
20. Januar 2023
Funktionelle Darmbeschwerden
Reizdarmsymptome wirksam lindern
Die häufigsten Volkskrankheiten in der Gastroenterologie sind neben der Helicobacterinfektion der Reizdarm und der Reizmagen (funktionelle Dyspepsie). Die Helicobacterinfektion ist leicht zu diagnostizieren und zu therapieren – beides trifft auf den Reizdarm nicht zu.
Der Reizdarm gehört zu den funktionellen Magen-Darm-Erkrankungen. Nach unserem heutigen Verständnis sind dies organische Erkrankungen, deren Pathomechanismen bislang allenfalls in Studien aufgedeckt werden können. Es handelt sich zweifelsfrei um einen Sammeltopf von Krankheiten, die wir in den kommenden Jahren und Jahrzehnten weiter in einzelne Krankheitsbilder aufgliedern können.
Die Differentialdiagnosen sind breit gefächert und müssen einmal gründlich abgearbeitet werden. Besonders bei den Symptomen Blähungen und Diarrhoen sollten Erkrankungen wie Zöliakie, Kohlenhydratintoleranz, bakterielle Fehlbesiedelung des Dünndarms, Malabsorptionen, exokrine Pankreasinsuffizienz oder mikroskopische Kolitis nicht übersehen werden. Dies soll aber nicht Gegenstand dieser Publikation sein.
Bislang ist weder eine kausale Therapie möglich, noch können diese Krankheitsbilder zur Ausheilung gebracht werden. Deshalb ist es wichtig, realistische Therapieziele zu wählen, die der Patient mit möglichst einfachen Mitteln erreichen kann.
Reizdarmsyndrom: wechselnde Symptomatik
Die diagnostischen Kriterien für das Reizdarmsyndrom (Tab. 1) sind in der neuen deutschen Reizdarmleitlinie im Vergleich zu früheren Definitionen leicht modifiziert worden.1 Es wird nicht mehr gefordert, dass die Symptome mit einer Veränderung der Stuhlgewohnheiten oder -textur einhergehen müssen, wenngleich der regelhafte Zusammenhang weiter betont wird.
Beim Reizdarm kann die dominierende Symptomatik unterschiedlich sein: Blähungen, Obstipation, Diarrhoe oder Schmerzen können jeweils im Vordergrund stehen. Sehr häufig kommen die Symptome auch kombiniert in unterschiedlichem Schweregrad vor. Zudem kann die dominierende Symptomatik im Laufe der Zeit auch wechseln.
Komplexe Therapie mit solider Basisbehandlung
Die Therapiekonzepte sind hierarchisch aufgebaut. Es gibt eine Basistherapie, die jeder Patient erhalten sollte, und zusätzlich spezielle pharmakologische Therapieansätze für die unterschiedlichen Symptomkomplexe.
Basistherapie – was die Betroffenen selbst tun können
Die Basistherapie (Tab. 2) umfasst im Wesentlichen Beratung und Information des Patienten, Ernährungsadaptation und Entspannungsverfahren. Ein empathisches Verständnis für die Schwere der Symptome und die Einschränkung der Lebensqualität ist für die Arzt-Patienten-Beziehung ebenso wichtig wie der Glaube an die Echtheit der Beschwerden. Wenn die Differentialdiagnosen ausgeschlossen sind, gilt es, dem Patienten die Diagnose als gesichert zu vermitteln und ihm ein Krankheitsbild an die Hand zu geben, mit dem er die Genese der Symptome verstehen kann.
Als sehr hilfreich hat sich dabei das Konzept der Hypersensitivität erwiesen: Manche Personen spüren Dehnungsreize oder die Motilität des Gastrointestinaltraktes deutlich stärker als andere Personen. Diese Hypersensitivität kann dazu führen, dass selbst physiologische Luftansammlungen im Darm oder eine kräftige Peristaltik als unangenehm oder schmerzhaft verspürt werden. Dieses Phänomen kann bei einem Teil der Patienten mit funktionellen Darmbeschwerden klar experimentell herausgearbeitet werden, in der alltäglichen Diagnostik ist dies nicht möglich. Diese Hypersensitivität kann durch vorangegangene gastrointestinale Infekte, aber auch durch eine COVID-19-Infektion ausgelöst werden.
Heilung nicht möglich – Leben mit der Krankheit erleichtern
Es sollte den Patienten klar mitgeteilt werden, dass mit den uns derzeit zur Verfügung stehenden Therapieoptionen die Krankheit nicht zur Ausheilung gebracht werden kann. Eine komplette Beschwerdefreiheit wird häufig nicht gelingen. Deshalb ist es wichtig, realistische Therapieziele unter Berücksichtigung der Symptome, die den Patienten am meisten belästigen, zu formulieren.
Hilfreich ist es, die Eigenverantwortung des Patienten zu stärken. Deshalb sollten in der Beratung die möglichen Zusammenhänge zwischen Gefühlen, Stress, Essverhalten und ungünstigen Nahrungsmitteln aufgezeigt werden. Der Patient kann zur Entlastung des Arztes auf zusätzliche Informationen in den zahlreichen Sachbüchern verwiesen werden. Ein hohes Maß an körperlicher Aktivität ist unbedingt zu empfehlen, da sich hierunter die Symptomatik bei manchen Patienten spürbar bessert. Stressreduktion ist einfach gesagt, aber für viele Personen nicht leicht umzusetzen. Entspannungsverfahren wie autogenes Training oder die progressive Muskelrelaxation können empfohlen werden, und es gibt sogar ein spezielles und effektives Reizdarm-Yoga.
Welche Rolle die Ernährung spielt
Um einen Zusammenhang zwischen Ernährung und Symptomen zu erfassen, empfiehlt es sich, ein Ernährungs-Symptom-Tagebuch zu führen. Dies ist allerdings häufig schwierig zu deuten. Hilfreich kann das Einschalten einer Ernährungsberatung zur Auswertung dieser Tagebücher sein. Der Ballaststoffgehalt der Nahrung kann einfach durch Einnahme von geschroteten Flohsamenschalen erhöht werden. Dies ist sowohl bei Obstipation als auch bei Diarrhoe sinnvoll, da dieses Präparat viel Wasser binden kann.
Eines der häufigsten Symptome beim Reizdarmsyndrom sind Blähungen. Manche Patienten verspüren physiologische Mengen an Darmgas als unangenehm oder schmerzhaft, bei anderen liegt tatsächlich eine vermehrte intestinale Gasbildung vor. Wenn Kohlenhydratintoleranzen durch die entsprechenden Atemtests und eine Zöliakie ausgeschlossen sind, ist es hilfreich, dem Patienten zu erklären, dass das Darmgas von Bakterien im Darm gebildet wird. Therapeutisch ist es deshalb sinnvoll, eine Ernährung zu wählen, die den Darmbakterien möglichst wenig Substrat für eine Verstoffwechslung unter Freisetzung von Gas bietet. Dies ist die FODMAP-reduzierte Ernährung (FODMAP ist ein Akronym aus fermentierbaren Oligo-, Di-, Monosacchariden und Polyolen). FODMAPs werden durch die Verdauungsenzyme des Menschen nicht abgebaut. Sie binden Wasser im Darmlumen und durch die Vergärung durch Bakterien entsteht Darmgas, das zur Symptomatik der Patienten beiträgt. Eine FODMAP-reduzierte Kost wirkt nicht nur bei Blähungen, sondern auch bei den anderen Subtypen des Reizdarms. In mehreren Studien und Metaanalysen wurde gezeigt, dass sich die Symptome von Reizdarmpatienten unter einer solchen Diät signifikant verbessern.2
Es empfiehlt sich eine strenge Diät für mehrere Wochen, um festzustellen, was durch diese Diät im Einzelfall erreicht werden kann. Danach können schrittweise wieder Nahrungsmittel, die der Patient gerne zu sich nehmen würde, in die Ernährung aufgenommen werden, um dadurch die individuelle Schwelle der Verträglichkeit auszutesten. Für die Durchführung dieser Diät kann der Patient auf die vielen guten Ratgeber im Buchhandel verwiesen werden.
Häufig Glutenunverträglichkeit im Spiel
Es gibt zunehmend Evidenzen, dass ein Teil der Patienten mit Reizdarm eine Glutenunverträglichkeit aufweist, die nichts mit einer Zöliakie oder Weizen-Allergie zu tun hat. Diese Patienten können leider mit keinem der üblichen Testverfahren identifiziert werden. Eine glutenarme oder besser -freie Kost über sechs Wochen wäre deshalb eine sinnvolle probatorische Maßnahme. Bessern sich dabei die Symptome, kann dies auch langfristig beibehalten werden. Im Gegensatz zur Zöliakie, die eine allergische Erkrankung ist, darf die Nahrung in diesem Fall geringe Mengen Gluten enthalten.3
Die nächste Stufe der Therapie: Phytotherapeutika und Probiotika
Wenn die Basistherapie mit einer Ernährungsumstellung keinen ausreichenden Erfolg zeigt, ist der Einsatz von Phytotherapeutika oder Probiotika sinnvoll.
Es gibt zahlreiche Phytotherapeutika auf dem Markt. Es sollten für die Therapie funktioneller Magen-Darm-Erkrankungen solche Präparate ausgewählt werden, für die es eine gute Studienlage gibt. Zu den am besten untersuchten Präparaten gehören Menthacarin (ätherische Öle aus Pfefferminze und Kümmel) und STW-5.STW-5 gibt es in der klassischen Präparation mit Extrakten aus neun Heilpflanzen und in einer neuen Präparation mit sechs Extrakten (unter Verzicht auf Schöllkraut und Mariendistel). Für diese Präparate wurden randomisierte placebokontrollierte Studien durchgeführt, die den therapeutischen Nutzen belegen. Daneben gibt es aber auch andere Phytotherapeutika mit nachgewiesener Wirksamkeit, eine Auflistung (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) findet sich in der frei verfügbaren deutschen Reizdarmleitlinie ( www.dgvs.de/wissen/leitlinien/leitlinien-dgvs ).
Wichtig ist beim Wirkprinzip der Phytotherapie, dass nur eine längerfristige Einnahme zu dem gewünschten Effekt führt. Es handelt sich nicht um Analgetika oder Spasmolytika, die einen Wirkeintritt binnen Minuten bis Stunden haben, sondern der therapeutische Effekt baut sich über mehrere Wochen auf. Die Therapie sollte deshalb regelmäßig über mindestens vier Wochen durchgeführt werden, ehe man den Nutzen beurteilen kann.
Probiotika sollten gemäß der neuen deutschen Reizdarmleitlinie eingesetzt werden, wenn die Basistherapie keinen ausreichenden Effekt zeigt.1 In der Leitlinie findet sich eine Auflistung von probiotisch wirkenden Bakterienstämmen mit der entsprechenden Studienlage und den nachgewiesenen Effekten auf die verschiedenen Symptome bei Reizdarmpatienten. Diese ebenfalls frei verfügbare Liste kann bei der Fülle von unterschiedlich aussagekräftigen Probiotika-Studien bei Reizdarm nicht vollständig sein, gibt aber eine gute Grundlage für die Therapieentscheidung. Die Wahl des Stammes kann nach der führenden Symptomatik des Patienten erfolgen.
Manche Probiotika beeinflussen mehr als nur ein Symptom. So verbesserten sich in einer placebokontrollierten Doppelblindstudie unter einer Therapie mit Lactobacillus plantarum 299v die Symptome Blähungen und Bauchschmerzen, das Gefühl der unvollständigen Entleerung besserte sich, und es normalisierte sich die Stuhlfrequenz.4 Diese positiven Effekte konnten in einer aktuellen deutschen Multicenterstudie reproduziert werden.5
Medikamente, wenn alles andere nicht hilft
Wenn auch diese Therapien nicht den gewünschten Effekt zeigen, ist der Einsatz von Medikamenten sinnvoll. Angepasst an das führende Symptom sind dies zum Beispiel Mebeverin bei Schmerzen, Loperamid bei Diarrhoen oder Laxantien bei Obstipation. Die Reizdarmleitlinie listet die infrage kommenden Präparate mit ihrer Evidenz auf. Diese pharmakologischen Therapien adressieren in der Regel nur ein Symptom. Im Gegensatz dazu können die breiter wirkenden Ansätze von Basistherapie, Ernährungsumstellung, Phytotherapie und probiotischer Therapie als Multitarget-Therapien gegen unterschiedliche Symptome hilfreich sein.
KeyPoints
Bei der Behandlung von funktionellen Magen-Darm-Problemen steht die Basistherapie mit Stärkung der Eigenverantwortung und Ernährungsumstellung im Vordergrund.
Realistische Therapieziele helfen, übergroße Erwartungen an die Therapie abzubauen.
Beim Reizdarm sind Multitarget-Therapien wie die Basistherapie mit Ernährungsumstellung, Phytotherapien und probiotische Therapien, die breiter als nur gegen ein einzelnes Symptom wirken, vorteilhafter als die Pharmakotherapie einzelner Symptome.
Kombinationstherapien sind erlaubt, aber keine Therapie sollte auf Dauer beibehalten werden, wenn sie im Einzelfall keinen Nutzen gezeigt hat.
Autor
Prof. Dr. med. Dr. rer. biol. hum. Manfred Gross
Internistisches Klinikum München Süd
Interessenkonflikte:
Der Autor hat Vortragshonorare von Microbiotica GmbH erhalten.
Literaturtipp
zum Thema
FODMAP-Diät
Literatur
1 Layer P et al.: Update S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom. Z Gastroenterol 2021; 59: 1323–415
2 Wang J et al.: A Low-FODMAP Diet Improves the Global Symptoms and Bowel Habits of Adult IBS Patients: A Systematic Review and Meta-Analysis. Front Nutr 2021; 8: 683191
3 Felber J et al.: Aktualisierte S2k-Leitlinie Zöliakie der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS). Z Gastroenterol 2022; 60: 790–856
4 Ducrotté P et al.: Lactobacillus plantarum 299v (DSM 9843) improves symptoms of irritable bowel syndrome. World J Gastroenterol 2012; 18(30): 4012–8
5 Krammer H et al.: Treatment of IBS with Lactobacillus plantarum 299v: Therapeutic success increases with length of treatment - real-life data of a non-interventional study in Germany. Z Gastroenterol 2021; 59(2): 125–34
Zitierhinweis: erschienen in dieser Ausgabe
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