
30. März 2021
Elektronisches Rezept
eRezept: Jetzt geht’s los ...
So langsam geht es dann mal los mit dem eRezept – ab dem 1. Juli 2021 sollen im Testbetrieb die ersten eRezepte über die Telematikinfrastruktur (TI) aus den Praxen in die Apotheken geschickt werden. Lange genug gewartet haben wir ja.
Ursprünglich war das eRezept als erste Anwendung der Telematikinfrastruktur (TI) im GKV-Modernisierungsgesetz von 2004 vorgesehen, mit einer Einführung im Jahr 2006.1 Zu einer Zeit also, als es noch keine Smartphones gab und der Online-Versandhandel noch in den Kinderschuhen steckte. Die Verordnungsdaten sollten in der Praxis auf der Versichertenkarte gespeichert und von der Apotheke ausgelesen werden. Eine zentrale Speicherung wurde aus Datenschutzgründen abgelehnt.
eRezept – so geht’s
Vier Gesundheitsministerinnen und -minister später ist mit dem Rollout der Telematikinfrastruktur in Praxen und Apotheken jetzt endlich die technische Grundlage gelegt. Das Projekt wurde grundlegend modernisiert – die Versichertenkarte als Datenträger hat endgültig ausgedient, denn ihr Speicherplatz ist einfach zu gering. Stattdessen wird der Arzt oder die Ärztin in ihrer Verordnungssoftware anstelle des bisherigen Papierrezeptes einen oder mehrere elektronische Datensätze erzeugen, denn zukünftig wird für jedes verordnete Präparat eine eigenständige elektronische Verordnung benötigt.2
An die Stelle der bisherigen Unterschrift, mit der der Arzt oder die Ärztin die Verordnung verifiziert hat, tritt eine elektronische Signatur.3 Ist der Verordnungsdatensatz auf diese Weise autorisiert, wird er auf Servern in der zentralen Telematikinfrastruktur (dem sog. eRezept-Fachdienst) gespeichert.
Damit die Apotheke eine Verordnung aus der Telematikinfrastruktur abholen kann, wird für jede Verordnung ein Abrufcode (sog. „Token“) benötigt. Dieser wird vom eRezept-Fachdienst erzeugt, direkt nach der Speicherung des eRezeptes an die Arztpraxis zurückgegeben und kann dort in Form eines „Token-Ausdrucks“ zu Papier gebracht werden. Der Patient kann diesen Papierausdruck in Form eines Barcodes dann in die Apotheke tragen. Dort wird er eingescannt, und die Apotheke erhält so den Abrufcode, mit dem sie die Verordnungsdaten vom zentralen eRezept-Fachdienst abholen kann.
Das nächste Level: die eRezept-App
Für die Smartphonebesitzer unter den Patienten wird es außerdem eine eRezept-App geben, mit der elektronische Rezepte verwaltet und zugewiesen werden können. Verordnet eine Praxis ein Arzneimittel, wird diese Verordnung vom eRezept-Fachdienst direkt an die App übermittelt. Der Patient oder die Patientin kann dann in der App eine Apotheke auswählen und dieser die Verordnung elektronisch übermitteln. Liefert die Apotheke per Botendienst aus oder handelt es sich um eine Versandapotheke, wird das verordnete Arzneimittel direkt an die Haustür geliefert. Möchte der Patient oder die Patientin das Arzneimittel lieber in der Apotheke vor Ort abholen, kann die App den Abrufcode als Barcode anzeigen, um ihn in der Apotheke einscannen zu lassen.
Damit man als Patient die eRezept-App vollumfänglich nutzen kann, muss man sie aber nicht nur auf dem Smartphone installieren, sondern sich außerdem persönlich bei ihr identifizieren. Denn die App zeigt die eigenen Verordnungen nur an, wenn man ihr bewiesen hat, dass man dazu auch berechtigt ist. Um sich gegenüber der App auszuweisen, benötigt man eine elektronische Versicherungskarte mit einer kontaktlosen NFC-Funktion (sog. Near-Field-Communication).4 Das Prinzip kennt man schon von der eigenen Kredit- oder Bankkarte, mit denen man neuerdings kontaktlos zahlen kann, indem man die Karte einfach an das Lesegerät hält. Smartphones können über dieses Verfahren die auf der Versichertenkarte gespeicherten Daten auslesen und der eRezept-App so die Identität des Versicherten übergeben. Die Kostenträger werden zukünftig alle neu ausgegebenen Karten mit dieser Technologie ausstatten. Bis dahin werden uns vermutlich die Papierausdrucke für Verordnungen noch eine ganze Weile erhalten bleiben.
Neue Chancen
Insbesondere für die rein telemedizinischen Dienstleistungen stellt das eRezept (zusammen mit der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung) eine signifikante Erleichterung bei den operativen Abläufen dar. Nach einer Konsultation über eine Videosprechstunde kann eine Arzneimittelverordnung direkt an den Patienten oder die Patientin übermittelt werden, die sie dann direkt an ihre Wunschapotheke weiterleiten können. Derzeit müssen in diesen Fällen noch Papierrezepte mit der Post verschickt werden. Der Gesetzgeber erhofft sich hier große Erleichterungen auch für die bestehenden Praxen, z.B. für die „kontaktlose“ Wiederverordnung von Arzneimitteln bei chronisch Erkrankten. Dazu sollen die meisten Leistungspositionen des EBM mittelfristig für die telemedizinische Erbringung geöffnet werden.5 Außerdem hat der Gesetzgeber mit der neuen Verordnungsschnittstelle eine weitere Marktöffnung ermöglicht. Zukünftig können Rezepte und Medikationspläne auch über die Verordnungssoftware eines anderen Herstellers als dem eigenen Praxissoftwareanbieter erstellt werden – hier ergeben sich große Chancen für neue Funktionen und Dienste.2
Prozesse müssen sich ändern
Für die Apotheken bedeutet die Umstellung vom papierbasierten auf das elektronische Rezept natürlich einen großen Umbruch – hier ändern sich vor allem die Wege, auf denen die Rezepte in die Apotheke gelangen. Im Vergleich dazu bleibt in den Arztpraxen doch alles beim Alten, im schlimmsten Fall wird eben ein Papierbeleg durch einen anderen ersetzt. Oder? So einfach ist es dann wohl doch nicht ...
Im Vergleich zur Datenverarbeitung ist Papier universell, flexibel und geduldig. Eben noch schnell zwischen Tür und Angel ein paar Rezepte unterschreiben, eine Verordnung nachträglich noch ändern und durch einfaches Abzeichnen bestätigen, der Apotheke in dringenden Fällen das Rezept schnell vorab zufaxen – all das wird in Zukunft deutlich komplizierter.
Um eine elektronische Signatur zu erzeugen, werden zwei Faktoren zur Identifikation des oder der Unterzeichnenden benötigt: der persönliche elektronische Heilberufsausweis (eHBA) und die persönliche PIN. Der Heilberufsausweis muss für den Unterschriftsvorgang in ein TI-Kartenterminal gesteckt und durch PIN-Eingabe freigeschaltet werden. Für jedes Arzneimittel, das verordnet werden soll, muss die PIN am Kartenterminal erneut eingegeben werden. Zwar soll es in Zukunft möglich sein, über eine sog. Komfortsignatur bis zu 250 Unterschriftsvorgänge mit einer PIN-Eingabe zu autorisieren, aber wir wissen derzeit noch nicht, wann diese Funktion verfügbar sein wird.
Zusammenspiel mit Apotheken wird komplizierter
Auch das Zusammenspiel mit der Apotheke wird komplizierter werden, denn ein einmal ausgestelltes eRezept kann nachträglich nicht mehr geändert werden. Hat die Apotheke das elektronische Rezept bereits angenommen, ist ein Rückruf durch den Versicherten oder die Arztpraxis nicht mehr möglich. Soll im Nachgang etwas an der Verordnung verändert werden, muss das ausgestellte eRezept jedes Mal storniert und neu erstellt werden. Hat die Praxis ein eRezept ausgestellt, das von der Apotheke z.B. wegen technischer Probleme mit der Telematikinfrastruktur nicht abgerufen werden kann, dann darf die Apotheke das Rezept nicht einlösen. In diesem Fall bleibt nur noch die Notfalllösung: Der Patient benötigt von der Praxis einen Ausdruck des guten alten Musters 16. Denn dieses behält als Fallback-Lösung auch weiterhin noch seine Gültigkeit.
Die freie Apothekenwahl durch den Patienten muss auch beim eRezept gewährleistet werden (sog. Makelverbot). Um die verbotene direkte Zuweisung von Rezepten durch Heilberufler an die Apotheken zu unterbinden, ist immer der Patient oder die Patientin dazwischengeschaltet – entweder als Überbringer des Token-Ausdrucks oder über die Weiterleitung in der eRezept-App. Das macht in der Praxis etablierte Prozesse wie z.B. in der Heimversorgung eher schwieriger als leichter. Eine Lösung für solche Konstellationen wird es erst in späteren Versionen des eRezeptes geben.6
Neue KBV-Vorgaben für Drucker folgen
Da die neuen Token-Ausdrucke die Abrufcodes in Form von Barcodes darstellen, ist die Bedruckung mit Nadeldruckern nicht mehr möglich, denn deren Druckbild ist zu grob. Die KBV wird in diesem Jahr den Praxen Vorgaben hinsichtlich der zu verwendenden Drucker machen. Die Zeit der langsamen und nervtötenden „Sägewerke“ geht damit dann hoffentlich wirklich zu Ende. Eine letzte kurze Gnadenfrist wird ihnen allerdings noch gewährt: Während Ärztinnen und Ärzte ab dem 01.01.2022 alle Verordnungen für gesetzlich und privat Versicherte als elektronisches Rezept ausstellen müssen, folgen die BTM-Verordnungen erst ab Anfang 2023. Diese Fristen gelten übrigens laut Gesetz nur dann, wenn alle technischen Voraussetzungen gegeben sind. Und das ist noch überhaupt nicht sicher. Die Primärsystemhersteller werden die eRezept-Funktionen nämlich frühestens im Laufe des Jahres 2021 zur Verfügung stellen. Zeit für eine längere Testphase wurde nicht eingeplant. Es werden also noch Wetten angenommen, wann es so weit ist, aber letztlich wird das eRezept kommen. Man muss es als Chance begreifen, um neue Prozesse und Versorgungsformen einzuführen.
Autor:
Alexander Wilms
Geschäftsführer RED Medical Systems, München
Literatur:
1 www.aerzteblatt.de/archiv/211782/Elektronisches-Rezept-Im-zweiten-Anlauf-soll-es-klappen
2 https://allgemeinarzt.digital/praxisalltag/aera-der-arzneimittelverordnung-35715
3 https://allgemeinarzt.digital/praxisalltag/brauche-kartenterminals-49042
4 www.aerzteblatt.de/nachrichten/97911/Elektronische-Gesundheitskarte-soll-NFC-Technologie-erhalten
5 www.kbv.de/media/sp/2020-11-15_KBV-Stellungnahme_Referentenentwurf_DVPMG.pdf
6 www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2020/10/20/patientendaten-schutzgesetz-tritt-heute-in-kraft
Zitierhinweis: erschienen in dieser Ausgabe
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