© Simon Geisberger

29. Juni 2021

Rheuma oder doch nicht?

„Ich hatte mehrfach die Seiten gewechselt“

Unter der Rubrik „Der Arzt als Patient“ berichten Hausärztinnen und Hausärzte aus eigener Betroffenheit ihre Erfahrungen. Als Patienten suchen sie Rat und Hilfe bei ihren Kollegen, Hausärzte häufig bei Spezialisten. In der Regel ist der Wechsel der Perspektive vom Behandler zum Behandelten eine neue Erfahrung. Immer wieder stellen sich dabei ähnliche Fragen: Bin ich richtig krank oder fühle ich mich nur krank? Ist die Diagnose richtig? Die vorgeschlagene Maßnahme das Optimum? Wie ist die Prognose? Und wie ist die Kommunikation mit dem Kollegen gelaufen? Wie bin ich mit der Krankheit umgegangen, und was hat sie aus mir gemacht?

Bis zu meinem 18. Lebensjahr war ich als Patient beim Arzt mit kleineren Verletzungen, alterstypischen Infektionen, Pickeln im Gesicht und wegen des Blinddarms im Krankenhaus. Unseren Hausarzt habe ich bewundert und gemocht. Vielleicht war er mit die Ursache dafür, dass ich mich für das Medizinstudium entschloss. Im Studium wechselte ich aus der Rolle des Patienten allmählich und unbewusst in die Rolle des Arztes.

Vom Behandelten zum Behandler

Mein Beruf hat es mit sich gebracht, dass ich zu vielen Dingen im Leben sehr unterschiedliche Standpunkte einnehmen musste. Als Kind und Jugendlicher lernte ich als Patient die üblichen Krankheiten wie Ziegenpeter, Blinddarmentzündung und Nasenbluten kennen. Ich ging dann zum Arzt, um mich behandeln zu lassen. Später, als Arzt, begegneten mir die gleichen Krankheiten unter anderen Namen wieder: Mumps oder Parotitis epidemica, Appendizitis und Epistaxis. Als Kind war ich von diesen Krankheiten passiv betroffen. Als Arzt musste ich die Betroffenheit der Kranken erkennen und aktiv werden. Ich schlüpfte also während meines Studiums aus der Rolle des Patienten in die Funktion eines Arztes, lernte Krankheiten aus einem anderen Blickwinkel zu verstehen. Ich hatte „die Seiten gewechselt“.

Wieder in der Patientenrolle

Kürzlich habe ich noch einmal die Seiten gewechselt: Ich habe meinen Beruf aufgegeben und schlüpfe nun wieder in die Patientenrolle. Denn mit zunehmendem Alter muss ich mit dem Auftreten von Krankheiten und mit dem Kranksein rechnen. Jetzt gehe ich wieder als Patient zu einem Arzt. Meine Krankheitsvorgeschichte liegt lange zurück: Mit etwa 40 Jahren musste ich zu einem Rheumatologen, der – logisch – „Rheuma“ diagnostizierte. Mit meinem Wechsel in den Ruhestand wechselte ich auch meinen Wohnsitz, zufällig in eine Gegend, die mit „Rheumabädern“ und folglich auch Spezialisten dieses Sujets reich gesegnet war. Was ist besser als der Ruhestand, um sich endlich auch mit sich selbst zu beschäftigen? Ich ging also jetzt – eher routinemäßig – zum nächsten Rheumatologen. Seine Anhiebsdiagnose lautete: „Rheumatoide Arthritis“.

Nun wollte ich es genau wissen

Da mir aber schon mal von einem Rheumatologen eine „Fibromyalgie“ und von einem anderen Fachspezialisten eine „Polymyositis“ attestiert wurde, ging ich zu einem weiteren Rheumatologen. Zeit hatte ich als Rentner ja jetzt genug. Nach drei Tagen mit aufwendigen Untersuchungen wurde mir zu meiner Überraschung als neue Diagnose „Psoriasisarthropathie“ mitgeteilt. Um meine Zweifel endgültig zu zerstreuen, suchte ich einen Dermatologen auf. Dieser versicherte mir, dass eine „Psoriasis“ bestimmt nicht vorhanden sei.

Jetzt wurde der Arzt in mir geweckt. Meine diagnostische Neugier ließ mich einen Termin bei einem weiteren Rheumatologen ausmachen. Dessen Diagnose: „Gicht“. Punkt.

Zurück zur Ursprungsdiagnose

Um mir das Leben zu erleichtern, kehrte ich zu meiner alten Diagnose „Rheuma“ und der alten Therapie zurück und bin darin einig mit dem Hausarzt in mir. In meinem Alter (83) habe ich gelernt, mit der „Diagnose Rheuma“ großzügig umzugehen. In den Jahren meiner Berufstätigkeit haben sich die wissenschaftlichen Ansichten häufig verändert, ebenso auch die Therapien. Mir geht es trotz aller Diagnosen weiterhin leidlich gut. Und das reicht mir.

Autor:
Prof. Dr. med. H.P.
Facharzt für Allgemeinmedizin 83 Jahre Name und Anschrift sind der Redaktion bekannt. Um die Anonymität des Autors zu wahren, wurden die Initialen seines Namens von der Redaktion geändert.


Zitierhinweis: erschienen in dieser Ausgabe
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