
Berufspolitisches Oktoberfest auf der practica
„Entbudgetierung nicht auf der Basis des schrottigen EBM“
Beim „Berufspolitischen Oktoberfest“ auf der 48. practica ging es hoch her. Denn es ging um nichts Geringeres als die Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung! Klare Worte wurden an die Politik gerichtet. Die Forderungen der Bundesvorsitzenden des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands, Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth und Dr. Markus Beier lesen Sie hier.
Echte Bierzeltstimmung ist beim traditionellen Berufspolitischen Oktoberfest der practica in Bad Orb garantiert. So ging es auch gestern Abend bei Bier, Brezeln und Deftigem hoch her, zumal die Spitze des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands prominent vertreten war. Von der drängenden Frage der Entbudgetierung über Team-Medizin, das HÄPPI-Konzept, Approbationsordnung bis zu Digitalisierung und dem aktuellen Poolarzt-Urteil des Bundessozialgerichts waren alle Aufreger-Themen am Start.
Abb. 1: Die HÄV-Bundesvorsitzenden Dr. Markus Beier und Prof. Nicola Buhlinger-Göpfahrt forderten die schnelle Entbudgetierung der Hausärzte – aber zu vernünftigen Honoraren.
„Die hausärztliche Versorgung muss jetzt ganz oben auf die Prioritätenliste der Politik“, forderte Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth, Bundesvorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands. „Wir sind sehr optimistisch, dass die Entbudgetierung der Hausärzte im Versorgungsgesetz 1 oder 2 adressiert wird. Wir brauchen sie jetzt, weil sonst Strukturen in der Versorgung wegbrechen. Ohne Entbudgetierung werden Praxen in Hamburg und Berlin schließen.“ Deutliche Worte zur überfälligen Änderung der Honorarordnung.
Die Bundesvorsitzenden des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands, Dr. med. Markus Beier und Buhlinger-Göpfarth haben Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in dieser Woche aufgerufen, endlich einen runden Tisch zur hausärztlichen Versorgung einzuberufen. Dabei hat Beier auch Erwartungen an die Art der Entbudgetierung, „Es kann nicht sein, dass der schrottige EBM eins zu eins ausgezahlt wird. 14 bis 16 Bundesländer würden im hausärztlichen Bereich weniger Honorar bekommen als heute. Wir wollen Bier mit Alkohol haben.“ Heute wird der geschäftsführende Vorstand dazu eine eigene Protestkampagne mit sechs Grundforderungen beschließen.
Abb. 2: Gut gefüllte Biertische und deftige Worte prägen traditionell das Berufspolitische Oktoberfest.
Mutig zeigen sich die Allgemeinärztinnen und Allgemeinärzte auch beim Zukunftsmodell der hausärztlichen Versorgung. Von der Einzelpraxis zur interprofessionellen Team-Praxis soll sich die Hausarzt-Praxis wandeln. „Keine Angst vor Delegation“, forderte Buhlinger-Göpfarth. Dr. med. Wolfgang C. G. von Meißner stellte dazu das neue „HÄPPI“-Konzept des Verbands vor, also das „Hausärztliche Primärversorgungssystem“. Versorgungsqualität durch traditionelle allgemeinärztliche Beziehungsmedizin von der Wiege bis zur Bahre plus Delegation und Interprofessionalität – das soll die neue Erfolgsformel der Allgemeinmedizin werden.
Neue Approbationsordnung endlich verabschieden

Abb. 3: Dr. Günther Egidi liebt klare Worte. Nicht unwidersprochen blieb seine Aussage: „Geld ist für uns nicht mehr das Problem. Es ist der Mangel an Zeit.“
„Wir haben uns zum Ziel gesetzt, keine neuen Medizinstudienplätze mehr zu fordern“, überraschte Verbandchef Beier das Publikum. „Solange der Masterplan 2020 und die Änderung der Approbationsordnung nicht beschlossen wurde, macht es überhaupt keinen Sinn, mehr Studierende an die Fakultäten zu bringen.“
Die gegenwärtige Rolle der Allgemeinärzte schließe faktisch aus, dass es am Ende auch mehr Fachärzte für Allgemeinmedizin geben werde. Prof. Marco Roos, Präsidiumsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM), ergänzte: „Der Masterplan muss jetzt kommen, denn Maßnahmen wie die Landarztquote sind nicht die Lösung. Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir brauchen an jeder Universität einen Lehrstuhl für Allgemeinmedizin, um das Potenzial von bis zu 35 % der Studierenden zu motivieren, sich für die Allgemeinmedizin zu entscheiden.“
Zum Urteil des Bundessozialgerichtes (BSG), wonach freiberuflich tätige Poolärztinnen und -ärzte im Ärztlichen Bereitschaftsdienst unter bestimmten Bedingungen der Sozialversicherungspflicht unterliegen, erklärte Prof. Buhlinger-Göpfarth: „Das BSG-Urteil droht vielerorts nicht nur den Bereitschaftsdienst, sondern die ambulante Versorgung in Gänze ins Wanken zu bringen. Wir sind nun mit einer vollkommen neuen Situation konfrontiert, die jetzt schnellstmöglich geklärt werden muss. Hier wird eine ausführliche rechtliche Bewertung notwendig sein.“
Die Hausärztinnen und Hausärzte sind in vielen KV-Regionen zwingend darauf angewiesen, dass auch Poolärztinnen und Poolärzte Bereitschaftsdienste übernehmen. Die Alternative ist, dass niedergelassene Ärztinnen und Ärzte in immer mehr Notdienstschichten eingeteilt werden. Das würde bedeuten, dass die Allgemeinärzte, die insbesondere im hausärztlichen Bereich landesweit bereits jetzt am absoluten Limit arbeiten, auch noch zusätzliche Nacht- und Wochenendschichten leisten müssten – und zwar neben den vielen Sonderschichten, die sie gerade während der Infektsaison ohnehin machen, so Buhlinger-Göpfahrt.
Abb. 5: Das Podium auf dem Oktoberfest: Dr. med. Markus Beier (v.l.), Prof. Nicola Buhlinger-Göpfahrt, Prof. Marco Roos und Dr. med. Kristina Spöhrer.
Die Folge wäre aus Verbandssicht, dass immer mehr Ärzte frühzeitig die hausärztliche Versorgung verlassen oder ihre Sprechstundenzeiten reduzieren. Bereits jetzt sind bundesweit bald 5.000 Hausarztsitze unbesetzt. Ende offen.
Bericht:
Franz-Günter Runkel, Ressort Berufs- und Gesundheitspolitik
Fotos: Runkel