
16. September 2023
Neue Leitlinie 2022: Gastroösophageale Refluxkrankheit
GERD: neue Therapieziele
Prof. Dr. med. Joachim Labenz, Mitautor der im Juli 2022 erschienenen aktualisierten S2k-Leitlinie „Gastroösophageale Refluxkrankheit und eosinophile Ösophagitis“, berichtet im Interview über die neuen Therapieziele bei Refluxbeschwerden und den abnehmenden Stellenwert der Protonenpumpeninhibitoren (PPI).
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Welche wesentlichen Neuerungen hält das Leitlinien-Update bereit?
▸▸▸ J. Labenz: Neben der Aufnahme der eosinophilen Ösophagitis, für die es bisher keine Leitlinie gab, hat es auch beim Thema Reflux wesentliche Änderungen bei den Empfehlungen zur Diagnostik und beim Therapiemanagement gegeben. Da es für die sichere Diagnosestellung keine einzelne Methode gibt, die man empfehlen könnte, braucht man oft eine Kombination aus verschiedenen Maßnahmen, also aus Endoskopie und Histologie, Impedanz-pH-Metrie und hochauflösender Manometrie. In der Praxis kann und sollte aber nicht jeder Patient mit Refluxbeschwerden gleich in diesem Ausmaß diagnostiziert werden. Wir fordern ein pragmatisches Vorgehen: Zuerst sollte zwischen Refluxbeschwerden mit oder ohne gesicherte Refluxkrankheit unterschieden werden. Denn Refluxbeschwerden sind projizierte Eingeweidesymptome und nicht spezifisch für auslösende Trigger, Organe oder Lokalisationen, sodass wir aus ihnen keine Diagnose ableiten können. Beweisend für das ursächliche Vorliegen eines Refluxes sind sie keineswegs.
Liegen bei Patienten mit Refluxbeschwerden gleichzeitig Alarmsymptome wie Schluckstörungen, Gewichtsabnahme oder entsprechende Malignome in der Familienanamnese vor, was etwa 5% der Patienten betrifft, empfehlen wir die endoskopische Abklärung. Und bei Patienten, bei denen eine Operation in Erwägung gezogen wird, ist die Diagnosesicherung ein Muss. Für den Großteil der Betroffenen, also 95%, haben wir nun als neues Therapieziel die ausreichende Kontrolle der Symptome definiert.
Welche Maßnahmen zur Symptomkontrolle werden in der Leitlinie empfohlen?
▸▸▸ J. Labenz: Wir legen in den neuen Empfehlungen deutlich mehr Wert auf Allgemeinmaßnahmen, die im Wesentlichen vier Punkte umfassen: erstens die Gewichtsabnahme bei Übergewichtigen, zweitens eine Anpassung des Ernährungs- und Trinkverhaltens sowie die Reduktion von Rauchen und Alkoholkonsum, drittens das Schlafen in Linksseitenlage, was sich in Studien als vorteilhaft gezeigt hat, und viertens das Zwerchfelltraining mit physiotherapeutisch angeleiteter Umstellung von Brust- auf Bauchatmung. Ebenfalls neu und sehr wichtig: Der Grundsatz „PPI für alle und für immer“ gilt nicht mehr! Man kann sie einsetzen, muss es aber nicht. Wenn wir mit anderen Medikamenten wie Alginaten oder Antazida das Ziel der Symptomkontrolle erreichen, genügt das völlig.
Wenn Allgemeinmaßnahmen und die genannten Medikamente nicht erfolgreich sind, empfehlen wir, einmalig über acht Wochen intensiv PPI zu geben, also morgens und abends. Erst wenn hier keine Besserung der Symptome eintritt, was bei etwa 40% der Fall ist, sollte tatsächlich eine Diagnostik wie oben genannt erfolgen. Ziel ist es, eine Negativauslese für diagnostische Maßnahmen zu treffen, das heißt einen gewissen therapeutischen Filter anzulegen, um die Patienten herauszufinden, die auf PPI und Allgemeinmaßnahmen nicht ansprechen. Unter diesen finden wir auch wieder nur knapp 40%, die wirklich eine Refluxkrankheit haben, wie in einer Studie gezeigt werden konnte. Beim Rest liegen andere Gründe vor, zum Beispiel funktionelle Störungen oder eine eosinophile Ösophagitis.
Warum haben die PPI an Bedeutung verloren?
▸▸▸ J. Labenz: PPI werden weiterhin als insgesamt sichere Medikamente angesehen. Doch auch sie haben ein gewisses Nebenwirkungspotenzial, wirken beispielsweise auf das Darmmikrobiom ein. Daher sollten PPI nur dann verordnet werden, wenn sie wirklich nötig sind. Das Verschreibungsverhalten in Deutschland läuft aber leider meist nach dem Motto „einmal PPI, immer PPI“ – zudem oft in inadäquat hoher Dosierung. Dabei ist für die meisten Patienten ein zeitlich befristeter Einsatz völlig ausreichend. Bei der Refluxkrankheit ohne Läsionen sollten PPI einmal täglich in niedriger Dosierung für vier Wochen gegeben werden, bei erosiver Ösophagitis die höhere Dosierung über acht Wochen. Danach sollte die Gabe planmäßig beendet werden. Es gibt nur eine Indikation für die PPI-Dauertherapie bei Refluxkrankheit, nämlich das Vorliegen von schweren Veränderungen in der Speiseröhre oder von Strikturen, wobei dann alternativ auch eine Operation in Betracht gezogen werden kann.
Welches Vorgehen wird empfohlen, wenn nach Absetzen der PPI die Beschwerden erneut auftreten?
▸▸▸ J. Labenz: Bei diesen Patienten geht es darum, mit dem geringstmöglichen medikamentösen Aufwand die subjektiven Beschwerden ausreichend zu kontrollieren. Das kann im Einzelfall ein PPI nach Bedarf sein, ein Alginat oder ein Antazidum. Auch für Heilerde als starkes natürliches Antazidum gibt es sehr gute Daten, die zeigen, dass damit eine rasche und gute Symptomkontrolle möglich ist. Alles, was dem Patienten hilft, ist gut. Besonders wichtig ist es, immer wieder die Allgemeinmaßnahmen zu betonen – die Patienten können und sollten selbst einen Beitrag zur Symptomkontrolle leisten. Und wer seinen Lifestyle nicht ändert, wird früher oder später wieder Beschwerden haben. Viele wissen auch gar nicht, dass die konsequente Ausschöpfung der Allgemeinmaßnahmen genauso wirksam ist wie ein PPI.
Stellt der Säurerebound nach Absetzen einer PPI-Therapie ein Problem dar?
▸▸▸ J. Labenz: Das ist ein Thema, bei dem man vorsichtig sein muss, denn die Daten zum Acid-Rebound stammen von gesunden Probanden, nicht von Kranken. Unter Gesunden, die über acht Wochen PPI eingenommen und dann abrupt abgesetzt hatten, entwickelte tatsächlich die Hälfte Beschwerden wie Sodbrennen, die sie zuvor nicht gehabt hatten und die man auf eine vermehrte Säureproduktion nach Absetzen zurückführen kann. Es ist aber bis heute nicht klar, ob das auch für Patienten gilt und welchen Einfluss die vorangegangene Therapiedauer hat. Daher gibt es nur die auf logischen Überlegungen beruhende Empfehlung, PPI auszuschleichen und für eventuelle Übergangssymptome ein Antazidum oder Alginat zu verordnen, statt die PPI voreilig wieder anzusetzen.
Gibt es auch Empfehlungen in der Leitlinie, die weitestgehend unverändert sind?
▸▸▸ J. Labenz:Beim Barrett-Ösophagus hat es keine großen Neuerungen gegeben. Ebenso wenig bei den operativen Maßnahmen, bei denen die Fundoplicatio weiterhin als Standardverfahren gilt. Alle anderen angebotenen Verfahren sind nach derzeitigem Stand noch als experimentell zu bewerten, können aber nach guter Aufklärung im Einzelfall angewendet werden.
Was sind die wesentlichen Empfehlungen zur neu aufgenommenen eosinophilen Ösophagitis?
▸▸▸ J. Labenz: Das Wichtigste ist es, zunächst die Diagnose klar zu stellen, was relativ einfach durch Endoskopie und Entnahme von mindestens sechs Biopsien entlang der Speiseröhre erfolgt. Aufpassen muss man allerdings, dass mindestens 14 Tage vor der Untersuchung keine PPI eingenommen wurden, denn sie können die Erkrankung maskieren. Steht die Diagnose, gibt es drei Therapieoptionen. Zum einen sind das Eliminationsdiäten ex juvantibus, bei denen unter anderem auf Milch- und Weizenprodukte, Soja und Meeresfrüchte verzichtet wird, was bei einem Teil der Patienten zu einer guten Symptomkontrolle führt. Die Schwierigkeit besteht allerdings darin, herauszufinden, auf was der einzelne Patient wirklich reagiert, sodass es zu einem mitunter monatelangen Prozess aus Ausprobieren und wiederholtem Endoskopieren kommen kann. Ich habe keinen einzigen Patienten erlebt, der das längerfristig durchgehalten hat – insofern ist die diätetische Therapie eher eine theoretische denn eine praktische Option.
Zur PPI-Therapie gibt es keine guten Daten, in Anwendungsbeobachtungen hat sich aber gezeigt, dass sie bei etwa einem Drittel der Betroffenen wirksam ist. Meist braucht es hierfür aber recht hohe Dosierungen, etwa Omeprazol 40mg zweimal täglich. Gute Daten zur PPI-Langzeittherapie gibt es nicht, hier muss individuell ausprobiert werden.
Die dritte Option und derzeitige Firstline-Therapie besteht in der Gabe topischer Steroide, also von Budesonid 1mg als Schmelztablette zweimal täglich. Dazu gibt es gute und belastbare Daten aus placebokontrollierten Studien, die zeigen, dass darunter etwa 85–90% der Patienten gut unter Kontrolle gebracht werden können. Nach acht bis zwölf Wochen sollte man die Symptomkontrolle evaluieren, unbedingt aber auch endoskopisch und histologisch überprüfen, ob die Entzündung wirklich eingedämmt ist, denn zwischen Symptomen und Entzündung besteht keine ganz enge Korrelation. Da wir es hier mit einer chronischen Erkrankung zu tun haben, müssen die Patienten dauerhaft therapiert werden, um Vernarbungen und Strikturen der Speiseröhre vorzubeugen. Die Drei-Jahres-Daten für Budesonid bestätigten die Wirksamkeit und Sicherheit auch für die Langzeitbehandlung. Einzig ein nicht invasiver Soor der Speiseröhre wurde bei 15% der Patienten als Zufallsbefund gefunden, der meist symptomlos sowie gut behandelbar war und keinen Anlass zum Therapieabbruch gab.
Wie sieht es hier mit zielgerichteten Therapieoptionen aus?
▸▸▸ J. Labenz: Tatsächlich ist die Leitlinien-Empfehlung, dass Biologika bei der Behandlung der eosinophilen Ösophagitis innerhalb von Studien eingesetzt werden können, jetzt schon veraltet. Denn Anfang 2023 wurde Dupilumab für die Indikation der eosinophilen Ösophagitis zugelassen. Die wöchentliche Gabe hatte in den Zulassungsstudien eine gute Wirksamkeit gezeigt. Gerade Patienten mit zwei Erkrankungen oder mehr, wenn beispielsweise noch ein Asthma oder eine atopische Dermatitis dazukommen, könnte man in Zukunft mit einem einzigen Antikörper, der an verschiedenen Stellen wirkt, sinnvoll behandeln. Trotzdem: Noch sollte eine eosinophile Ösophagitis alle ein bis zwei Jahre endoskopisch und histologisch kontrolliert werden, da wir noch zu wenig über die Langzeitwirksamkeit der medikamentösen Therapien wissen.
Interview: Dr. med. Christine Adderson-Kisser MPH
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