© Simon Geisberger

28. November 2021

Zunächst ganz harmlos

Es blitzt und Mückentanzen vor den Augen

Unter der Rubrik „Der Arzt als Patient“ berichten Hausärztinnen und Hausärzte aus eigener Betroffenheit ihre Erfahrungen. Als Patienten suchen sie Rat und Hilfe bei ihren Kollegen, Hausärzte häufig bei Spezialisten. In der Regel ist der Wechsel der Perspektive vom Behandler zum Behandelten eine neue Erfahrung. Immer wieder stellen sich dabei ähnliche Fragen: Bin ich richtig krank, oder fühle ich mich nur krank? Ist die Diagnose richtig? Die vorgeschlagene Maßnahme das Optimum? Wie ist die Prognose? Und wie ist die Kommunikation mit dem Kollegen gelaufen? Wie bin ich mit der Krankheit umgegangen, und was hat sie aus mir gemacht?

Ein Freitagvormittag im April: kein Gewitter, keine Besonderheiten am Himmel. Trotzdem irritiert mich etwas Unerklärliches: ein leichtes Blitzen vor dem Auge, eher rechts, das sich mehrmals wiederholt. Und kleine Mücken, die da rumtanzen. „Mouches volantes“? Als solche eigentlich harmlos. Das haben doch viele Leute! Was mich besonders beunruhigt: Das rechte seitliche Gesichtsfeld ist kleiner, ich sehe die rechte Hand in der Seite nicht so wie die linke Hand links.

Oder doch so etwas Ähnliches wie vor Jahrzehnten bei meiner knapp 70-jährigen Großmutter, die damals mit dem Zug zum Augenarzt in die Stadt gefahren war, weil’s bei ihr „g’fugitzt hat, Wolken herumg’flog’n sand und das Sehn’g auf oam Aug’ stark nach’lassen hat“. Mit der Auskunft: „Mei, guate Frau, da kann ma net helfen“, war sie wieder heimgeschickt worden. Sie war bald fast erblindet, musste an der Hand geführt werden, wurde so weit über 84 Jahre alt.

Diese Erinnerung an alte Zeiten geht mir durch den Kopf. Ich bekomme einen dringlichen Termin in einer Augenarztpraxis, bin ja auch Kollege und Privatpatient.

Aug’ in Aug’ mit der Spezialistin

In der Augenarztpraxis zunächst die übliche aufwändige Routinevoruntersuchung durch MFAs, dazwischen langes Warten auf einem langen Flur mit Sitzecken. Die freundlich distanzierte Fachkollegin untersucht mich endlich, auch mit OCT (Netzhautsono) und Gonioskopie. Sie kommt dann zum Ergebnis, es handle sich neben altbekannten und altersbedingten Befunden (leichte Myopie, Presbyopie, Cataracta incipiens usw.) im Wesentlichen um eine hintere Glaskörperabhebung rechts mit Fleckblutungen der Netzhaut und um (eher harmlose) Glaskörperdestruktionen. Sie lasert die Netzhaut und bietet mir einen Kontrolltermin in drei Wochen an. Ich bin sehr im Zweifel, ob ich erleichtert oder skeptisch und besorgt sein soll. Schaue etwas zweifelnd auf mein kollegiales Gegenüber. „Na gut“, meint sie, „kommen Sie lieber doch schon am nächsten Dienstag.“

Beim Kontrolltermin vier Tage später nun eine etwas besorgte Miene und der Rat, mich noch heute in eine Uni-Augenklinik zu begeben. Ich wähle eine Münchner Uniklinik, dort nehme ich ja als Lehrarzt an den Seminarvorlesungen teil. Die Kollegin vermittelt gleich einen Aufnahmetermin und ich fahre unverzüglich noch am gleichen Tag per Bahn hin.

Besuch in der Uniklinik

Der freundliche Ordinarius untersucht mich selbst und schlägt vor, die festgestellte „rhegmatogene Ablatio retinae“ mit einer (extern auf der Sklera mit Silikonband befestigten) „Plombe + Kryo + Gas unter Intubulationsnarkose“ zu behandeln.

Die Glaskörpertrübungen mit den tanzenden Fliegen würden dann wohl noch länger anhalten, eventuell sogar persistieren. So werde ich tags darauf operiert und nach drei Tagen wieder entlassen. Wiedervorstellung in der Netzhautsprechstunde der Uniambulanz in vier bis sechs Wochen, bei der zuweisenden Augenarztpraxis nächste Woche.

Dort wurde ich weitere viermal im Wochentakt umfassend und apparategestützt kontrolluntersucht. Eigentlich alles regelrecht. Ich brauche auch neue Brillengläser, deren Kostenerstattung meine Privatversicherung aber unter Hinweis auf die Tarifbedingungen ablehnt. Kann man nichts machen.

Notfall während der jährlichen Radtour

Weil jetzt eigentlich alles erwartungsgemäß verlaufen ist, sage ich die Teilnahme an der alljährlichen dreitägigen Radtour mit Freunden an einem heißen sonnigen Juliwochenende zu.

Am dritten Tag der Fahrt kommt wieder das fatale Blitzen vor dem rechten Auge, die tanzenden Fliegen werden wieder mehr. Ich verschweige es den Radfreunden. Abends melde ich mich in einer anderen Universitätsklinik als Notfall an und lasse mich am nächsten Morgen von meiner Frau dorthin fahren.

Dort war kurz vorher ein Freund wegen akuter Netzhautablösung erfolgreich operiert worden. Nicht wie ich mit Plombe + Kryo + Silikonband, sondern mit PPV („Pars-plana-Vitrektomie“).

Noch am gleichen Tag fand durch den Klinikchef die Revisionsoperation mit Phakoemulsifikation und Linsenersatz statt. Mit SF6-Gasfüllung statt Silikonfüllung (die damals an anderen Augenzentren noch Standard war).

Knapp vier Wochen später war die SF6-Gasfüllung resorbiert. Seither habe ich wieder einen Visus von 1,0 (100%!) am rechten Auge.

Zwei Jahre später bekam ich auch am linken Auge eine rhegmatogene Ablatio retinae.

Ich fuhr sofort los, ohne gefährlichen Zeitverlust, wieder in dieselbe Uni-Augenklinik, die mir zuvor das Sehvermögen gerettet hatte. Auch am linken Auge habe ich heute wieder einen Visus von 1,0 zurückerhalten.

PS: Randnotiz zur Entwicklung der PPV (zitiert aus Wikipedia): „Als Pionier in der Entwicklung der Vitrektomie gilt der deutschstämmige US-amerikanische Ophthalmologe und Chirurg Robert Machemer (1933–2009). Machemer verdingte sich nach dem Abitur 1953 ein halbes Jahr als Stahlarbeiter, um sein Medizinstudium zu finanzieren. Machemer studierte Medizin an der Universität Münster und an der Universität Freiburg, wo er 1959 promoviert wurde.“

Literaturtipp
Aus unserer Serie „Arzt als Patient“: „Vom Umgang unter Kollegen und was man vermeiden sollte“

Autor
Dr. med. A. G.
Facharzt für Allgemeinmedizin, 73 Jahre
Name und Anschrift sind der Redaktion bekannt.

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