
19. Januar 2022
Booster-Impfen unter der „Ampel“-Regierung
Richter-Scheer hält Lauterbach Standpauke
Deutschland im Jahr drei der Pandemie: Dr. med. Anke Richter-Scheer, Vorsitzende des Hausärzteverbands Westfalen-Lippe, unterbrach die Lobesarie von SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach auf die COVID-19-Boosterkampagne in der Talkshow „Hart aber fair“ abrupt und wies auf eklatante Ungleichheiten bei der Lieferung von BioNTech-Impfstoff an Hausarztpraxen und Impfzentren hin. „Impfen gehört in die Hausarztpraxis“, forderte Richter-Scheer und sah eine allgemeine Impfpflicht als Ultima Ratio zur Wiedererlangung der persönlichen Freiheit an.
Mit stolzgeschwellter Brust lobte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die Boosterkampagne. Deutschland fahre „eine Kampagne, wie sie kein anderes europäisches Land im Moment schafft“. Die Allgemeinärztin Anke Richter-Scheer hielt es da kaum mehr auf dem Stuhl. Richtig sei, dass Westfalen-Lippe in der letzten Dezemberwoche rund 700.000 COVID-19-Impfungen gesehen habe, 77% davon in Vertragsarztpraxen. Anfang Januar sei die Quote aber auf 250.000 Impfungen gefallen. „Wir merken in den allgemeinärztlichen Praxen, dass Boosterimpfungen zurückgehen. Offenbar hat ein großer Teil der Impfwilligen die Impfung erhalten“, stellte Richter-Scheer fest.
Des Pudels Kern sei der Verteilungsschlüssel zwischen Impfzentren und Vertragsarztpraxen. Während die allgemeinärztliche Praxis ihren Impfstoff vom Bund erhalte, belieferten die Länder die Impfzentren. Richter-Scheer erzählte ein Beispiel aus ihrer Praxis in Westfalen-Lippe, aus dem die Verteilungsunterschiede beim BioNTech-Impfstoff deutlich werden. „Sieben BioNTech-Dosen befinden sich in einem Impfstofffläschchen, das Vial genannt wird. Ich bekomme derzeit ein Vial pro Woche. Das Impfzentrum in meinem Kreis erhält 170 Vials. Das ist deutlich mehr und ich frage mich, wo die Relation ist.“
„Coronaimpfung ist kein Wunschkonzert“
Neben der Verteilung beklagt Richter-Scheer aber auch die Ansprüche mancher Patienten. „Ich verbrenne mir oft den Mund, wenn ich das Anspruchsdenken von Patienten kritisiere. Die Coronaimpfung ist kein Wunschkonzert. Manche wollen BioNTech und lehnen Moderna ab. Das Verhalten ist despektierlich gegenüber der gesamten Menschheit und vor allem gegenüber den Ländern auf der Welt, die keinen Impfstoff haben.“
Für die Vorsitzende des Hausärzteverbands Westfalen-Lippe ist klar: „Das Impfen gehört in die Hausarztpraxen.“ Jetzt starte ein Run auf die Impfzentren, weil dort die Chance gesehen wird, BioNTech geimpft zu bekommen. „Wir schieben extra Überstunden. Meine Mitarbeiterinnen können nicht mehr. Wir vergeben Termine, um dann zwei Stunden vor dem Termin zu erfahren, dass derjenige nicht kommt, weil er sich schon im Impfzentrum hat impfen lassen. Wir sind alle übermüdet, wir sind alle angespannt. Es ist demotivierend.“ Richter-Scheer wünscht sich eine Regelung von oben, um die Impfstoffe gerechter zu verteilen. „Ich habe im Moment die 14- und 15-Jährigen zum Boostern in der Praxis. Was soll ich ihnen jetzt sagen?“
Impfpflicht als Ultima Ratio
Den kommenden Wochen sieht Richter-Scheer mit großer Sorge entgegen, weil die Versorgung der Patienten mit Impfstoff gesichert werden müsse. Auf dem Rückweg zur persönlichen Freiheit sieht die Allgemeinärztin nur einen Weg: Impfen. „Wir alle wollen unsere Freiheit zurückerhalten. Die allgemeine Impfpflicht ist wahrscheinlich die Ultima Ratio, wenn wir andere Menschen nicht überzeugen können.“
Bericht: Franz-Günter Runkel
Zitierhinweis: erschienen in dieser Ausgabe
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