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20. Januar 2023

Magen-Darm-Beschwerden

Akute Pankreatitis

Die akute Pankreatitis ist zwar relativ selten, kann potenziell aber schwer verlaufen. Sie kann zu schwerwiegenden systemischen, aber auch lokalen Komplikationen führen, deren Erkennung für die Prognose entscheidend ist. Ein gutes Verständnis der verschiedenen Ätiologien und möglicher Verlaufsformen sowie der Terminologie typischer Komplikationen ist für die stadiengerechte Therapie von großer Bedeutung.

Die akute Pankreatitis ist charakterisiert durch gürtelförmige Oberbauchschmerzen, laborchemisch durch eine Erhöhung der Lipase (oder Amylase) auf mehr als das Dreifache der oberen Norm und durch computertomografisch nachweisbare entzündliche Organveränderungen.1 Die Inzidenz beträgt 13 bis 45 pro 100.000 Einwohner entsprechend etwa 50 Hospitalisationen pro 100.000 Einwohner.2,3 Typischerweise werden saisonale Schwankungen beobachtet, zum Beispiel ein vermehrtes Auftreten der äthyltoxischen Pankreatitis nach Festtagen.

Gemäß der sogenannten revidierten Atlanta-Klassifikation werden drei Schweregrade der Pankreatitis unterschieden.1 Mit Abstand am häufigsten (ca. 75%) ist die milde Form, die typischerweise keine Organdysfunktion und keine Komplikationen verursacht. Die Erkrankung heilt typischerweise in weniger als einer Woche folgenlos aus, sodass die Mortalität unter 1% liegt.1 Die mittelschwere Verlaufsform wird in etwa 20% der Fälle beobachtet und führt zu einer passageren, meist weniger als 48 Stunden anhaltenden Organdysfunktion, wobei lokale Komplikationen (ohne Organversagen) beobachtet werden können. Die Mortalität liegt unter 20%.1 Die schwere Verlaufsform ist mit rund 5% selten. Die Mortalität liegt infolge einer durch Nekrosen verursachten Pankreasinsuffizienz bei 10 bis 30% und der Verlauf ist durch ein prolongiertes, über mehr als 48 Stunden anhaltendes Multiorganversagen mit Schock, ARDS (Acute Respiratory Distress Syndrome) und Nierenversagen charakterisiert.1

Ursachen der akuten Pankreatitis

Die häufigsten Ursachen einer Pankreatitis sind chronischer Alkoholüberkonsum und Gallensteinleiden.3,4 Etwa 2 bis 3% der Alkoholiker, die mehr als 50g Alkohol pro Tag über mehr als fünf Jahre konsumieren, sind betroffen. Bei der sogenannten biliären Pankreatitis verlegt ein aus der Gallenblase mobilisiertes Konkrement den gemeinsamen Ausführungsgang des Gallen- und Pankreasgangs im Bereich der Ampulla Vateri. Sie tritt bei etwa 2% der Patienten mit asymptomatischer Cholezystolithiasis im Laufe von 20 bis 30 Jahren auf.

Andere Ursachen einer akuten Pankreatitis sind Medikamente wie Azathioprin, Mercaptopurin oder Mesalazin. Auch nach einer endoskopischen Darstellung der Gallengänge mit Kontrastmittel (ERCP) kann postinterventionell eine akute Pankreatitis auftreten. Das Risiko beträgt etwa 3,5%; in 90% der Fälle ist der Verlauf mild bis mittelschwer und durch prophylaktische Gabe von Indometacin vor der Untersuchung kann das Risiko reduziert werden.3,4 Weitere Ursachen für eine Pankreatitis sind Hypertriglyzeridämien oder Traumen. Selten sind hereditäre oder idiopathische Formen.3,4

Symptome und Diagnostik

Typische Symptome sind plötzlich auftretende, heftige, gürtelförmige epigastrische Schmerzen mit Ausstrahlung in den Rücken (90%), Übelkeit und Erbrechen (80%) und die Entwicklung eines paralytischen (Sub-)Ileus (70%).5,6 Bei der körperlichen Untersuchung wird in etwa 60% eine diffuse Druckdolenz („Gummibauch“) gefunden, in etwa der Hälfte der Fälle ist eine Tachykardie zu beobachten. Die in den Lehrbüchern immer wieder erwähnten „Grey-Turner“- oder „Cullen“-Zeichen sind mit 1% selten. Etwa 10% der Patienten weisen aber Vigilanzstörungen auf.5,6

Während bei der laborchemischen Diagnostik die Bestimmung der (Gesamt-)Amylase am häufigsten verwendet wird, ist die Sensitivität der pankreasspezifischen Amylase etwas höher, doch ist die Bestimmung etwas teurer und wird aus technischen Gründen nicht so oft verwendet.2,7 Die Richtlinien der Fachgesellschaften empfehlen hingegen die alleinige Bestimmung der Lipase, da sie im Vergleich zur Amylase früher und länger anhaltend erhöht ist, sodass ein größeres diagnostisches Fenster resultiert. Die gleichzeitige Bestimmung von Amylase und Lipase erhöht die Sensitivität und Spezifität der Diagnose nicht und wird deshalb nicht empfohlen.2,7

Bildgebende Diagnostik

Die erste und rasch verfügbare Bildgebung ist die Sonografie des Abdomens mit der Frage nach einer Cholelithiasis.2 Die Computertomografie des Abdomens erlaubt im Verlauf – neben den klinischen Zeichen – die Unterscheidung zwischen einer ödematösen und einer nekrotisierenden Pankreatitis, wird jedoch nicht routinemäßig empfohlen und kommt erst vier bis sieben Tage nach dem Auftreten der ersten Symptome in Betracht, da sich vorher keine Nekrosen ausbilden können.1,2 Auch die routinemäßige Feinnadelpunktion von Pankreasnekrosen ist nicht indiziert, zumal in bis zu 25% der Fälle falsch negative Befunde auftreten können. In der Computertomografie nachweisbare Zeichen der Gasbildung in der Nekrose sowie klinische Entzündungs- und Infektparameter sind ausreichend gute Prädiktoren für die Diagnose.2

Prognose und Verlauf

Zur Abschätzung der Prognose bzw. des Auftretens schwerer Verläufe mit systemischen Komplikationen werden die in Tabelle 1 aufgeführten sogenannten SIRS-Kriterien („systemic inflammatory response syndrome“) herangezogen.1 Sind diese bei der Klinikaufnahme erkennbar, ist die umgehende intensivmedizinische Überwachung indiziert.1 Wenn sie nur 48 Stunden lang nachweisbar sind, ist von einem transienten SIRS auszugehen, das eine Mortalität von rund 8% hat, während bei persistierendem SIRS die Mortalität auf 25% ansteigt.1 Die Terminologie der lokalen Komplikationen einer ödematösen oder nekrotisierenden Pankreatitis ist für die Beurteilung des zu erwartenden Verlaufs und der Prognose wichtig (Tab. 2).1,2

In der Frühphase der Erkrankung ist aufgrund von systemischen Komplikationen wie SIRS und Organversagen ein erster Mortalitätsgipfel nach sieben bis zehn Tagen zu beobachten. Nach mehr als 14-tägiger Krankheitsdauer treten neben systemischen Komplikationen auch zunehmend lokale Komplikationen wie pankreatische Flüssigkeitsansammlungen und Nekrosen auf. Diese können sich superinfizieren und erfordern neben der konservativen Basistherapie eine eskalierende Stufentherapie.1

Therapie der akuten Pankreatitis

Basis sämtlicher therapeutischer Bemühungen ist die möglichst umgehende Infusion von 2.500 bis 4.000ml Ringer-Laktat-Lösung mit einer Infusionsgeschwindigkeit von 5–10ml/kg/h in den ersten 24 Stunden.2,8,9 Diese Infusionslösung ist wahrscheinlich (außer bei Hyperkalzämie) der reinen NaCl-Gabe überlegen. Zur Therapiekontrolle dienen die Bestimmung der Herzfrequenz, die bei <120/min liegen sollte, der Hämatokrit, der bei 35–44% liegen sollte, ein angestrebter mittlerer arterieller Druck von 65–85mmHg sowie eine Urinproduktion von >0,5–1ml/kg/h.2,8,9

Entgegen früheren Empfehlungen sollten die Patienten nicht nüchtern gelassen, sondern früh oral ernährt werden. Nur wenn die orale Nahrungszufuhr nicht toleriert wird, kommt eine enterale Ernährung via Magensonde oder durch eine Duodenalsonde in Betracht.8 Die par-enterale Ernährung sollte vermieden werden.8 Auch wird heute keine prophylaktische Antibiotikagabe mehr empfohlen. Denn im Gegensatz zu Studien, die vor 2000 publiziert wurden, konnten klinische Studien, die nach dem Jahr 2000 publiziert wurden, keine Reduktion der pankreatitisbedingten Mortalität durch eine antibiotische Prophylaxe nachweisen.2,4,8

Bei der alkoholischen Pankreatitis beinhaltet die Therapie zudem die Suchtberatung noch während desselben stationären Aufenthaltes.8 Bei der biliären Pankreatitis und einer begleitenden Cholangitis sollte innerhalb der ersten 24 bis 48 Stunden eine endoskopische retrograde Cholangiopankreatikografie (ERCP) mit Papillotomie und Steinextraktion erfolgen und noch während desselben stationären Aufenthalts die Cholezystektomie angestrebt werden.2,8,10 In der PONCHO-Studie konnte gezeigt werden, dass dieses Vorgehen im Vergleich zur Cholezystektomie im Intervall die Mortalität bzw. die Wahrscheinlichkeit für eine stationäre Wiederaufnahme infolge gallensteinassoziierter Komplikationen signifikant reduziert (5% vs. 17%).10 Außerdem resultieren geringere Raten an Rezidiven einer biliären Pankreatitis (2% vs. 9%) bzw. biliärer Ereignisse/Koliken (3% vs. 51%).10

Bei Komplikationen der akuten Pankreatitis sollte eine eskalierende interventionelle Therapie erfolgen, da minimalinvasive Therapien weniger Komplikationen wie Organversagen, pankreatische Fisteln oder Narbenhernien verursachen als die primäre offene Nekrosektomie.11

KeyPoints

  • Die wichtigsten Ursachen einer akuten Pankreatitis sind chronischer Alkoholüberkonsum und eine Cholelithiasis.

  • Die alleinige Bestimmung der Lipase ist für die Diagnostik besser geeignet als die Bestimmung der Amylase und der kombinierten Bestimmung von Amylase und Lipase nicht unterlegen.

  • Prognostisch ist das Erkennen von systemischen und lokalen Komplikationen wie Flüssigkeitskollektionen relevant, eine prophylaktische Antibiotikatherapie ist nach neueren Daten nicht mehr indiziert.

  • Die wichtigste Therapie besteht in der großzügigen, aber kontrollierten Gabe von Ringer-Laktat-Infusionen, der peroralen Ernährung, der umgehenden Einleitung einer Suchtberatung bei äthyltoxischer Pankreatitis bzw. der raschen Steinextraktion und umgehenden Cholezystektomie bei biliärer Pankreatitis.

Literaturtipp
zum Thema Ernährung und Enzymsubstitution bei Pankreasinsuffizienz

Autor
PD Dr. med. Heiko Frühauf
Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie FMH
Spez. Hepatologie
Zentrum für Gastroenterologie und Hepatologie AG
Zürich

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.

1 Banks PA et al.: Classification of acute pancreatitis—2012: revision of the Atlanta classification and definitions by international consensus. Gut 2013; 62: 102–11

2 Working Group IAP/APA Acute Pancreatitis Guidelines: IAP/APA evidence-based guidelines for the management of acute pancreatitis. Pancreatology 2013; 13: e1-15

3 Yadav D et al.: The epidemiology of pancreatitis and pancreatic cancer. Gastroenterology 2013; 144: 1252–61

4 Crockett SD et al.: American Gastroenterological Association Institute guideline on initial management of acute pancreatitis. Curr Med Res Opin 2018; 34: 25–33

5 Munsell MA et al.: Acute pancreatitis. J Hosp Med 2010; 5: 241–50

6 Huber W et al.: Diagnostik und Therapie der akuten Pankreatitis. Internist 2011; 52: 823–30

7 Treacy C et al.: Evaluation of amylase and lipase in the diagnosis of acute pancreatitis. ANZ J Surg 2001; 71: 577–82

8 Crockett S et al.: Acute pancreatitis guideline. Gastroenterology 2018; 154: 1102

9 Arvanitakis M et al.: Endoscopic management of acute necrotizing pancreatitis: European Society of Gastrointestinal Endoscopy (ESGE) evidence-based multidisciplinary guidelines. Endoscopy 2018; 50: 524–46

10 da Costa DW et al.: Same-admission versus interval cholecystectomy for mild gallstone pancreatitis (PONCHO): a multicentre randomised controlled trial. Lancet 2015; 386: 1261–8

11 van Santvoort HC et al.: A step-up approach or open necrosectomy for necrotizing pancreatitis. N Engl J Med 2010; 362: 1491–502


Zitierhinweis: erschienen in dieser Ausgabe
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