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8. August 2022

Klimawandel geht uns alle an!

Fünf Klima-Hacks für die Sprechstunde

Der Klimawandel geht uns alle an. Er betrifft nicht nur unsere Patientinnen und Patienten, weil u.a. Erkrankungen in Deutschland präsenter werden, die man hierzulande vor allem als Tropenerkrankungen im Medizinstudium kennengelernt hat.1 Im Gesundheitswesen werden, wie in jedem anderen Sektor auch, CO2 und andere Treibhausgase frei. 2014 war das deutsche Gesundheitswesen für 6,7% der gesamten deutschen CO2-Bilanz verantwortlich.2

Im OECD-Vergleich wiesen nur fünf Länder einen höheren Anteil auf, während bspw. Österreich oder Dänemark einen deutlich niedrigeren CO₂-Fußabdruck hatten. Wenn, wie im Übereinkommen von Paris festgehalten, die globale Erderwärmung insgesamt auf deutlich unter 2°Celsius begrenzt werden soll, wird unser CO₂-Fußabdruck kleiner werden müssen.³ Eine Photovoltaikanlage auf dem Praxisdach ist dafür eine gute Idee. Aber auch mit kleineren Dingen lässt sich im Praxisalltag einiges bewirken. Nachfolgend möchten wir Ihnen fünf „Klima-Hacks“ für die Sprechstunde vorstellen, also einfache Tricks und Kniffe, die nicht direkt das ganze Problem lösen, aber viel für das Klima bewirken können. Die „Hacks“ wurden zuerst in einer Podcast-Episode des Podcasts „Wege der Allgemeinmedizin“ veröffentlicht.4

Weniger Rückenschmerzen durch mehr Bewegung

Ein klassischer Beratungsanlass in der Hausarztpraxis sind Rückenbeschwerden. Die Nationale Versorgungsleitlinie „Nicht-spezifischer Kreuzschmerz“ empfiehlt körperliche Bewegung zur Vermeidung oder Verkürzung von Kreuzschmerzepisoden.5 Es kann erfahrungsgemäß schwierig sein, Personen zu regelmäßigem körperlichem Training zu motivieren. Kleine Verhaltensänderungen im Alltag lassen sich dagegen leichter umsetzen. Geht man die alltäglichen Strecken, z.B. zur Kita, zum Einkaufen oder zur Arbeit, zu Fuß statt mit dem Auto oder fährt mit dem Fahrrad oder öffentlichen Personennahverkehr, reduziert dies kardiovaskuläre Ereignisse und sogar die Gesamt-sterblichkeit.6,7 Dabei ist Fahrradfahren mit den stärksten positiven Effekten verbunden.8 Mehr Bewegung im Alltag ist aber nicht nur förderlich für die eigene Gesundheit und ggf. das Auftreten von Rückenschmerzen, sondern hilft nebenbei CO₂ einzusparen, ein klassischer Co-Benefit.9

Pulverinhalatoren statt Dosieraerosole

© www.github.com/ed-hawkins/climate-visuals

Abb.: Es ist höchste Zeit, den Temperaturanstieg zu stoppen.

Asthma- und COPD-Patienten sind im Rahmen ihrer Stufentherapie meist mit einem Spray zur regelmäßigen Inhalation oder Bedarfstherapie ausgestattet. Viele der Wirkstoffe sind sowohl als Dosieraerosol sowie als Pulverinhalator erhältlich. Neben Handhabungsunterschieden, die für einen kleinen Teil der Patienten möglicherweise entscheidend sind, besteht ein deutlicher Unterschied in der Klimawirkung zwischen den beiden Darreichungsformen. Die Treibgase, die bei der Benutzung von Dosieraerosolsprays zum Ausstoßen des Inhalts frei werden, sind sehr potente Treibhausgase und tragen zur Erderwärmung bei.10 Eine Umstellung, sofern möglich, kann patientenindividuell mehrere hundert Kilogramm CO₂-Äquivalente pro Patient einsparen.10 Weitere Hilfestellungen zur Umstellung gibt eine aktuelle Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin.11

Gesunde Ernährung als Win-win

Ein weiteres Thema, bei dem es Co-Benefits für das globale Klima geben kann, ist die Ernährung. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. zeigt in einer Leitlinie Zusammenhänge zwischen Zufuhr von Fett bzw. bestimmten Fettsäuren und Krankheiten wie Adipositas oder koronare Herzerkrankung auf. Die Fettaufnahme von Erwachsenen in Deutschland erfolgt primär über tierische Produkte.12 Internationale Studien zeigen eine Senkung der Gesamtsterblichkeit durch fleischreduzierte Ernährung.13

Die Klima-Hacks auf einen Blick

  • Öfter zu Fuß oder mit dem Rad: Reduziert Rückenschmerzen und CO₂

  • Pulverinhalatoren statt Dosieraerosole – so werden Treibgase eingespart

  • Seltener rotes Fleisch: Gut für Herz und Kreislauf – und das Klima

  • Auf die Patienten achten: Bei Hitze Dosis der Medikamente anpassen

  • Keine Medikamente in den Abfluss – auch Cremes nicht nur abwaschen

Bei der Beratung in der Praxis lohnt es sich also, eine gesunde Ernährung anzusprechen. Eine fleischreduzierte oder fleischlose Ernährung muss nicht mit den Schlagwörtern vegetarisch oder vegan verbunden werden, auch die bekannte mediterrane Diät enthält nur wenig rotes Fleisch.14 Sinnvoll können Empfehlungen für zunächst kleine Schritte sein, bspw. jede Woche etwas weniger Wurstaufschnitt zu kaufen oder vielleicht ein oder zwei Tage ohne Fleisch in der Woche einzuführen.

Eine fleischreduzierte oder fleischlose Ernährung wirkt sich auch auf die persönliche CO₂-Bilanz aus. Vegane und vegetarische Ernährung ist mit der stärksten Reduktion von Treibhausgasen und Landverbrauch verbunden. Aber auch rotes Fleisch (primär von Rindern und anderen Wiederkäuern) durch Fisch oder Geflügel im Speiseplan zu ersetzen, reduziert bereits die Klimawirkung der eigenen Ernährung.14,15

Bei Hitze die Medikamente anpassen

Gerade jetzt im Sommer ist es wichtig, die Medikamentenpläne nochmal durchzusehen. Bei heißen Umgebungstemperaturen sind insbesondere ältere, chronisch erkrankte und polypharmazierte Patienten gefährdet, Hitzefolgen zu erleiden. Beispielsweise sollte bei Einnahme von Diuretika erwogen werden, diese zu reduzieren oder die Trinkmenge zu erhöhen. Auch insulinpflichtige Diabetiker sollten wissen, dass Insulin in warmer Haut schneller anflutet und ggf. häufigere Messungen des Blutzuckers oder Dosisanpassungen notwendig werden. Ebenso fluten die Wirkstoffe aus transdermalen Opioid-Pflastern rascher an, wenn die Haut schwitzig ist. Die Opioide reduzieren die Schweißproduktion mit Gefahr des Hitzestaus, so dass auch hier die Dosierung überprüft und die Patienten aufgeklärt werden sollten. Auch andere Medikamentengruppen hemmen die Schweißproduktion, z.B. anticholinerge Medikamente wie Ami-triptylin oder Quetiapin.16

Arzneimittel richtig entsorgen

Insbesondere Kinder bevorzugen häufig Arzneimittel in Saftform anstelle von Tabletten. Wichtig ist bei der Verordnung, auf die korrekte Entsorgung der Arzneimittelreste hinzuweisen. Insbesondere überschüssige Arzneimittel in Saftform gehören nicht ins Abwasser über Spüle oder Toilette. Kläranlagen können nicht alle Arzneimittel restlos aus dem Abwasser filtern.17 An den meisten Orten können die Arzneimittel im Restmüll entsorgt werden, in einzelnen Kommunen kann das anders sein. Wie es vor Ort geregelt ist, kann man auf einer Info-Webseite nachlesen.18 Umfragen zufolge entsorgen ca. 16% der Bevölkerung zumindest gelegentlich Tabletten und 43% flüssige Arzneimittel über die Toilette.19 Auch beim Umgang mit topischen Arzneimitteln wie Diclofenac-Salbe gilt es die Entsorgung zu beachten. Nach dem Auftragen ist es besser, die Hände nicht direkt zu waschen, sondern vorher an einem Papiertuch abzuwischen, welches dann im Restmüll entsorgt wird. So kann auch hier die Abwasserbelastung reduziert werden.20

Wir hoffen, diese Klima-Hacks helfen Ihnen auch in Ihrer Sprechstunde weiter. Schreiben Sie uns gerne, wenn Sie noch weitere Tipps haben, wir freuen uns über Rückmeldungen.

Podcast-Tipp

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Die Erkenntnis, dass Kalziumionen auch bei Rheumapatienten eine Rolle spielen ist neu. Bislang war bekannt, dass sie Entzündungsprozesse bei chronischer Bronchitis und Adipositas begünstigen.

Die Arbeitsgruppe „Experimentelle Rheumatologie“ der Leipziger Universitätsmedizin untersuchte den verantwortlichen Mechanismus bei Rheuma und stellte fest, dass neben Kalzium Phosphat daran beteiligt ist. Bei erhöhten Konzentrationen der beiden Ionen bilden sich Kalzium-Phosphat-Nanopartikel. Diese lösen trotz ihrer geringen Größe extreme Reaktionen in Monozyten aus, die in einer vermehrten Freisetzung von Entzündungsmediatoren wie Interleukin 1 Beta mündet – bei Patienten mit rheumatoider Arthritis deutlich stärker als bei Gesunden. Ausschlaggebend ist dabei die erhöhte Kalziumkonzentration in der Umgebung entzündeter Gelenke. Die Kalziumaufnahme oder die systemische Regulation des Kalziumspiegels spielen dagegen anscheinend keine Rolle.

Literaturtipp
Mehr Lesenswertes zum Thema Klimawandel: www.allgemeinarzt.digital

Autoren
Prof. Dr. Beate S. Müller
Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Köln

Pascal Nohl-Deryk
Hausarztpraxis im Quartier, Heidelberg
pascal.nohl-deryk@rub.de

1 Watts N et al. The 2020 report of The Lancet Countdown on health and climate change: responding to converging crises. The Lancet 2021; 397:129–170. doi:10.1016/S0140-6736(20)32290-X.

2 Pichler P-P et al. International comparison of health care carbon footprints. Environ Res Lett 2019; 14:064004. doi:10.1088/1748-9326/ab19e1.

3 Übereinkommen von Paris. https://ec.europa.eu/clima/eu-action/international-action-climate-change/climate-negotiations/paris-agreement_de ; Stand: 02.06.2022.

4 Müller BS, Weißbarth B, Farquharson M:

5 Klimahacks für die Sprechstunde - mit Beate, Britta und Maria. 5. Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationale VersorgungsLeitlinie Nicht-spezifischer Kreuschmerz. 2. 2017.

6 Dinu M et al. Active Commuting and Multiple Health Outcomes: A Systematic Review and Meta-Analysis. Sports Med 2019; 49:437–452. doi:10.1007/s40279-018-1023-0.

7 Panter J et al. Using alternatives to the car and risk of all-cause, cardiovascular and cancer mortality. Heart 2018; 104:1749–1755. doi:10.1136/heartjnl-2017-312699.

8 Patterson R et al. Associations between commute mode and cardiovascular disease, cancer, and all-cause mortality, and cancer incidence, using linked Census data over 25 years in England and Wales: a cohort study. Lancet Planet Health 2020; 4:e186–e194. doi:10.1016/S2542-5196(20)30079-6.

9 Mezger NCS et al. Krankheitsprävention: Klimaschutz wird praktisch. Dtsch Arztebl International 2021; 118:1296-8. 10. Janson C et al. Carbon footprint impact of the choice of inhalers for asthma and COPD. Thorax 2020; 75:82–84. doi:

10 1136/thoraxjnl-2019-213744.

11 Schmiemann G, Dörks M. Klimabewusste Verordnung von inhalativen Arzneimitteln DEGAM S1-Handlungsempfehlung. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e.V.; 2022.

12 Wolfram G et al. Evidence-Based Guideline of the German Nutrition Society: Fat Intake and Prevention of Selected Nutrition-Related Diseases. ANM 2015; 67:141–204. doi:10.1159/000437243.

13 Orlich MJ et al. Vegetarian Dietary Patterns and Mortality in Adventist Health Study 2. JAMA Intern Med 2013; 173:1230–1238. doi:10.1001/jamainternmed.2013.6473.

14 Willett W et al. Food in the Anthropocene: the EAT–Lancet Commission on healthy diets from sustainable food systems. The Lancet 2019; 393:447–492. doi:10.1016/S0140-6736(18)31788-4.

15 Hallström E, Carlsson-Kanyama A, Börjesson P. Environmental impact of dietary change: a systematic review. Journal of Cleaner Production 2015; 91:1–11. doi:10.1016/j.jclepro.2014.12.008

16 Haefeli W. Heidelberger Hitze-Tabelle. 25.07.20219;

17 Schwarz D, Leblanc L. Sachgerechte Entsorgung von Arzneimitteln: Wege zu mehr Umweltschutz. Dtsch Arztebl International 2021; 118: 616 ff.

18 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, Bundesministerium für Bildung und Forschung. Arzneimittel-Entsorgung. Arzneimittel-Entsorgung richtig gemacht. Im Internet: https://arzneimittelentsorgung.de/home/ ; Stand: 02.06.2022.

19 Götz K, Keil F. Medikamentenentsorgung in privaten Haushalten: Ein Faktor bei der Gewässerbelastung mit Arzneimittelwirkstoffen? UWSF - Z Umweltchem Ökotox 2007; 19:180–188. doi:10.1065/uwsf2007.07.201.

20 Wagner J et al. Umweltbewusster Umgang mit Arzneimitteln: Wie Ärzte sich beteiligen können. Deutsches Ärzteblatt 2022; 119: 380-4

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