
23. November 2022
Wer muss zahlen, wenn ein Unfall geschieht?
Hausbesuche durch Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung (ÄiW)
Je fortgeschrittener ein AiW (ehem. Weiterbildungsassistent) ist, desto weniger benötigt er eine umfassende Überwachung und Anleitung des weiterbildenden Arztes in der Praxis. Je nach Kenntnisstand des AiW kommt im Einzelfall somit auch die selbständige Durchführung eines Hausbesuches in Betracht. Dies kann die Frage eröffnen, wer haften muss, wenn für Hausbesuchsfahrten der eigene Pkw eingesetzt und ein Unfall verursacht wird.
Die Beschäftigung eines AiW dient dessen Aus- und Weiterbildung. Während der Weiterbildung zum Facharzt sollen alle in den jeweiligen Weiterbildungsordnungen festgelegten theoretischen und praktischen Kenntnisse und Fähigkeiten erlernt werden, um nach Ablegen der Facharztprüfung eine Behandlung nach Facharztstandard erbringen zu können. Die Beschäftigung eines AiW darf nicht der Vergrößerung der Vertragsarztpraxis oder der Aufrechterhaltung eines übergroßen Praxisumfangs dienen, §32Abs.3 Ärzte-ZV. Sie dient nicht der Entlastung des Praxisinhabers.
Die Tätigkeit des AiW darf das Praxisvolumen nicht vergrößern
Der Vertragsarzt ist zur persönlichen Leistungserbringung verpflichtet. Leistungen des AiW können ihm nur dann zugerechnet werden, wenn sie unter persönlicher Anleitung erfolgen. Die Grenze des Zulässigen ist in der Regel erreicht, wenn der Praxisinhaber den Umfang der vertragsärztlichen Tätigkeit durch die Einstellung von Assistenten so weit ausdehnt, dass eine persönliche Überwachung und Anleitung nicht mehr möglich ist. Im Rahmen von Plausibilitätskontrollen prüfen die Kassenärztlichen Vereinigungen, ob ein Vertragsarzt die Leistungen persönlich oder im Rahmen einer zulässigen Delegation durch genehmigte Ärzte erbracht hat. Probleme können entstehen, wenn eine auffällige Zunahme der Fallzahlen bzw. des Abrechnungsvolumens vorliegt. Bei der Beschäftigung von ÄiW ist aus diesem Grund darauf zu achten, dass der AiW nicht durch übermäßige selbständige Tätigkeit das Praxisvolumen vergrößert.
Weiterbildung unter persönlicher Anleitung
Die Weiterbildung hat unter persönlicher Anleitung des zur Weiterbildung befugten Arztes zu erfolgen. Persönliche Anleitung ist dabei nicht mit ständiger Aufsicht zu verwechseln. Der AiW muss als approbierter Arzt in der Lage sein, ärztliche Leistungen selbständig zu erbringen. Ziel der Weiterbildung ist die Vermittlung praktischer Fähigkeiten, wofür ein gewisses Maß an Selbständigkeit zu fordern ist. Es ist daher in der Regel ausreichend, wenn sich der weiterbildende Arzt zumindest in greifbarer Nähe befindet, um jederzeit eingreifen bzw. den AiW überwachen zu können. Bei niedergelassenen Ärzten ist dafür der Aufenthalt in den Praxisräumlichkeiten ausreichend, die ständige Anwesenheit im Behandlungsraum ist nicht erforderlich. Je fortgeschrittener der AiW ist, desto weniger benötigt er umfassende Überwachung und Anleitung. In diesen Fällen sind auch die selbständige Anamnese, Erstellung eines Therapieplans und Behandlung in Absprache mit dem weiterbildenden Arzt grundsätzlich möglich. Je nach Kenntnisstand des AiW kommt im Einzelfall somit auch die selbständige Durchführung eines Hausbesuches in Betracht, sofern die telefonische Erreichbarkeit des weiterbildenden Arztes gewährleistet ist.
Wahrnehmung von Hausbesuchen mit dem privaten Kfz
Nimmt der AiW einen Hausbesuch wahr und nutzt hierfür seinen privaten Pkw anstelle eines Dienstwagens, können sich Haftungsfragen ergeben, sollte es zu einem Verkehrsunfall kommen. Ein Arbeitnehmer hat gegen den Arbeitgeber Anspruch auf Ersatz von erforderlichen Aufwendungen, die er zum Zweck der Erledigung seiner Arbeitsaufträge tätigt. Hierzu gehören auch Ansprüche auf Ersatz von Unfallschäden an einem privaten Kfz. Für den Rückstufungsschaden bei der Kfz-Versicherung hat der Arbeitgeber, sofern er die steuerrechtlich anerkannte Kilometerpauschale zahlt, grundsätzlich nicht einzutreten. Anders verhält es sich, wenn die Erstattung des Rückstufungsschadens mit dem Arbeitnehmer vereinbart wurde.
Rechtliche Voraussetzung
Gemäß § 32 Abs.2 S. 2 Nr. 1 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) kann in der Vertragsarztpraxis ein AiW beschäftigt werden. Dies setzt die Genehmigung der Kassenärztlichen Vereinigung sowie eine entsprechende Weiterbildungsermächtigung der Landesärztekammer voraus.
Grundsätzlich gilt: Nutzung des Kfz ist allgemeines Lebensrisiko
Nach der Rechtsprechung gehört die Nutzung eines Kfz zum allgemeinen Lebensrisiko. Dazu zählen die Benutzung des Kfz für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, das Abstellen des Kfz auf dem Firmenparkplatz sowie die Benutzung des Wagens auf Dienstreisen oder Fahrten zu auswärtigen Arbeits- oder Lehrgangsorten, sofern der Pkw nur zur persönlichen Erleichterung oder mit der Absicht der Zeitersparnis eingesetzt wird. Entsteht ein unfallbedingter Schaden, besteht kein Ersatz-anspruch gegen den Arbeitgeber.
Aber: Die „betriebliche Risikosphäre“ begründet Haftung des Arbeitgebers
Anders verhält es sich jedoch, wenn es eine „betriebliche Risikosphäre“ gibt, die die Haftung des Arbeitgebers begründet. Dies ist der Fall, wenn der Einsatz des privaten Pkw auf Weisung des Arbeitgebers erfolgt oder aufgrund betrieblicher Gründe zwingend erforderlich ist. Als zwingend erforderlich gilt ein Einsatz des privaten Pkw, wenn der Arbeitgeber ohne Einsatz des privaten Pkw dem Arbeitnehmer ein Betriebsfahrzeug zur Verfügung stellen und das Unfallrisiko tragen müsste. Auch wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit anderweitig nicht erbringen könnte, handelt es sich um einen zwingend erforderlichen Einsatz.
Sofern ein Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber besteht, stellt sich die Frage, ob den Arbeitnehmer ein Mitverschulden an dem Unfall trifft. In diesem Fall könnte der Schadensersatzanspruch gemindert werden oder entfallen. Bei einer betriebsbezogenen Tätigkeit greifen im Arbeitsrecht die Regelungen der eingeschränkten Arbeitnehmerhaftung. Nach diesen Grundsätzen treten je nach Schwere der Fahrlässigkeit des Arbeitnehmers mehr oder weniger starke Haftungsbeschrän-kungen ein. Es wird ein dreistufiges Haftungsmodell unter Bezugnahme auf den Verschuldensgrad angewandt:
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Leichte Fahrlässigkeit: Der Arbeitgeber trägt den Schaden an dem privaten Pkw des Arbeitnehmers. Ausgenommen ist in der Regel der Rückstufungsschaden.
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Mittlere Fahrlässigkeit: Der Schaden wird zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber aufgeteilt. Dabei sind die Umstände des Einzelfalls nach Billigkeits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkten zu berücksichtigen (Höhe des Verdienstes, soziale Verhältnisse, Vorverhalten des Arbeitnehmers etc.). Die vom Arbeitnehmer zu tragende Quote ist häufig geringer als die des Arbeitgebers.
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Grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz: Der Arbeitnehmer muss den Unfallschaden allein tragen.
Fazit: Konkrete Regelungen im Arbeitsvertrag
Im Hinblick auf die Nutzung des privaten Pkw für Dienstfahrten des AiW sollten konkrete Regelungen im Arbeitsvertrag getroffen werden. Hierzu empfiehlt sich die Inanspruchnahme der Dienste eines entsprechend qualifizierten Rechtsanwalts. Unter Umständen kommt auch der Abschluss einer Dienstreisekaskoversicherung in Betracht.
Autorin
Dr. jur. Kirsten Theuner
Die Autorin ist Rechtsanwältin in Frankfurt am Main.
Sie ist außerdem als Rechtsreferentin für die Landesärztekammer Hessen tätig und dort für Fragen des ärztlichen Gebührenrechts zuständig.
Zitierhinweis: erschienen in dieser Ausgabe
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