis in the modern era: an update for physicians. Infect Dis Clin North Am 2013; 27(4): 705–22
6 Bundesministerium für Gesundheit: Treponema pallidum. In: Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 2002) ; 45 (10): 818–26
7 Ficarra G, Roman C: Syphilis: the renaissance of an old disease with oral implications. Head Neck Pathol 2009; 3(3): 195–206
8 AWMF 059/002 – S2k-Leitlinie: Diagnostik und Therapie der Syphilis: Diagnostik Therapie Syphilis. Online verfügbar unter: www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/059-002l_S2k_Diagnostik_Therapie_Syphilis_2021_06.pdf , zuletzt geprüft am 02.07.2022
9 Peeling R et al.: Syphilis. Nat Rev Dis Primers 2017; 3: 17073
Zitierhinweis: erschienen in dieser Ausgabe
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