
16. September 2023
Nichtalkoholische Fettlebererkrankung
NAFLD: ernst nehmen oder einfach vergessen?
Die nichtalkoholische Fettlebererkrankung (NAFLD) zählt in Deutschland zu den häufigsten Leberkrankheiten. Dabei kommt es in Leberzellen zur Fetteinlagerung, die zu einer Entzündung und Vernarbung (Fibrose) in der Leber führt. Zu den Risikofaktoren zählen Diabetes mellitus Typ 2, Übergewicht und Fettstoffwechselstörungen, aber auch genetische Faktoren.
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Bedingt durch eine zunehmende Fehl- und Überernährung werden viele Patienten von der NAFLD betroffen sein. Aufgrund der hohen Prävalenz ist es bedeutsam, die Patienten, die eine fortgeschrittene Erkrankung aufweisen und dadurch eine Einschränkung der Lebensqualität und eine erhöhte Mortalität erfahren, zu identifizieren. Zusätzlich zu Maßnahmen des Lebensstils wird erwartet, dass durch die Zulassung von Medikamenten in der Indikation NASH mit Fibrose eine gezielte Behandlung möglich wird.
Die NAFLD umfasst ein Erkrankungsspektrum, das im Kern durch eine vermehrte Fetteinlagerung in den Leberzellen gekennzeichnet ist. Dazu zählen die Leberverfettung ohne wesentliche Entzündung (Fettleber) und die nichtalkoholische Steatohepatitis (NASH), die bis hin zur Fettleberzirrhose führen kann.1 Die Erkrankung wird oft im Kontext des metabolischen Syndroms beobachtet und entsteht unter dem Einfluss verschiedener Faktoren.2 In der Pathophysiologie spielen Insulinresistenz und die Entzündung der Leber eine wesentliche Rolle. Über mehrere Jahre kommt es dabei zur Vernarbung (Fibrose) als Ausdruck der fortwährenden Entzündung mit Zelluntergang und Regeneration. Neben den externen Faktoren, zu denen die Ernährung und der Lebensstil zählen, sind auch intrinsische Faktoren, zum Beispiel genetische Einflüsse, das intestinale Mikrobiom oder das angeborene Immunsystem, beteiligt.3 Die Vernarbung schreitet in der Regel nur langsam voran und ist in jedem Krankheitsstadium reversibel. Selbst Patienten mit einer Leberzirrhose können diese wieder revertieren oder zumindest die Funktion der Leber stabilisieren. Es gibt heute nur wenige Daten zum langfristigen Verlauf der Erkrankung. In Kohortenstudien entwickeln 5 bis 20% der Patienten einen Progress der Fettleber hin zur entzündlichen NASH, und von diesen entwickeln wiederum 10 bis 20% eine kompensierte Leberzirrhose. Besonders in den fortgeschrittenen, zirrhotischen Stadien kann ein hepatozelluläres Karzinom entstehen.4
Epidemiologie und Bedeutung der NAFLD
Die Prävalenz der NAFLD wird in Deutschland auf ungefähr 23% geschätzt.5 In der Gutenberg-Gesundheitsstudie, die im Rhein-Nahe-Gebiet durchgeführt wird, hatten von den über 14.000 Teilnehmern etwa 19% erhöhte Leberwerte und bei 30% lag ein metabolisches Syndrom vor. Der Anteil der Menschen mit anzunehmender Fettleber – bestimmt mittels des Fatty Liver Index (FLI) – lag bei 37,5%. Der Anteil mit bereits fortgeschrittener Leberfibrose – definiert über den FIB-4-Wert – lag bei 1,1%.6 In anderen Studien konnte gezeigt werden, dass die Gruppe von Patienten mit einem fortgeschrittenen Fibrosestadium eine erhöhte leberspezifische Mortalität und eine erhöhte Gesamtmortalität aufweist. Vor allem kardiovaskuläre Krankheiten sowie dadurch resultierende Todesfälle treten bei Menschen mit Fettlebererkrankung häufiger auf.7
Darüber hinaus steigt die Inzidenz des hepatozellulären Karzinoms (HCC) bei Patienten mit NASH und Leberzirrhose gegenüber den Patienten mit NASH ohne Leberzirrhose von 0,02% auf 1,5% pro Jahr an.8 In den USA ist die NASH-assoziierte Leberzirrhose bereits die zweithäufigste Ursache für eine Lebertransplantation, Tendenz steigend.9 Auch an der Universitätsmedizin in Mainz ist dieser Trend erkennbar und der Anteil aller Lebertransplantationen aufgrund einer NASH-assoziierten Zirrhose stieg in den vergangenen zehn Jahren deutlich an. Diese Entwicklung unterstreicht die Bedeutung der Identifikation und gezielten Behandlung von Risikogruppen. Aktuelle Leitlinien sehen dazu die Testung von Menschen mit auffälligem Ultraschall und erhöhten Leberwerten vor. Mit einfachen Mitteln kann hier die Selektion gelingen (Abb.).
Die Fettlebererkrankung – eine entzündliche Systemkrankheit
Die Pathophysiologie der Erkrankung umfasst die Aktivierung des angeborenen Immunsystems in der Leber, was unter dem Einfluss des Stoffwechsels und einer Insulinresistenz zur zellulären Schädigung führt. Diese Faktoren tragen auch zur Aggravation von Erkrankungen außerhalb der Leber bei.10 In einer Analyse von mehr als 44.000 Menschen, die in deutschen Hausarztpraxen behandelt wurden, zeigte sich in der Gruppe, bei der eine Fettlebererkrankung bekannt war, eine signifikant höhere Rate an kardiovaskulären Ereignissen im Vergleich zu der Gruppe ohne bekannte Fettleber. Das Auftreten von Myokardinfarkt, Schlaganfall oder kardiovaskulärem Tod betrug nach zehn Jahren 12,8% in der Fettlebergruppe im Vergleich zu 10% in der Gruppe ohne Fettleber.11 In weiteren Untersuchungen traten zudem Tumorerkrankungen, Demenz und Depression sowie eine eingeschränkte Nierenfunktion häufiger bei Menschen mit Fettlebererkrankung auf.12–14 Eine Erklärung dafür sind proinflammatorische Zytokine, die über die Lebervenen nachweisbar zur Veränderung des Endothels und zu assoziierten Organveränderungen beitragen.15
Diagnostik bei Fettlebererkrankung
Eine diagnostische Herausforderung ist die große Anzahl der Menschen mit Fettlebererkrankung im Verhältnis zu der geringen Anzahl von Patienten mit fortgeschrittener Fibrose (Vernarbung der Leber) auf dem Boden der NAFLD. Obwohl alle Menschen mit Fettlebererkrankung von einer Beratung, Lebensstilintervention und einer Begleitung dieser profitieren würden, ist es die Gruppe der Patienten mit NAFLD und fortgeschrittener Fibrose (F3) beziehungsweise Leberzirrhose (F4), die den größten Anstieg der leberspezifischen Mortalität und Gesamtmortalität aufweist.16 Daher konzentrieren sich aktuelle Leitlinien darauf, genau diese Gruppe durch ein gezieltes Screening zu identifizieren. Dabei werden Labor- und Ultraschalluntersuchungen eingesetzt. Die alleinige Bestimmung der Leberwerte (GOT/AST, GPT/ALT und γ-GT) ist bei der Zuordnung zu einem Fibrose-Stadium nicht hilfreich, da diese Werte kurzfristigen Schwankungen unterliegen.16,17
In der im April 2022 erschienenen S2k-Leitlinie zur nichtalkoholischen Fettlebererkrankung der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) werden einfache nichtinvasive Diagnostika vorgestellt, die schon im Rahmen der Versorgung durch den Allgemeinarzt erhoben werden können. In einem schrittweisen Vorgehen wird empfohlen, Menschen mit metabolischen Risikofaktoren wie Diabetes mellitus Typ2, Adipositas oder metabolischem Syndrom zur Risikoabschätzung zu untersuchen.5 Dabei kommen die abdominelle Ultraschalluntersuchung und einfache Laborwerte zum Einsatz. Im Rahmen des sogenannten Fibrose-4(FIB-4)-Wertes werden ALT/GPT, AST/GOT, Thrombozyten und das Alter miteinander verrechnet und erlauben die Stratifizierung in Risikogruppen für eine fortgeschrittene Lebererkrankung. Diese Angaben können auch schon durch das analysierende Labor direkt auf dem Befundbericht gemacht werden. Patienten, die in die Gruppe mit einem hohen Risiko fallen, sollten dann einer weiteren Abklärung unterzogen werden. Diese Risikostratifizierung kann beispielsweise im Rahmen des Disease-Management-Programms Diabetes gelingen. Die hier eingeschlossenen Patienten gehören einerseits einer Hochrisikogruppe an und andererseits erfolgt häufiger Labordiagnostik, als dies in der hausärztlichen Primärversorgung üblich ist. Darüber hinaus können durch das Erfassen auffälliger diagnostischer Werte auch Patienten mit anderen chronischen Leberkrankheiten erkannt werden. Im Kontext des schrittweisen Vorgehens sind dann Elastographie-Untersuchungen durch Fachärzte möglich.5 Die Identifikation von Menschen mit fortgeschrittener Lebererkrankung kann zum Beispiel auch über die elektronischen Gesundheitsakten innerhalb einer Praxis gelingen. Es sind mehrere Algorithmen entwickelt worden, die in der Praxissoftware zur Identifikation von Risikopatienten beitragen und so, gegebenenfalls auch automatisiert, die Risikostratifizierung vornehmen können.
Ausblick
Obwohl Lebensstiländerungen mit dem Ziel der Gewichtsreduktion effektiv in der Behandlung der Fettlebererkrankung sind, können viele Menschen damit keinen ausreichend großen und anhaltenden Effekt erzielen. Auch die multidisziplinäre Versorgung dieser Patienten ist mit fachärztlich geprägtem, ambulantem System eine der großen Herausforderungen.18 Allerdings kann 2024 mit der Zulassung von Medikamenten in der Indikation nichtalkoholische Fettlebererkrankung und Fibrose gerechnet werden. In einer aktuell noch laufenden Phase-III-Studie zum Einsatz eines Farnesoid-X-Rezeptor(FXR)-Agonisten werden aktuell der Effekt nach 18Monaten und Langzeiteffekte nach bis zu 54Monaten untersucht. In der Interimsanalyse hatte sich in der Behandlungsgruppe eine signifikante Verbesserung der Lebererkrankung gezeigt.19
Diagnostik und Prävention der NAFLD in den Fokus stellen
Die NAFLD spielt heute in der medizinischen Versorgung noch eine untergeordnete Rolle. Sowohl bei Patienten als auch bei Ärzten besteht Unsicherheit in Bezug auf Relevanz, Diagnostik und Behandlung der Krankheit. In den vergangenen Jahren haben Daten aus Deutschland dazu beigetragen, dass die NAFLD als ein Risikofaktor im Kontext des metabolisch erkrankten Menschen erkannt wurde, der sowohl zu einer überhöhten leberspezifischen, aber auch erhöhten Gesamtmortalität beiträgt. Dies gilt besonders für die Gruppe mit bereits fortgeschrittener Lebererkrankung. Aktuelle Leitlinien helfen mittels pragmatischer Empfehlungen dabei, Menschen mit erhöhtem Risiko anhand von einfacher Diagnostik zu identifizieren. Diese Patienten können durch eine Lebensstilmodifikation und Gewichtsreduktion behandelt werden. Es ist absehbar, dass 2024 auch medikamentöse Therapieformen in der Indikation Fettlebererkrankung mit Fibrose verfügbar werden. Neben der Behandlung sind wir der Auffassung, dass Ressourcen vor allem auch zur Prävention dieser vermeidbaren und reversiblen Erkrankung eingesetzt werden sollten.
Autoren
Sandra Selina Brall
Prof. Dr. med. Jörn M. Schattenberg
I. Medizinische Klinik
Universitätsmedizin Mainz
Interessenkonflikte:
Prof. Schattenberg gibt folgende potenzielle Interessenkonflikte an: Consultant: Apollo Endosurgery, AGED Diagnostics, Bayer, Boehringer Ingelheim, Gilead Sciences, GSK, Intercept Pharmaceuticals, Ipsen, Inventiva Pharma, Madrigal, MSD, Northsea Therapeutics, Novartis, Novo Nordisk, Pfizer, Roche, Sanofi, Siemens Healthineers. Research Funding: Gilead Sciences, Boehringer Ingelheim, Siemens Healthcare GmbH. Speaker Honorarium: Boehringer Ingelheim, Echosens, MedPublico GmbH, Novo Nordisk, Madrigal Pharmaceuticals, Histoindex
Literatur
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2. Dietrich P, Hellerbrand C: Non-alcoholic fatty liver disease, obesity and the metabolic syndrome. Best Pract Res Clin Gastroenterol 2014; 28(4): 637–53.
3. Diehl AM, Day C: Cause, pathogenesis, and treatment of nonalcoholic steatohepatitis. NEJM 2017; 377(21): 2063–72
4. Rau MW, Geier A: Nichtalkoholische Fettlebererkrankung (NAFLD): Springer Verlag; 2017
5. Roeb E et al.: Aktualisierte S2k-Leitlinie nicht-alkoholische Fettlebererkrankung der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) – April 2022 – AWMF-Registernummer: 021–025. Z Gastroenterol 2022; 60(9): 1346–421
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