
29. März 2021
Wie mich mein Herzkasperl quälte
Unter der Rubrik „Der Arzt als Patient“ berichten Hausärzte aus eigener Betroffenheit ihre Erfahrungen. Als Patienten suchen sie Rat und Hilfe bei ihren Kollegen, Hausärzte häufig bei Spezialisten. In der Regel ist der Wechsel der Perspektive vom Behandler zum Behandelten eine neue Erfahrung. Immer wieder stellen sich dabei ähnliche Fragen: Bin ich richtig krank oder fühle ich mich nur krank? Ist die Diagnose richtig? Die vorgeschlagene Maßnahme das Optimum? Wie ist die Prognose? Und wie ist die Kommunikation mit dem Kollegen gelaufen? Wie bin ich mit der Krankheit und mit dem Kranksein umgegangen, und was hat die Krankheit aus mir gemacht?
eingedroschen wird, jagte es davon. Paroxysmale Tachyarrhythmien heißen jene Zustände, die plötzlich auftreten. Ich spürte die Leistungsminderung, musste schneller und tiefer atmen und blieb bei Wanderungen gerne etwas zurück. Auf gut Bayerisch: Ich hatte den „Herzkasperl“. Bei solchen Anfällen hatte ich nie Schmerzen im Brustbereich. Als langjährig erfahrener Allgemeinarzt wusste ich sehr wohl, dass nie ein Schwindel eintreten darf, denn dann wäre Alarm im Hirn.
Bis alles durchgespielt war ...
Alle Betablocker und Antiarrhythmika hatten meine Kardiologen bereits eingesetzt. Immer mit demselben Ergebnis: Monatelang blieben die Anfälle aus, dann ließ offensichtlich die Wirkung nach. Dann eine weitere Untersuchung. Dann wieder was noch Neueres. So ging das über Jahre, bis alles durchgespielt war.
Der Weg zum Superspezialisten verspricht Hilfe
Dann kam mir das Glück zu Hilfe! In meinem Städtchen gab es einen neuen Super-Herzspezialisten im Krankenhaus. Schwerpunkt: Rhythmologie. Auch er untersuchte mich als Kollegen besonders gründlich.
Dann stand seine Therapie für mich fest: Wegen des anfallsweisen Vorhofflatterns kam für mich eine Katheterablation in Frage. Schon Wochen zuvor erhielt ich einen der neuen oralen Gerinnungshemmer. Bei jeder Pille ging mir als leidgeprüftem Kassenarzt durch den Kopf: „Junge, diese Medizin hätte dich in deiner Kassenpraxis in den Regress gejagt.“
Ich lag schon auf dem OP-Tisch
Dann kam der Tag der Aufnahme ins Krankenhaus. Ich fragte den Professor: „Was geschieht, wenn die Behandlung nicht den gewünschten Erfolg bringt?“ Der Professor antwortete lächelnd: „Da haben wir schon den passenden Schrittmacher.“
Mit einem Mal fiel mir spontan Sokrates ein: „Deine innere Stimme ist göttlichen Ursprungs ... Der Mensch hat am Göttlichen teil und deshalb auch an der Weisheit als göttlicher Selbsterkenntnis.“ Diese innere Stimme rebellierte: „Du bist nicht reif für diesen Eingriff, das ist nichts für dich.“ Ich bat den Oberarzt, mich vom OP-Plan abzusetzen. „Das kann nur der Chef entscheiden.“ Flehentlich bat ich den zweifellos kompetenten Herrn Professor um Schonfrist. Lächelnd verabschiedete sich dieser: „Wir sehen uns bald wieder.“ Das war vor drei Jahren.
Was nun?
Nun stand ich da. Das Problem war ja nicht gelöst. Wohin sollte ich jetzt gehen? Die Not zwang mich zum Nachdenken. Ganz zweifellos hatte ich keine Zeichen einer koronaren Insuffizienz, niemals Schmerzen oder Beengung, auch nicht bei großer Anstrengung, wenn der „Herzkasperl“ auftrat. Aber wie bei Insuffizienz spürte ich in diesen Phasen ein Schwächerwerden und eine vertiefte Atmung. Was tat ich in vergleichbaren Fällen als Hausarzt? Ich gab in Einzelfällen auch mal das Glykosid des Fingerhuts Digitalis purpurea. Das beeinflusst nebenbei den Rhythmus. „Probieren geht über Studieren“, dachte ich. Und: „Die Dosis macht das Gift.“ Also begann ich mit Digitoxin 0,07mg in Form von Digimerck® minor. Der „Kasperl“ kam gelegentlich wieder. Dann nahm ich eben an drei Tagen zwei Tabletten.
Auf diese Weise bleibt mein Puls regelmäßig, er steigt bei Belastung an. Ich fühle mich wohl. Beim letzten Belastungs-EKG schaffte ich 150 Watt. Mir reicht das für meine beinahe 80 Jahre. Ich habe die Hoffnung, dass unter dieser Behandlung mein Herz auch künftig ruhig bleiben wird.
Autor:
Dr. med. J.S.
Facharzt für Allgemeinmedizin und Gynäkologie78 Jahre
Zitierhinweis: erschienen in dieser Ausgabe
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