
11. Januar 2023
Haftung bei defektem Kühlschrank
Verlust von Impfstoff in der Vertragsarztpraxis
Ein Vertragsarzt trägt das Risiko für die Lagerung und Verwendung von über den Sprechstundenbedarf bezogenen Impfstoffen – so hat das Bundessozialgericht zuletzt festgestellt (Urteil vom 29.06.2022, Az.B6KA14/21R). Werden derartige Impfstoffe durch einen technischen Defekt in der Praxis des Vertragsarztes unbrauchbar und müssen vernichtet werden, hat er den Krankenkassen die Beschaffungskosten für die verworfenen Impfstoffe zu erstatten.
Der Fall: Kühlschrank defekt – Impfstoff kaputt!
Eine Arztpraxis bezog im Rahmen von Sprechstundenbedarf Impfstoff. An einem Montag wurde festgestellt, dass es wegen eines technischen Defekts am Kühlschrank zu einer mehrstündigen Unterschreitung der vorgesehenen Kühltemperatur gekommen war. Die Impfstoffe im Gesamtwert von über 24.000€ ließ die Praxis nach Rücksprache mit den Impfstoffherstellern und dem Apotheker, von dem sie die Impfstoffe bezogen hatte, vernichten. Die Fehlfunktion des Kühlschranks und die Vernichtung der Impfstoffe wurden bei der Rezeptprüfungsstelle und der Kassenärztlichen Vereinigung angezeigt. Hiernach beschaffte die Praxis im Rahmen des Sprechstundenbedarfs erneut Impfstoff, den sie zulasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnete, größtenteils als Ersatz für den vernichteten Impfstoff. Die Prüfungsstelle setzte einen Regress in Höhe der Nettoverordnungskosten des ersatzweise beschafften Impfstoffes fest (24.394,91€). Den Widerspruch der Praxis wies der Beschwerdeausschuss zurück. Die dagegen erhobene Klage wurde durch das Sozialgericht abgewiesen. Hiergegen legte die Praxis Rechtsmittel zum Bundessozialgericht ein.
Das Urteil des Bundessozialgerichtes
Das Bundessozialgericht stellte fest, dass der Regress zu Recht festgesetzt worden sei. Die ersatzweise Verordnung des Impfstoffs erweise sich als unwirtschaftlich. Rechtlicher Anknüpfungspunkt sei, dass die ausgestellten Ersatz-Impfstoffverordnungen unzulässig gewesen seien. Diese hätten nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ergehen dürfen. Der dadurch entstandene Kostenaufwand sei unwirtschaftlich, da ihm kein entsprechender Nutzen gegenüberstehe. Unzulässig seien Ersatzverordnungen, wenn diese aufgrund von Fehlern, die im Verantwortungsbereich des Arztes liegen, erforderlich werden.
Verantwortungsbereich des Arztes
Soweit der Arzt in seiner Arztpraxis Impfstoff aufbewahre, liege es in seinem Verantwortungsbereich, dass die für die Lagerung von Impfstoffen geltenden Vorgaben – insbesondere im Hinblick auf deren Kühlung – eingehalten werden. Zwar könnten technische Fehler eines Medikamentenkühlschranks nie vollständig ausgeschlossen werden. Das Risiko eines Schadenseintritts könne der Arzt als Praxisinhaber jedoch in weitem Umfang beeinflussen: Durch Auswahl, Wartung und Überwachung der Praxisausstattung könne die Gefahr von Sachschäden so gering wie möglich gehalten werden.
Hinzu komme, dass der Arzt in der Regel auch Einfluss auf die Menge des gelagerten Impfstoffs habe. Gerade wenn die Lagerung sehr großer Mengen oder sehr teurer Impfstoffe erforderlich, diese aus Sicht des Arztes aus wirtschaftlichen Gründen oder auch aufgrund der Organisation der Arztpraxis sinnvoll sei, könne die Verwendung eines Kühlgerätes ratsam sein, das die Vorgaben der einschlägigen DIN erfülle (vgl.DIN58345 Kühlgeräte für Arzneimittel – Begriff, Anforderungen, Prüfung; seit Mai2022: DIN13277 Kühl- und Gefrier-Lagerungsgeräte für Labor- und Medizinanwendungen – Terminologie, Anforderungen, Prüfung) und über eine spezielle Sicherheitseinrichtung verfüge, die ein Abkühlen auf unter 2°C mit großer Sicherheit verhindere. Bei Ausfall einer solchen Sicherheitseinrichtung komme unter Umständen eine zivilrechtliche Haftung des Herstellers des Kühlschranks in Betracht. Zur Verringerung des Risikos eines Schadens trügen zudem regelmäßige Wartungen sowie der Austausch eines nicht mehr dem Standard entsprechenden Gerätes bei. Ein verbleibendes Restrisiko könne durch den Abschluss einer Kühlgutversicherung, die Versicherungsschutz für technische Anlagen zur Kühlung von Waren und Gegenständen gewährleiste, abgesichert werden. In welchem Umfang der Arzt Vorsorge zur Vermeidung eines durch den Ausfall eines Kühlgerätes verursachten Schadens treffe, unterliege seiner unternehmerischen Entscheidung und könne weder von den Prüfgremien noch den Krankenkassen kontrolliert werden.
Nach Ansicht des Bundessozialgerichtes sei nicht zu beanstanden, die Verantwortung für den Eintritt eines Sachschadens aufgrund rein technischer Fehlfunktionen des Kühlschranks, die zu einer Fehlkühlung von Impfstoff in der Vertragsarztpraxis führen, dem Arzt zuzuweisen. Er habe es in der Hand, durch die Auswahl, Wartung und Überwachung seiner Praxisausstattung das Risiko von Sachschäden so gering wie möglich zu halten. Bei entsprechenden Vorkehrungen werde der Eintritt eines Sachschadens eher unwahrscheinlich sein, sodass es gerechtfertigt sei, zu typisieren und eintretende Schadensfälle nicht gesondert in den Blick zu nehmen. Die Verantwortlichkeit des Vertragsarztes für seine Praxis und deren Ausstattung entspreche seiner Stellung als Selbstständiger. Praxis und Praxisausstattung seien dem Einflussbereich der Krankenkassen entzogen. Sie hätten in der einzelnen Vertragsarztpraxis keinen Einfluss darauf, welchem Standard angeschaffte technische Geräte entsprechen sowie wie diese gewartet und sonst überwacht werden.
Ausgehend von diesem Maßstab erweise sich die Ersatzverordnung als unzulässig. Dabei komme es nicht darauf an, ob die Praxis sich im konkreten Fall anders hätte verhalten können und sollen. Wegen der gebotenen Typisierung sei vielmehr ausreichend, dass der Schaden aufgrund einer technischen Fehlfunktion eines von ihr beschafften und kontrollierten Geräts in ihren Praxisräumen eingetreten sei.
Literaturtipp
CME zum Thema
„Grundlagen und Grundbegriffe der Impfmedizin“
Autorin
Dr. jur. Kirsten Theuner
Die Autorin ist Rechtsanwältin in Frankfurt am Main.
Sie ist außerdem als Rechtsreferentin für die Landesärztekammer Hessen tätig und dort für Fragen des ärztlichen Gebührenrechts zuständig.
Zitierhinweis: erschienen in dieser Ausgabe
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