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18. Januar 2023

Einstellung eines Entlastungsassistenten in der Vertragsarztpraxis

Auch möglich, wenn die Kinder schon über 14 Jahre alt sind

Gemäß § 32 Abs.1 Satz 1 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) hat der Vertragsarzt die vertragsärztliche Praxis grundsätzlich persönlich in freier Praxis auszuüben. Als Ausnahme von der Verpflichtung zur persönlichen Leistungserbringung kann ein Vertragsarzt in Zeiten der Erziehung von Kindern bis zu einer Dauer von 36 Monaten einen Entlastungsassistenten beschäftigen, wobei dieser Zeitraum nicht zusammenhängend in Anspruch genommen werden muss. Diese Regelung gilt bis zur Volljährigkeit der Kinder, so ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 14. Juli 2021.

Die Klägerin war seit 1999 als Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Sie beantragte, ihr wegen der Erziehung ihres Adoptivsohnes die Beschäftigung einer Entlastungsassistentin zu genehmigen. Dies wurde von der Kassenärztlichen Vereinigung mit der Begründung abgelehnt, dass der Adoptivsohn bereits das fünfzehnte Lebensjahr erreicht habe – nach § 32 Abs 2 Satz 2 Nr. 2 Ärzte-ZV dürfe ein Vertragsarzt einen Assistenten jedoch nur während der Erziehung von Kindern beschäftigen. In Abgrenzung zum Begriff des Jugendlichen handle es sich in Anlehnung an § 1 Abs. 1Jugendschutzgesetz (JuSchG) nur bis zur Vollendung des vierzehnten Lebensjahres um ein Kind. Dem Ziel der Regelung, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern, werde hierdurch ausreichend Rechnung getragen, zumal weitere zulassungsrechtliche Möglichkeiten bestünden, etwa die Anstellung eines Job-Sharers. Die Klägerin beschritt den Rechtsweg bis hin zum Bundessozialgericht.

Das Urteil des Bundessozialgerichtes: Das Alter des Kindes ist nicht entscheidend

Das Bundessozialgericht stellte mit Urteil vom 14. Juli 2021 (Az.B6-KA15/20R) fest, dass §32 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Ärzte-ZV keine ausdrückliche Altersbeschränkung hinsichtlich der zu erziehenden Kinder zu entnehmen sei. Eine Altersgrenze enthalte die Regelung nur insoweit, als die sich aus §§1626Abs.1Satz1,1631Abs.1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ergebende Pflicht und das Recht der Eltern, für ihr Kind zu sorgen (elterliche Sorge) und damit auch das Erziehungsrecht der Eltern mit der Volljährigkeit des Kindes endeten. Volljährigkeit tritt gemäß §2 BGB mit Vollendung des achtzehnten Lebensjahres ein. Insbesondere beziehe sich die Formulierung in §32 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Ärzte-ZV „bis zu einer Dauer von 36Monaten“ ersichtlich nicht auf das Lebensalter des Kindes, sondern auf den Zeitraum, für den eine Vertretung oder Entlastungsassistenz beansprucht werden kann. Nach der Zielsetzung des §32 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Ärzte-ZV sollten zwar in erster Linie die Belastungen ausgeglichen werden, die mit der Betreuung von Kindern in den ersten Lebensjahren verbunden seien. Dennoch lasse sich eine Beschränkung des Vertretungs- bzw. Assistenzanspruchs auf Zeiten der Erziehung eines jüngeren Kindes weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck der Vorschrift unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte der Vorschrift entnehmen. Eine zeitliche Begrenzung erfolge allein durch die Höchstdauer von 36Monaten pro Kind, in denen eine Vertretung bzw. eine Entlastungsassistenz während der Erziehung von minderjährigen Kindern in Anspruch genommen werden könne. Weitere Voraussetzungen müssten nicht erfüllt sein. Es komme auch nicht darauf an, ob andere Betreuungsmöglichkeiten zur Verfügung stünden. Zeiten der Erziehung von Kindern umfassten nach dem Wortlaut der Vorschrift grundsätzlich den gesamten Zeitraum, in dem die Eltern oder ein Elternteil aufgrund der Personensorge die Verantwortung für die Erziehung eines oder mehrerer minderjähriger Kinder hätten.

Seien die Voraussetzungen des §32 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Ärzte-ZV erfüllt – finde also in der Zeit, für die eine Entlastungsassistenz beschäftigt werden solle, die Erziehung eines oder mehrerer Kinder statt –, so habe der Vertragsarzt Anspruch auf Genehmigung der Entlastungs-assistenz. Der Kassenärztlichen Vereinigung stehe insoweit keine Bewertung der Situation zu. Entscheidend sei allein der Wunsch des Vertragsarztes, während Zeiten, in denen Kinder erzogen würden, zeitlich entlastet zu werden. Ob diese Entlastung notwendig sei oder die Erziehung des Kindes auch auf andere Art und Weise gewährleistet werden könne (etwa durch die Betreuung durch den anderen Elternteil oder einen Dritten), sei hierbei ohne Belang. Das Gesetz spreche vielmehr ausdrücklich von „während“ Zeiten der Erziehung von Kindern, nicht „wegen“ der Erziehung von Kindern. Wie die Ausübung einer vertragsärztlichen Tätigkeit mit den Erziehungsverpflichtungen in Einklang gebracht werde, sei allein Sache der Eltern.

Die Möglichkeit einer Entlastungsassistenz stehe dabei für jedes Kind zur Verfügung. Eine Einschränkung sei nur dann anzunehmen, wenn mehrere Kinder gleichzeitig erzogen würden. In diesem Fall könne die Entlastungsassistenz nicht fiktiv allein einem Kind zugeordnet werden. Das Bundessozialgericht führt als Beispiel aus: Habe etwa ein Vertragsarzt nach der Geburt des ersten Kindes, gegebenenfalls im Anschluss an eine Vertretungszeit im Zusammenhang mit der Entbindung, noch nicht die gesamten 36 Monate in Anspruch genommen, wenn das zweite Kind geboren werde, stünden ihm danach noch einmal 36 Monate für das zweite Kind zu – nicht aber weitere Monate mit der Begründung, für das erste Kind gebe es noch „unverbrauchte“ Monate. In §32 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Ärzte-ZV sei von „Kindern“ die Rede.

Entlastungsassistent/in: Pro Kind für 36 Monate möglich

Vertragsärzte können bis zur Volljährigkeit ihres Kindes eine Entlastungsassistenz in Anspruch nehmen. Ob die Entlastung durch Einstellung eines Assistenten tatsächlich notwendig ist oder nicht und ob die Betreuung nicht auch anderweitig gesichert werden kann, ist dabei irrelevant. Die in § 32 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Ärzte-ZV hierfür vorgesehenen insgesamt 36Monate können für jedes Kind geltend gemacht werden. Die Gesamtzeit verkürzt sich allerdings, wenn mehrere Kinder gleichzeitig betreut werden. Bei paralleler Betreuung mehrerer Kinder ergibt sich somit das Problem, dass unter Umständen für die später geborenen Kinder keine Zeit mehr verbleibt. In diesem Fall kommt vertragsarztrechtlich allenfalls die Beschränkung des Versorgungsauftrages oder das Ruhen der Zulassung in Betracht.

Autorin
Dr. jur. Kirsten Theuner
Die Autorin ist Rechtsanwältin in Frankfurt am Main.

Sie ist außerdem als Rechtsreferentin für die Landesärzte­kammer Hessen tätig und dort für Fragen des ärztlichen Gebührenrechts zuständig.


Zitierhinweis: erschienen in dieser Ausgabe
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