
14. Dezember 2022
Während Krankenhausaufenthalt des Patienten nicht möglich
CAVE: Auch Parallelverordnung ist verboten!
Befindet sich ein Patient im Krankenhaus, darf keine vertragsärztliche Parallelbehandlung stattfinden. Doch wie ist es mit der Verordnung von Arzneimitteln? Sind alle Arzneimittel, die der Patient benötigt, vom Versorgungsauftrag des Krankenhauses umfasst? Hierzu hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen mit Urteil vom 02.02.2022 (Az. L 3 KA 57/19) wesentliche Feststellungen bezüglich der Verpflichtung des Krankenhauses getroffen und gleichermaßen die Erkundigungspflicht des Vertragsarztes herausgearbeitet.
Ein Urologe verordnete seinem Patienten, der an einem metastasierten Prostatakarzinom litt, Abirateronacetat (Zytiga®) 250mg Tabletten. Die Verordnung wurde drei Tage später in einer Apotheke eingelöst, wodurch Kosten i.H.v. 4.221,47 € entstanden sind. Allerdings hatte sich der Patient zur Zeit der Verordnung in vollstationärer Behandlung im Krankenhaus befunden. Die Krankenkasse beantragte daher, einen Regress wegen eines sonstigen Schadens festzusetzen. Durch die Verordnung sei ihr ein Schaden in Höhe der Nettoverordnungskosten entstanden, da die Arzneimittelversorgung vom Krankenhaus sicherzustellen gewesen wäre und mit der Vergütung abgegolten sei. Es wurde ein Regress i.H.v. 4.221,47 € festgesetzt. Der Arzt erhob hiergegen Widerspruch: Gemäß §15 Abs. 2 Bundesmantelvertrag Ärzte (BMV-Ä) sei die Verordnung zulässig gewesen. Dem Widerspruch des Arztes wurde zunächst stattgegeben, woraufhin die Versicherung Klage vor dem Sozialgericht erhob. Dieser Klage entsprach das Sozialgericht wiederum und setzte einen Regress fest. Hiergegen wandte sich der Arzt mit der Berufung zum Landessozialgericht.
Das Urteil: Parallelverordnung ist ebenso unzulässig wie Parallelbehandlung
Das Landessozialgericht entschied, dass die Berufung unbegründet sei, und schloss sich damit dem Urteil des Sozialgerichts an. Die Verordnung von Abirateronacetat 250 mg Tabletten während des stationären Krankenhausaufenthalts habe gegen das Verbot der vertragsärztlichen Parallelbehandlung verstoßen und sei unzulässig gewesen. Nach §3 Abs. 1S. 1 BMV-Ä umfasse die vertragsärztliche Versorgung keine Leistungen, für welche die Krankenkassen nicht leistungspflichtig seien oder deren Sicherstellung anderen Leistungserbringern obliege. Von diesem Ausschlusstatbestand werde grundsätzlich auch eine vertragsärztliche Verordnung von Arzneimitteln während eines stationären Krankenhausaufenthalts erfasst, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung des Versicherten im Krankenhaus notwendig seien. Insoweit obliege dem Krankenhaus als anderem Leistungserbringer die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung.
Krankenhaus ist zur umfassenden Gesamtleistung verpflichtet
Die Krankenhausbehandlung umfasse im Rahmen des Versorgungsauftrags des Krankenhauses alle Leistungen, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung des Patienten im Krankenhaus notwendig seien, insbesondere (auch) die Versorgung mit Arzneimitteln. Daher führe eine Verordnung, die während des Krankenhausaufenthalts durch einen niedergelassenen Vertragsarzt ausgestellt werde, zu zusätzlichen Kosten der Krankenkasse, sobald sie in der Apotheke eingelöst werde. Diese Kosten wären nicht erforderlich geworden, wenn der Vertragsarzt die Zuständigkeit des Krankenhauses für die Verordnung beachtet hätte. Hierdurch sei der betroffenen Krankenkasse ein Schaden in Höhe der von ihr zu tragenden Verordnungskosten entstanden.
Unerheblich sei, dass die Versorgung mit dem Präparat der Behandlung des metastasierten Prostatakarzinoms diente, die jedoch nicht Anlass der stationären Krankenhausbehandlung gewesen sei (Aufnahmediagnose: Polymyalgia rheumatica). Das Krankenhaus, das einen Patienten zu einer vollstationären Behandlung aufgenommen habe, sei zu einer umfassenden und einheitlichen Gesamtleistung verpflichtet und dürfe sich nicht einzelnen Leistungen entziehen. Wenn und solange es die vollstationäre Behandlung durchführe, sei es auch zur Erbringung von Leistungen ver-pflichtet, die es von vornherein nicht mit eigenen personellen und sachlichen Mitteln, sondern nur durch Dritte erbringen könne. Selbst wenn in der Klinik für Internistische Rheumatologie oder einer anderen Abteilung des Krankenhauses nicht die Expertise für die (Weiter-)Behandlung auch des metastasierten Prostatakarzinoms mit Abirateronacetat bestanden hätte, hätte dieser Umstand das Krankenhaus nicht von der Verpflichtung zu dieser Behandlung entbunden. Es hätte z.B. konsiliarisch den Arzt oder einen anderen urologisch oder onkologisch verantwortlichen Arzt hinzuziehen und die Leistung durch einen Dritten erbringen lassen können und müssen.
Auch dem Arzt ist Verschulden anzulasten
Im Rahmen des Urteils wurde es auch als schuldhafter Pflichtenverstoß angesehen, dass sich der Arzt vor Ausstellung der Verordnung nicht danach erkundigt hat, ob sich der Patient weiterhin zur stationären Behandlung im Krankenhaus aufhält. Zwar bestehe keine generelle Verpflichtung der niedergelassenen Vertragsärzte, sich vor Ausstellung einer Arzneimittelverordnung zu vergewissern, dass der Patient sich zu diesem Zeitpunkt nicht in einer stationären Krankenhausbehand-lung befindet. Dies schließe jedoch nicht aus, dass Vertragsärzte im Einzelfall gehalten sein können, vor Ausstellung einer Verordnung abzuklären, ob dem ein stationärer Krankenhausaufenthalt des Versicherten entgegenstehe, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestünden.
Fazit: In besonderen Fällen bei Verordnungen Vorsicht walten lassen
Vertragsärzte sollten insbesondere bei Dauerbehandlungen bei der erneuten Verschreibung von Medikamenten Vorsicht walten lassen. Ein schuldhafter Pflichtenverstoß kann darin liegen, dass sich der Arzt vor der Ausstellung der Verordnung nicht erkundigt, ob sich der Patient (weiterhin) in stationärer Behandlung befindet. Zwar besteht diesbezüglich keine generelle vertragsärztliche Erkundigungsverpflichtung. Eine Abklärungspflicht kann sich jedoch dann ergeben, wenn konkrete Anhaltspunkte darauf hinweisen, dass eine stationäre Behandlung (noch) stattfinden könnte. Dies kann etwa der Fall sein, wenn eine zuvor erfolgte Krankenhauseinweisung bereits in der Praxis bekannt und zum Zeitpunkt der Verordnung aus der Patientenkartei ersichtlich ist.
Autorin
Dr. jur. Kirsten Theuner
Die Autorin ist Rechtsanwältin in Frankfurt am Main.
Sie ist außerdem als Rechtsreferentin für die Landesärztekammer Hessen tätig und dort für Fragen des ärztlichen Gebührenrechts zuständig.
Zitierhinweis: erschienen in dieser Ausgabe
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